RegenwaldReport 03/1998
Die andere „French Connection"
Der Schweizer Fotograf Karl Ammann kämpft seit Jahren gegen die Wilderei im afrikanischen Regenwald. Sein schlimmstes Erlebnis hatte er im August 1998, als er für Rettet den Regenwald das Gebiet zwischen Mbang und Lomié in Kamerun besuchte.
Heute ist der Tag nach dem Massaker an den fünf Gorillas. Zusammen mit Josef, meinem örtlichen Begleiter, sitze ich immer noch im Camp der französischen Holzfirma Pallisco fest und warte auf die Ankunft unseres Autos. Ich will die Zeit nutzen und die Fakten aufschreiben, solange sie mir noch frisch im Gedächtnis sind. Vorgestern morgen noch waren wir auf der Konzession der SEBC, einer französischen Holzfirma. Wir diskutierten mit einigen Dorfbewohnern, wie wir am besten zur Pallisco-Konzession gelangen könnten. Die Dorfbewohner meinten, es würde zu Fuss nur 4 bis 5 Stunden dauern, genauso lange wie mit dem Auto über Mbong-Bang. So entschieden wir uns, unseren Fahrer mit dem Wagen voraus zu schicken und selber den Weg mit einem Minimum an Gepäck zu laufen. Unterwegs wurde uns erzählt, dass der Sohn des Dorfchefs einen männlichen Gorilla geschossen hatte. Als wir später im Dorf ankamen, trafen wir auf Desiré, den Jäger des Silberrücken, der uns die Geschichte bestätigte. Er sagte, dass es etwa zwei Kilometer vom Camp entfernt gewesen sei, und das sie für den Transport des Kadavers vier Leute benötigt hätten. Wir fragten detailliert wie, wo und warum er den Silberrücken geschossen hatte und nach seiner Philosophie der Gorillajagd. Später, nachdem ich mich am Fluss gewaschen hatte, traf ich auf einen anderen mit Taschenlampe und Gewehr bewaffneten Jäger. Ich fragte ihn, was er zu jagen hoffte, und er erwiderte: „Bis zu zehn Waldantilopen." Ich kehrte zum Camp zurück und legte mich bald schlafen. Mitten in der Nacht begann es zu regnen, und als wir morgens aufstanden, fiel der Regen immer noch herab. Wir setzten uns zu einigen Bewohnern an ein Feuer unter das einzige Überdach und entschieden uns, das Ende des Regens abzuwarten. Der Dorfchef und alle anderen stimmten darin überein, dass es bis etwa 11 Uhr dauern würde, bis der Regen aufhören würde. Es war erst 6 Uhr, so dass uns jede Menge Zeit zum Reden blieb. Der Dorfchef erzählte, wie empört er über das Ausmass der kommerziellen Jagd in dieser Gegend sei, und zeigte uns einen Brief, den er an eine offizielle Stelle in Lomié verfasst hatte. In dem Brief erklärte er, dass die Lage ausser Kontrolle sei und dass wenn es so weiter ginge, seiner Meinung nach in zwei Jahren kein Wild mehr übrig sei. Als ich Josef fragte, ob der Nachtjäger vom Vorabend etwas geschossen habe, erzählte er mir, dass der Nachtjäger tatsächlich am Abend zurück gekommen sei und Desiré von Gorillas in ihrem Schlafnest erzählt habe. Die beiden Jäger hätten wenig geschlafen, um gegen 4 Uhr morgens in den Wald aufzubrechen. Josef war sich offensichtlich klar darüber, dass etwas im Gang war. Der Regen legte sich gegen 10 Uhr. Wir gaben den Leuten im Dorf kleine Geschenke für ihre Gastfreundschaft und wanderten in Richtung der SABE-Konzession, die von Pallisco bewirtschaftet wird. Nach zwei bis drei Meilen kamen wir zu einem Dorf, in dem Josef einige Bekannte begrüssen wollte. Als wir so dastanden, kam uns Desiré entgegen und unterhielt sich