„Grüner“ Wasserstoff aus Ägypten: Neokolonial, unsozial, unökologisch und nicht klimafreundlich

Symbolbild: Windkraftanlagen in einem Wüstengebiet Symbolbild: Windkraftanlagen in einem Wüstengebiet (© CC BY-SA2.0)

12.07.2024

Die Bundesregierung fördert in Ägypten und weltweit Projekte zur Produktion von „grünem Wasserstoff" für den Import nach Deutschland. Doch die Produktion und der Transport des Wasserstoffs sind extrem ineffizient. Anstatt dringend in Ägypten benötigten Strom aus Wind und Sonne bereitzustellen, soll dieser für unseren Konsum verschwendet werden, während die Menschen dort unter Energiearmut leiden.

Grüner Wasserstoff soll zukünftig - neben direktem Strom aus erneuerbaren Energien, zentraler Treibstoff für die Energiewende in Deutschland sein. Umgewandelt in Wasserstoff kann erneuerbarer Strom gut gespeichert und transportiert werden, schreibt die Bundesregierung. Deren „Wasserstoff-Strategie“ geht davon aus, dass langfristig bis zu Zweidrittel des deutschen Bedarfs an Wasserstoff importiert werden soll.

Der vergangene Woche vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz verkündete erste Liefervertrag für den Import von grünen Wasserstoff aus Ägypten ist Teil dieser Strategie. Da Wasserstoff nur schwerlich per Schiff transportiert werden kann, soll dieser in Ammoniak umgewandelt werden, der dann in Deutschland wieder zu Wasserstoff gemacht werden soll. Dazu sollen von 2027 bis 2032 über 259.000 Tonnen Ammoniak aus Ägypten per Schiff von der Firma Fertiglobe aus Abu Dhabi geliefert werden, was etwa 41.000 Tonnen Wasserstoff entspräche.

Die dafür benötigten Elektrolyse- und Ammoniakanlagen sollen in der Wirtschaftszone des Suez-Kanals am Roten Meer gebaut werden, während der Strom in einem neu errichteten Onshore-Windpark mit einer Leistung von 203 MW in Ras Ghareb in der Nähe des Roten Meeres und in einer neu errichteten Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 70 MW in Benban im Süden Ägyptens erzeugt werden soll.

Das vereinbarte Projekt für den Import von grünem Wasserstoff aus Ägypten ist neokolonial, unsozial, unökologisch und nicht klimafreundich“, erklärt Klaus Schenck, Energieexperte von Rettet den Regenwald e.V.:

Neokolonial,

denn über das Förderprogramm der H2-Global Stiftung der Bundesregierung soll die Firma Fertiglobe, die Unternehmen aus Abu Dhabi, den Vereinigten Arabischen Emiraten und den Niederlanden gehört, in Ägypten Wasserstoff aus Wind- und Sonnenstrom erzeugen, der in Form von Ammoniak nach Deutschland exportiert werden soll.

Unsozial,

denn das nordafrikanische Land leidet an Energiearmut, hohen Strompreisen und an täglichen Stromsperrungen.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch beklagt, dass „die ägyptische Regierung die Stromnutzung durch tägliche Stromabschaltungen im ganzen Land einschränke und damit die wirtschaftlichen und sozialen Rechte der Menschen gefährde“.

Hinzukommt, dass es in der ägyptischen Wüste kein Wasser gibt und deshalb für die Elektrolyse auf Meerwasser aus Entsalzungsanlagen zurückgegriffen werden muss. Um ein Kilogramm Wasserstoff herzustellen, werden 15 Liter speziell aufbereitetes hochreines Wasser gebraucht.

Unökologisch,

weil die Produktion von „grünem“ Wasserstoff und dessen Umwandlung in Ammoniak für den Export nach Deutschland mit enormen Energieverlusten verbunden sind:

Lediglich ein Sechstel (16 kWh) bis bestenfalls gut ein Viertel (28 kWh) des Stroms bleiben erhalten, wenn das importierte Ammoniak in Deutschland wieder in Wasserstoff und Strom umgewandelt wird, wie wissenschaftliche Studien zeigen.

Der Grund liegt in den enormen Energieverlusten der Elektrolyse, der Umwandlung in Ammoniak, der Kühlung, des Schiffstransports, der Rückumwandlung in Wasserstoff und der Rückverstromung des Wasserstoffs (ausführliche Rechnung siehe unten).

