Alte Riten bewahren Guinea-Bissaus Wald
In der Heimat von Umweltschützer Lamin Seidi Cani sind die Wälder voller Geister, Dämonen und unheimlicher Kreaturen. Doch die Bösen bewirken Gutes: Die Spiritualität der Menschen hilft, die Natur zu bewahren. Hinzu kommt ganz profan die Macht des Radios.
Projektübersicht
ProjektthemaMenschen
Projektziel Eine Radio-Sendung deckt Umweltstraftaten auf
Aktivitäten Recherche für Radio-Sendung
In ein Kostüm aus Rinde gehüllt, schreitet der Waldgeist Kankoran Fambondi durch das Dorf Simboree, mit zwei Macheten in seinen Händen. Seine Erscheinung und seine Bewegungen sehen „sehr furchteinflößend“ aus, findet Lamin Seidi Cani. Doch genau das soll Gutes bewirken. Denn die Rinde des Fara Jung-Baumes dient dazu, die Natur zu bewahren. Wickelt der Kankoran Fambondi einen Streifen davon um einen Baumstamm, wirkt das wie ein Schutzschild: verletzen verboten, fällen erst recht.
Lamin Seidi Cani weiß die Autorität des Waldgeistes zu schätzen. Der Gründer der Organisation Our Resources kennt sich aus in der mystischen Welt der Mandinka, einer der Ethnien in Guinea-Bissau. Jüngst wurde er zu einem traditionellen König gekrönt. In einem aufwändigen Verfahren wurden seine Fähigkeiten und Kenntnisse von Ältesten geprüft, auch in den Nachbarländern.
„Spiritualität kennt keine Landesgrenzen“, sagt er während eines Skype-Gesprächs.
Traditioneller Glaube und Animismus sind fest im Alltag verwurzelt und so vielfältig, dass man kaum folgen kann, wenn Lamin darüber spricht. Aber er weiß, dass Spiritualität allein die Natur nicht rettet, insbesondere nicht, wenn Holzfäller oder korrupte Beamte den Glauben nicht teilen, sondern in den Wäldern lediglich eine Geldquelle sehen. Der Aktivist setzt daher auf die Macht der Information. Dabei spielt sein Radioprogramm „Tchintchor na Ronda“ eine Schlüsselrolle.*
Hörer rufen in der Redaktion an und berichten, wenn sie Umweltvergehen bemerken. Dorbewohner melden, wenn jemand ohne Genehmigung Palisander- und andere Bäume fällt. Und sie greifen ein, wenn es gilt, Straftaten aufzuklären oder zu vereiteln. Lamin wünscht sich deshalb, dass sein Radio Schule macht. „Ob im Senegal, in Gambia oder Guinea, überall erzähle ich davon – und viele Menschen wünschen sich, es gebe bei ihnen etwas Vergleichbares.“
Landrechte für die indigene Bevölkerung
Die ländliche, oft indigene Bevölkerung steht im Zentrum, wenn es um den Schutz der Wälder geht. Der gelingt dort am besten, wo die Menschen über Landrechte verfügten. Deshalb arbeitet Lamin daran, dass Flächen rund um die Dörfer vermessen und im Grundbuch eingetragen werden. So soll verbrieft werden, dass in einem Gebiet nur nach Beratung mit den Ältesten Bäume gefällt werden dürfen, Feuerholz produziert oder gejagt werden darf.
Lamin möchte zudem die Landwirtschaft auf Vielfalt trimmen. Dorfbewohner haben ihre Reisfelder vor einigen Jahren aufgegeben, weil importierter Reis billiger war. Jetzt ist der Preis gestiegen, der Anbau wäre nötig, um die eigene Ernährung zu sichern – doch die Felder sind unbrauchbar geworden. Weil deren Instandsetzung aufwändig ist, legen die Kleinbauern lieber neue Äcker an – und roden dafür Wald. Deshalb unterstützt Our Resources die Einheimischen dabei, die aufgegebenen Flächen wieder urbar zu machen. Etwa durch die Anschaffung eines alten Traktors. Über Reis zu Selbstversorgung hinaus sollen Obst- und Gemüsegärten den Menschen ein Einkommen bescheren.
Spiritualität und Realität Hand in Hand
Das Gespräch mit Lamin macht klar, wie eng der Schutz der Regenwälder mit den Bedürfnissen der örtlichen Bevölkerung, der Sicherung ihrer Ernährung und der Landwirtschaft zusammenhängt und global verwoben ist – etwa beim Reis oder dem Raubbau von Palisanderholz.
Der Einsatz für die Bewahrung der Natur in Guinea-Bissau muss daher beides sein: In der Realität verankert und zugleich von Spiritualität getragen.
Our Resources ist seit 2020 ein Partner von Rettet den Regenwald. Ausgangspunkt der Zusammenarbeit war die Sorge um Palisander-Bäume, auf Englisch Rosewood. Seither ist die Kooperation gewachsen.
„Rettet den Regenwald hat mehr für die Bewahrung unserer Wälder getan als die Vereinten Nationen“, sagt Umweltschützer Lamin Seidi Cani. Er lacht dabei – und meint es ernst.
* Der Name des Radioprogramms „Tchintchor na Ronda“ bezieht sich auf den Titel eines Liedes der guinea-bissauischen Sängerin Dulce Neves. Der Tchintchor ist ein Vogel, dessen Gesang Regen ankündigt.