mit einem Burschen. Sein Gewehr hing über der Schulter, ein Guenon-Affe am Gewehrlauf. Er hatte uns am Tag vorher erzählt, dass er es vom Wachmann der Palliscoré-Konzession für 15.000 Francs CFA (25 Dollar) pro Monat gemietet hatte. Er hatte uns auch die Chevrotine-Munition aus französischer Produktion gezeigt, die er regelmässig benutzte, wenn er Gorillas jagte. Hier beginnt also die French-Connection, zusätzlich zur Tatsache, dass wir hier in der SEBCKonzession waren, der grössten französischen Konzession in Kamerun. Als ich ihn den Weg runterkommen sah mit nur dem einen kleinen Affen am Gewehr, war ich erleichtert. Als er den Dorfplatz erreichte, machte ich einen Scherz und sagte: „Ein sehr grosser Jäger mit einer sehr kleinen Beute!" Er ging wortlos in eine Hütte, und ich bleibe vor der Tür stehen, zusammen mit dem Burschen, mit dem er zuvor gesprochen hat. Der erzählt mir, dass Desiré tatsächlich Gorillas gejagt hatte und dass er mir davon erzählen würde, nachdem er sich einen Drink genehmigt hatte. Und so war es auch: Als Desiré wieder aus der Hütte kam, erzählt er mir, dass er drei Gorilla-Weibchen geschossen hatte. Er wollte weiter keine Details erzählen. Er war hier, um Leute zu holen, die mithelfen sollten, das Fleisch aus dem Wald zu tragen. Ich schlug ihm vor, dass er mir die Gorillas zeigen sollte, die er geschossen hatte, aber er fühlte sich zu nass und auch zu müde. Ich bot ihm ein sauberes, trockenes Hemd als Geschenk an, wenn er mit uns zu dem Jagdplatz gehen würde. Das T-Shirt gab den Ausschlag. Er stimmte zu, uns die toten Gorillas zu zeigen. Wir folgten Desiré, und ich versuchte ihn im Gehen zu interviewen. Ich fragte ihn, wie er die drei Gorilla-Weibchen geschossen hatte und warum nicht das Männchen, das sicher angegriffen hatte. Er erklärte, dass der andere Jäger, der nachts jagen gegangen war, auf das Männchen geschossen hatte als es angriff, aber das er wohl nicht richtig getroffen hatte. Das Gorilla-Männchen war geflohen, und die Weibchen seien alle wach in ihren Nestern gewesen, die sie für die Nacht gebaut hatten. Nun übernahm der Hund Plaisir die Arbeit. Desiré erklärte, dass der Hund es lieben würde, Gorillas zu jagen. Die Weibchen flohen von dem Hund gehetzt auf nahegelegene Bäume. Desiré konnte sich nun aufs Nachladen konzentrieren, um insgesamt drei von ihnen aus den Bäumen zu schiessen. Er bestätigte, dass er zumindest bei einem der drei Gorillas ein Baby bemerkt hatte. Wie auch immer, als er schoss, konnte er nicht genau sagen, was er treffen würde. Er gab zu, dass er ein Junges mittötete. Somit waren es vier tote Gorillas. Wir schwiegen und marschierten weiter. Etwa eine Stunde später verliessen wir die Holzstrasse und bogen nach rechts in den Wald ein. Wir liefen eine weitere halbe Stunde, als Desiré sagte: „Wir sind angekommen." Ich bat ihn nun, die ganze Geschichte von Anfang an zu erzählen, bevor wir uns die toten Tiere ansehen wollten. Vor uns lag eine Patrone, und er erzählte exakt, wo das Gorilla-Männchen links von ihnen aufgetaucht war und von wo sein Kollege geschossen und das Tier wahrscheinlich verwundet hatte, bevor es floh. Dann gingen wir zehn Schritte weiter und sahen das erste Weibchen, das aufrecht dasass. Ich fragte ihn, ob sie so hingefallen sei, und er sagte, er habe sie aufgerichtet. Dann