Nicht klimafreundlich,

weil in Ägypten der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromproduktion lediglich 11 % beträgt. 88 % des Stroms werden dagegen aus fossilem Erdgas und Erdöl erzeugt, was sehr viel CO2 freisetzt.

Anstatt den Strom aus Wind- und Sonnenenergie für grüne Wasserstoffexporte zu verpulvern, sollte dieser direkt in Ägypten die klimaschädliche Stromproduktion aus Erdgas und Erdöl ersetzen. Das käme nicht nur den Menschen dort zugute, sondern auch dem Weltklima, denn CO2 kennt keine Landesgrenzen“, so Schenck weiter.

Die Bundesregierung unterhält derzeit weltweit mit 21 Ländern Partnerschaften, Kooperationen und Allianzen im Wasserstoffbereich, darunter im Globalen Süden mit Angola, Brasilien, Chile, Marokko, Mexiko, Namibia, Nigeria, Südafrika, Tunesien und Vietnam.

Wir lehnen das Projekt und generell die von der Bundesregierung in vielen Ländern des Globalen Südens vorangetriebenen Initiativen zur Produktion von grünem Wasserstoff für den Export nach Deutschland entschieden ab", erklärt Klaus Schenck.

Aktuell werden in Deutschland pro Jahr  1,1 Mio. Tonnen Wasserstoff (Energiegehalt von ca. 57 TWh) aus fossilem Erdgas über dem Prozess der Dampfreformierung hergestellt. Die bestehenden Anlagen zur Produktion von grünem Wasserstoff haben eine Leistung von weniger als 100 MW, die Produktion ist mit etwa 4.000 t (Energiegehalt 0,2 TWh, Anteil 0,4 %) minimal.

Analysten und verschiedene Organisationen warnen schon seit Längerem vor Gefahren durch die geplanten Wasserstoffimporte, berichtet Euractiv.

Rettet den Regenwald e.V. fordert:

  • Angesichts der Tatsache, dass die globalen Treibhausgasemissionen weiter ansteigen, die Klimakrise ebenso rasch voranschreitet und erneuerbare Energien mit einem Anteil an der Primärenergie-Versorgung von 15 % (2020) weltweit gesehen weiter sehr knapp sind, müssen diese effizient eingesetzt werden. Das heißt zuerst in den Bereichen, in denen sie große Mengen fossile Energien ersetzen und damit die Treibhausgasemissionen stark senken helfen.

  • Solange erneuerbare Energien nicht im Überschuss zur Verfügung stehen, dürfen diese nicht für die sehr ineffiziente Produktion von grünem Wasserstoff und Derivaten für den Export verschwendet werden.

  • Unser Energiebedarf muss im Inland oder bei unseren europäischen Nachbarländern gedeckt werden, aber keinesfalls durch Importe von Wasserstoff aus dem Globalen Süden. Die weltweiten Aktivitäten von Bundesregierung, EU und europäischen Firmen zur Produktion von grünem Wasserstoff für den Export nach Europa müssen beendet werden.

Warum ist der grüne Wasserstoff so ineffizient?

Die angestrebte Energieversorgung mit grünem Wasserstoff hat große Nachteile: Bei der Produktion durch Elektrolyse geht etwa ein Drittel des elektrischen Stroms verloren. Außerdem ist Wasserstoff schwer zu speichern und zu transportieren. Dazu muss das Gas unter hohen Druck komprimiert oder verflüssigt werden, wozu extrem tiefe Temperaturen (minus 252ºC) notwendig sind. Der Energieeinsatz und die Energieverluste dafür sind enorm. Aktuell gibt es nicht einmal Schiffe für den Transport von Wasserstoff. Bisher wird "grauer Wasserstoff" aus Erdgas und Kohle dort produziert, wo er auch verbraucht wird, das heisst in Erdölraffinerien, Chemie- und Düngemittelfabriken.

