Petition "Stoppen Sie Einschüchterungsklagen" übergeben
Starkes Anti-SLAPP-Gesetz der EU zum Schutz der Meinungsfreiheit und des Rechts auf Protest notwendig
Brüssel, 1. Februar 2022: Die Koalition gegen SLAPPs in Europa (CASE) und zwei von Einschüchterungsklagen Betroffene haben am Dienstag eine Petition mit 213.433 Unterschriften an Věra Jourová, Vizepräsidentin der EU-Kommission und Kommissarin für Werte und Transparenz, übergeben. SLAPPs steht für „Strategic Lawsuits Against Public Participation“ (Strategische Klagen gegen Öffentliche Beteiligung).
Rettet den Regenwald e.V. und das Umweltinstitut München, die beide von Einschüchterungsklagen betroffen sind, hatten die Petition im Juli 2021 gestartet. Sie fordert von der EU-Kommission eine Anti-SLAPP-Direktive, die in der gesamten EU wirksam vor schikanösen Klagen schützt.
SLAPP-Klagen wachsende Bedrohung in Europa
Die Zahl der Personen und Organisationen, die in der EU von SLAPP-Klagen betroffen sind, nimmt ständig zu. SLAPPs sind missbräuchliche Klagen und haben das Ziel, die öffentliche Beteiligung wie Journalismus, friedliche Proteste, Boykotte, gesellschaftliches Engagement und Whistleblowing zu unterbinden. Wohlhabende und mächtige Personen missbrauchen das Gesetz, um ihre Kritiker mit zeitraubenden und kostspieligen Gerichtsverfahren zum Schweigen zu bringen.
Angesichts der Bedrohung der Grundrechte durch SLAPPs hält CASE ein starkes Anti-SLAPP-Gesetz der EU für notwendig, um demokratische Werte wie die Meinungsfreiheit und das Recht auf Protest in der gesamten EU zu schützen.
Eine Anti-SLAPP-Richtlinie der EU würde ein hohes und einheitliches Schutzniveau gegen SLAPPs in allen Mitgliedsstaaten bieten und als Modell für den gesamten Kontinent dienen. Als Orientierung kann die Muster-Richtlinie dienen, die die CASE-Koalition formuliert hat.
213.433 EU-Bürger und 172 zivilgesellschaftliche Gruppen verlangen Verbesserungen
CASE überreichte Vizepräsidentin Jourová die Forderung von 213.433 Personen nach strengen rechtlichen Schutzmaßnahmen gegen SLAPPs, nachdem die EU-Kommission eine öffentliche Konsultation zur Erfassung des SLAPP-Phänomens eingeleitet hatte. 172 zivilgesellschaftliche Gruppen aus ganz Europa haben sich der Forderung angeschlossen. Darunter sind die Coalition for Women in Journalism und die maltesischen Nichtregierungsorganisationen Aditus, Repubblika und PEN Malta. Sie wurden von den Erfahrungen der ermordeten Journalistin Daphne Caruana Galizia geleitet, die mit mehreren SLAPPs konfrontiert war, die nun von ihrer Familie „geerbt“ wurden. Die 146 Eingaben von Interessenvertretern während der Konsultation wurden somit von Hunderttausenden Menschen in ganz Europa unterstützt, die wollen, dass die EU dem Missbrauch des Rechtssystems durch SLAPPs ein Ende setzt.
Im eigenen Beitrag zur EU-Konsultation argumentiert CASE, dass alle Maßnahmen das gesamte Ausmaß des Problems angehen und sowohl grenzüberschreitende als auch inländische SLAPPs umfassen müssen.
Die EU-Kommission will am 23. März eine Anti-SLAPP-Initiative vorlegen.
Zitate
„Ich bin froh, dass so viele Europäer die Bedrohung erkennen, die SLAPPs für die freie Presse darstellen. Diese Klagen haben mich jahrelang gefesselt, mich viel Geld und Arbeit gekostet und lenken extrem von meiner Arbeit als Journalist ab. Es gab Momente, in denen ich einen neuen Artikel oder sogar einen Blogbeitrag verfasst habe und mir Sorgen gemacht habe, dass am Tag nach der Veröffentlichung die nächste Klage, von derselben Clique, auf mich zukommen würde. Das ist lähmend und jede Initiative zur Beendigung dieser Praktiken ist willkommen", sagte Okke Ornstein, ein niederländischer Journalist, der Korruption in Panama aufgedeckt hat und deshalb verfolgt wird. Ornstein wurde in Panama wegen strafbarer Verleumdung inhaftiert, nachdem er 2016 über den verurteilten Betrüger Monte Friesner geschrieben hatte. Nach seiner Rückkehr in die Niederlande wurde er mit mehreren zivilrechtlichen Verleumdungsklagen von Friesners Partnern konfrontiert.