sahen wir das Baby, das drei Schritte weiter entfernt lag. Ich fragte, warum es so schwere Wunden an der Brust habe. Er sagte, das sei nicht von den Schüssen, er habe die Brust geöffnet, um die Innereien an den Hund zu verfüttern. Ich bat ihn, das Baby zur Mutter hinüberzuziehen und zu erklären, wie er das Tier aus dem Baum geschossen hatte, wie er nicht wissen konnte, dass sie ein Baby hatte, wo sie doch vor ihm zwischen den Blättern saß. Wir gingen weitere zehn Meter, und da waren zwei weitere erschossene Weibchen und ein weiteres totes Baby, von dem er auch nichts berichtet hatte. Als ich ihn darauf ansprach, erwiderte er, dass er es vergessen habe und dass er tatsächlich alles in allem fünf Gorillas getötet habe. Die Dreiergruppe sah so aus, als sei es ein Weibchen mit grosser Tochter und Baby. Ich war in diesem Moment ziemlich aufgebracht, aber ich musste mich zusammennehmen und dokumentieren, was ich sah. Ich beschloss soviel wie möglich zu fotografieren und zu filmen, um dann so schnell wie möglich zu verschwinden. Ich befürchtete die Fragen der Träger, wenn sie erst aus dem Dorf ankommen würden, und dass Desiré dann überlegen würde, ob es wirklich in seinem Interesse sei, mich hier zu haben - Situationen, die schnell sehr unangenehm werden können. Desiré wollte die Leichen zerschneiden, ich konnte ihn aber überzeugen, sie erst zusammenzurücken, damit ich sie fotografieren konnte. An alles weitere erinnere ich mich nur noch verschwommen. Ich weiss nicht mehr genau, was ich filmte oder fotografierte, wann ich das Mikrofon einschaltete und ob ich das Blitzlicht benutzte. Desiré begann die Brust eines Weibchens zu öffnen und die Eingeweide herauszutrennen. Eine Situation, in der Jäger mit dem Blut der Tiere in Berührung kommen und sich Ebola oder aidsverwandte Viren übertragen können. Wir verliessen Desiré und machten uns auf den Rückweg. Wieso es überhaupt noch Gorillas in diesem Gebiet gab, war aus dem morgendlichen Gespräch mit dem Dorfchef klar. Er hatte daraufhin gewiesen, dass der Wald an dieser Stelle für die Holzfirmen nicht von Bedeutung sei, da es für sie wenig wertvolle Bäume geben würde. Das Gebiet sei allerdings aus allen Himmelsrichtungen von den Holzfällern eingekreist. Die Gorillas waren vor den Holzfällern aus den umliegenden Gegenden in dieses Gebiet geflohen. Die Jäger hatten das gemerkt und versorgten jetzt die Nachfrage nach Gorillafleisch und Buschmeat insgesamt sehr effektiv. Ich war inzwischen klitschnass. Kurz bevor wir die Strasse erreichten, trafen wir auf einen der Prospektoren der Firma Pallisco. Er trug ein Bündel Schlingen in der Hand und eine Duiker-Antilope auf dem Rücken. Er erklärte uns, dass das Pallisco-Camp die Strasse aufwärts liegen würde. Nach zwei Stunden Fussmarsch die Strasse entlang bezahlten wir unsere Träger und verliessen sie, um im Busch ein Lager für die Nacht aufzuschlagen. Am nächsten Morgen stoppten wir dann einen LKW, der uns mit in das 20 Kilometer entfernte Lager der Firma nahm. Es sieht so aus, als ob die Bosse unsicher sind, was sie von uns halten sollen und ob sie unserem Fahrer, den wir über Satellitentelefon verständigten, erlauben sollen uns abzuholen. Wenn sie es nicht erlauben sollten, steht uns noch ein 20 Kilometer- Fussmarsch bis zur Strasse nach Lomié bevor. Karl Ammann