In Zukunft soll der erzeugte Wasserstoff in großen Mengen in sogenannte Derivate wie Ammoniak oder Methanol umgewandelt werden, die sich leichter speichern und transportieren lassen. Bei der Umwandlung kommt es aber zu weiteren erheblichen Energieverlusten. Größenordnungsmäßig ist die Rechnung etwa folgendermaßen:

  1. Von 100 kWh mit Wind- und Sonnenenergie in Ägypten erzeugtem Strom stecken nach der Umwandlung in Wasserstoff durch Elektrolyse bei einem Wirkungsgrad von 70 % nur noch 70 kWh Energie.

  2. Da der Transport von Wasserstoff per Schiff nicht möglich ist, wird dieser im nächsten Schritt in Ammoniak umgewandelt, wodurch weitere Energieverluste entstehen. Bei einem mittleren Wirkungsgrad von 75 % reduziert sich der Energiegehalt auf ca. 53 kWh.

  3. Das Ammoniakgas muss für den Transport verflüssigt werden, wozu es in der Regel komprimiert und/oder auf unter Minus 33ºC gekühlt wird, womit es einschließlich des Schiffstransports über ca. 3.500 Kilometer von Suez bis Rotterdam zu weiteren 10 % Energieverlusten kommt. Der Energiegehalt beträgt dann nur noch etwa 47 kWh.

  4. In Deutschland muss das Ammoniak wieder zurück in Wasserstoff umgewandelt werden, womit bei einem Wirkungsrad von 70 % noch höchstens 33 kWh verbleiben.

  5. Zuletzt muss der Wasserstoff beispielsweise in einem Gas- und Dampfturbinenkraftwerk (Wirkungsgrad 60 %) zurück in elektrischen Strom umgewandelt werden, womit bestenfalls 20 kWh übrig bleiben.

UPDATE vom 17. Juli 2024:

Der europäische Rechnungshof hat die Wasserstoffstrategie der EU-Kommission in einem Sonderbericht analysiert, und kommt zu keinem guten Urteil: 
"Die EU-Kommission hat unrealistische Ziele für die Produktion und den Import von Wasserstoff festgelegt, ohne auf solide Analysen zurückzugreifen”, kritisieren die Rechnungsprüfer. Stattdessen sei sie "von politischem Willen geleitet” gewesen. Außerdem warnt der Rechnungshof davor, dass die EU erneut bei einem strategisch wichtigen Energieträger in Abhängigkeit weniger Staaten geraten könnte. Weiterhin bemängelt werden unter anderem unklare Angaben hinsichtlich den Importmengen von Wasserstoff und Ammoniak. 


  1. schreibt die Bundesregierung Bundesregierung, 2023. Nationale Wasserstoffstrategie. Energie aus klimafreundlichem Gas: https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/klimaschutz/wasserstoff-technologie-1732248

  2. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz verkündete erste Liefervertrag Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, 11.7.2024. Wichtiger Schritt für globalen Wasserstoffhochlauf – Deutschland importiert ab 2027 mit H2Global grüne Wasserstoffprodukte im großen Umfang: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2024/07/20240711-h2global.html

  3. nur schwerlich per SchiffEnde 2021 ging das weltweit erste Versuchsschiff für flüssigen Wasserstoff (LH2) auf Reise. Die 2019 in Japan vom Stapel gelaufene 116 m lange Suiso Frontier kann allerdings lediglich 85 Tonnen (1.250 m3) auf minus 253 °C gekühlten und dadurch verflüssigten Wasserstoff transportieren. Flüssiger Wasserstoff hat einen Energiegehalt von 33,3 kWh/kg. Die technischen Herausforderungen und vor allem der Energieaufwand, den Wasserstoff auf Minus 253 zu kühlen, was nur 20 Grad über dem absoluten Nullpunkt der Temperatur liegt, sind groß. Die derzeitigen Wirkungsgrade von Verflüssigungsanlagen liegen zwischen 36-43 MJ/kg Wassserstoff. Siehe: Ortiz-Cebolla, R. et.al./Joint Research Centre (JRC), 2021: Assessment of Hydrogen Delivery Options. European Commission (Science for Policy Briefs): https://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/handle/JRC130442