„In Polen sind strategische Klagen ein gängiges Mittel, um Aktivisten und Journalisten zu bedrohen, zum Schweigen zu bringen und zu demütigen. Der Atlas of Hate wird von sieben Kommunalverwaltungen verklagt, weil er deren Diskriminierung von LGBT verurteilt hat, und der Kampf ist nicht fair: hoch bezahlte Anwälte und Behörden verfolgen eine kleine Gruppe von Aktivisten, die auf freiwilliger Basis arbeiten. Es ist traurig, dass in einem demokratischen Land, im demokratischen Europa, das Recht zu diskriminieren besser geschützt ist als die Bürger, die für ihre Rechte kämpfen. Deshalb brauchen wir ein EU-Anti-SLAPP-Gesetz. SLAPPs untergraben demokratische Werte wie die Redefreiheit und die Rechtsstaatlichkeit. Die neue EU-Richtlinie sollte künftige Missbrauchsklagen verhindern und die Opfer schützen", sagte Kamil Maczuga, Mitautor von Atlas of Hate (AoH).
Zusammen mit Kamil Maczuga wurde Jakub Gawron, Paulina Pająk und Paweł Preneta von mehreren Gemeinden wegen Verleumdung verklagt, nachdem sie diese in eine interaktive Karte auf der Website Atlas des Hasses aufgenommen hatten. AoH dokumentiert LGBT-feindliche Aussagen lokaler Behörden in Polen. Maczuga ist persönlich von drei der sieben SLAPPs gegen AoH betroffen.
„SLAPPs behindern nicht nur die Aktivist:innen, die direkt von einer Klage betroffen sind, sondern können weitreichendere Folgen haben: Rettet den Regenwald wurde in Deutschland von einem indonesischen Unternehmen verklagt, weil wir die Regenwaldzerstörung in Indonesien anprangern. Die Tatsache, dass es dem Unternehmen gelungen ist, uns in Europa vor Gericht zu zerren, gefährdet die Umweltschützer:innen in Asien. Die EU-Kommission muss daher ihrer globalen Verantwortung gerecht werden", betonte Marianne Klute, Vorsitzende von Rettet den Regenwald.
„Ein SLAPP ist nicht nur eine juristische Ohrfeige für diejenigen, die viel Zeit und Geld für ihre Verteidigung in endlosen Gerichtsverfahren investieren müssen, sondern auch ein Schlag ins Gesicht von rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien an sich. Wollen wir diese schützen, ist es höchste Zeit für ein europäisches Anti-SLAPP-Gesetz. Hätten wir schon 2017 eine EU-Richtlinie gegen SLAPPs gehabt - als wir im Umweltinstitut vom Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft und über 1370 Landwirtinnen und Landwirten angezeigt wurden - müsste mein Kollege Karl Bär wahrscheinlich jetzt nicht vor einem Südtiroler Gericht stehen, weil er den hohen Pestizideinsatz im Apfelanbau in der Region kritisiert hat", so Veronika Feicht, Referentin für Agrarpolitik des Umweltinstitut München.
„Menschen in ganz Europa erwarten jetzt von der Europäischen Kommission, dass sie ein Gesetz vorschlägt, das unsere Rechte schützt und Unternehmen daran hindert, böswillige Klagen zu nutzen, um Journalisten, Aktivisten und Whistleblowern zu behindern", sagte Eoin Dubsky, Aktivist bei SumOfUs.
„Der EU-Vorschlag zum Schutz von Journalisten und Aktivisten sollte sicherstellen, dass SLAPP-Opfer Hilfe bei der Verteidigung vor Gericht erhalten. Aber er sollte auch Präventivmaßnahmen einführen, die Unternehmen und Politiker davon abhalten, das Rechtssystem zu missbrauchen, um Kritiker zum Schweigen zu bringen", sagte Balazs Denes, Exekutivdirektor der Civil Liberties Union For Europe.
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