    Der Energieaufwand für den Verflüssigungsprozess von Wasserstoff beträgt laut einer anderen Studie (siehe unten) ca. 30 % des Heizwertes. Daneben kommt es zu Wasserstoffverlusten durch Verdampfung (boil off) und bei Umfüllvorgängen, bei denen bis zu 25 % der Wasserstoffmenge als sogenanntes flash gas (Verdampfungsverlust) anfallen, die entweder separat prozessiert und rückgewonnen werden müssen oder über Abblasung bzw. Fackel verloren gehen. Siehe: Alekseev, A. et.al., 2023. Wasserstoff-Verflüssigung, Speicherung, Transport und Anwendung von flüssigem Wasserstoff. Seite 12 rechts: https://www.wasserstoff-leitprojekte.de/lw_resource/datapool/systemfiles/elements/files/F4941D1CBA383928E0537E695E862E63/live/document/Wasserstoff-Verfl%C3%BCssigung,_Speicherung,_Transport_und_Anwendung_von_fl%C3%BCssigem_Wasserstoff__2_.pdf

  4. erzeugt werden soll HINTCO; 2024: Lot 1: Renewable ammonia: https://www.hintco.eu/lot-1-renewable-ammonia

  5. H2-Global Stiftung der Bundesregierung H2-Global Stiftung, 2024. Our Supporters: Der H2-Global Stiftung gehören neben der Bundesregierung und dem Bezos Earth Fund des US-Milliardärs und Amazon-Gründers, Jeff Bezos, 71 Konzerne aus den Bereichen Banken, Energie und Industrie an: https://www.h2-global.org/our-supporters

  6. 15 Liter speziell aufbereitetes hochreines Wasser gebrauchtFraunhofer Institut, 2023. Site-specific, comparative analysis for suitable Power-to-X pathways and products in developing and emerging countries: https://www.ise.fraunhofer.de/content/dam/ise/en/documents/publications/studies/Fraunhofer-ISE-H2Global-Study-Power-to-X-Country%20Analysis.pdf

  7. wissenschaftliche Studien zeigen Müller et.al., 2024. Comparison of green ammonia and green hydrogen pathways in terms of energy efficiency: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0016236123024572

  8. fossilem Erdgas und Erdöl erzeugt Laut EIA davon 6 % Wasserkraft, 3 % Windenergie und 2 % Photovoltaik: Internationale Energieagentur (EIA), abgerufen am 11.7.2024. Egypt. Sources of electricity generation: https://www.iea.org/countries/egypt/electricity

  9. minimalStrategy&/ PwC, 2024. EU und Deutschland laufen Gefahr, eigene Wasserstoffziele zu verfehlen: https://www.strategyand.pwc.com/de/de/presse/sauberer-wasserstoff.html

  10. erneuerbare Energien mit einem Anteil an der Primärenergie-Versorgung von 15 % (2020) weltweit gesehen weiter sehr knapp- Laut Zahlen der Bundeszentrale für Politische Bildung (BPB) haben erneuerbare Energien weltweit an der Primärenergie-Versorgung einen Anteil von 15 % (2020), wobei Zweidrittel davon auf Bioenergie entfallen: Bundeszentrale für Politische Bildung, 2023. Primärenergie-Versorgung: https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/globalisierung/52741/primaerenergie-versorgung/#:~:text=Im%20Jahr%202020%20basierte%20die,–%20zusammen%2079%2C9%20Prozent

    - In Deutschland beträgt laut Angaben des Umweltbundesamtes der Anteil erneuerbarer Energien an der Primärenergieproduktion 20 % (2023), wovon über die Hälfte auf Bioenergie entfallen: Umweltbundesamt, 2024. Primärenergieverbrauch: https://www.umweltbundesamt.de/daten/energie/primaerenergieverbrauch#primarenergieverbrauch-nach-energietragern

    - Im Elektrizitätssektor lag der Anteil erneuerbarer Energien 2023 bei etwa 35 %: International Energy Agency, 2024. Renewabels: https://www.iea.org/energy-system/renewables

  11. mittleren Wirkungsgrad von 75 %Umweltbundesamt, 2022. Kurzeinschätzung von Ammoniak als Energieträger und Transportmedium für Wasserstoff - Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/dokumente/uba_kurzeinschaetzung_von_ammoniak_als_energietraeger_und_transportmedium_fuer_wasserstoff.pdf

  12. Sonderbericht analysiertEuropäischer Rechnungshof, 2024. Sonderbericht. Die Industriepolitik der EU im Bereich erneuerbarer Wasserstoff: https://www.eca.europa.eu/ECAPublications/SR-2024-11/SR-2024-11_DE.pdf

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