RegenwaldReport 03/1999
Holzfäller plündern Nationalparks
Indonesien: Wissenschaftler richten verzweifelte Appelle an die Öffentlichkeit. Selbst in den Nationalparks Indonesiens wird die Lebensgrundlage der letzten Orang-Utans durch illegalen Holzeinschlag zerstört.
Im Hinterhof einer Holzfällerfamilie in Samarinda auf Borneo hat der Tierschützer Karl Ammann einen kleinen Orang-Utan entdeckt. Seit über einem Jahr wird er in einem engen Holzkäfig gefangen gehalten, der sich nicht öffnen lässt. Die Mutter des Orang-Utans wurde erschlagen. Die Besitzer lassen Karl Ammann den Orang-Utan filmen, weil sie hoffen, sein Mitleid zu Geld machen zu können. Mit diesen erschütternden Bildern berichtete Karl Ammann im September in einer Fernsehreportage im Fernsehsender Arte über die Zerstörung der letzten Lebensräume der Orang-Utans in Indonesien. Karl Ammann hat die Mitarbeiter eines Rehabilitationszentrums über den Orang-Utan informiert. Vielleicht hat der kleine Affe Glück und wird aus der Kiste befreit, um irgendwann ein Leben in Freiheit führen zu können. Im Leuser Nationalpark auf Sumatra leben die Orang-Utans noch in ihrer natürlichen Umgebung. In den Sumpfwäldern des Nationalparks haben die Orang-Utans einmalige Verhaltensweisen entwickelt. Mit speziell präparierten Holzstöcken „angeln" die Orang-Utans Termiten und Honigwaben aus Baumhöhlen heraus oder entfernen damit die Haare der Früchte des Neesia-Baumes, die Reizungen der Haut verursachen. Die Herstellung und Benutzung von Werkzeugen macht die Orang-Utans für die Wissenschaft besonders interessant. Die im Leuser Nationalpark gelegenen Forschungsstationen sind seit Jahren das Ziel von Wissenschaftlern aus aller Welt. Im Nationalpark leben die letzten etwa 4000 Orang-Utans auf Sumatra, der einzigen Menschenaffenart Asiens. Im Gebiet der Forschungsstation Suaq Balimbing, was übersetzt „Sternfrucht Sumpf" bedeutet, leben die OrangUtans in grossen sozialen Gruppen. Die Dichte von etwa sieben Tieren pro Quadratkilometer ist ungewöhnlich hoch und ermöglicht einzigartige Forschungsbedingungen. Die Wissenschaftler der Forschungsstationen alarmierten vor einigen Wochen die Weltöffentlickeit. Seit Monaten roden illegale Holzfäller im Leuser Nationalpark die Bäume. Die für Forschungsarbeiten eingestellten lokalen Mitarbeiter wurden von den Holzfällern bedroht: „Wenn ihr gegen die Rodungen etwas unternehmt, dann werden die Motorsägen gegen euch eingesetzt", so lautete eine der Drohungen. Die Forscher mussten hilflos mit ansehen, wie direkt an ihrem Forschungscamp der grösste Teil der Neesia- und sehr viele der Sandoricum-Bäume den Motorsägen der Holzfäller zum Opfer fielen. Alle drei bis vier Minuten stürzten die Bäume krachend zu Boden. Die Früchte dieser Bäume sind eine der wichtigsten Futterquellen für die Orang-Utans. 7000 OrangUtans sind der Waldvernichtung auf Sumatra in den letzten Jahren zum Opfer gefallen. Die Beschwerden der Wissenschaftler bei der Regierung und den lokalen Behörden blieben trotz der drohenden Ausrottung der Tiere ohne Wirkung. „Wenn nicht schnell etwas getan wird, dann kann die Forschungsstation bald geschlossen werden. In mehr als einem Drittel des Forschungsgebiets wurden schon illegal Bäume eingeschlagen", sagt Dr. Kathryn Monk vom Leuser Nationalpark. Auch auf der Insel Borneo kommt Karl Ammann zu gleichen Ergebnissen: Der 300000 Hektar grosse Tanjung Puting Nationalpark wurde 1996 und 1997 von riesigen Waldbränden verwüstet. Die meisten Feuer wurden Indonesien von Firmen zur Anlage industrieller Ölpalmen- und Holzplantagen gelegt. Nach den Feuern wüten nun vor allem illegale Holzfäller, Wilderer und Goldsucher im Nationalpark, wie Karl Ammann in der Filmreportage zeigte. Am Rande des Nationalparks erstrecken sich dort, wo vorher dichter Regenwald stand, vom Goldabbau völlig durchwühlte und vegetationslose Sandflächen. Das Wasser ist von dem zur Bindung der winzigen Goldklumpen verwendeten Quecksilber vergiftet. Weit in den Nationalpark hinein ziehen sich die Schneisen der Verwüstung der illegalen Holzfäller. Überall, wo noch Bäume wachsen, wird abgeholzt. Allein zwischen 1985 und 1995 verloren die Orang-Utans etwa 40% ihres Lebensraumes. Die Holzfäller plündern den Nationalpark, ohne sich verstecken zu müssen. Parkranger und Polizei schauen tatenlos zu. Im Nationalpark schreiben die Holzfäller die Gesetze. Die Station der Orang-Utan-Forscherin Carrey Yeager wurde ausgeraubt. Auf dem Tisch steht noch das letzte Frühstück. Die Wissenschaftlerin ist offensichtlich Hals über Kopf geflüchtet. „Sie bedrohten Wissenschaftler und Touristen solange, bis sie das Gebiet verliessen," berichtet auch Jatan Supriatna, Professor für Primatologie und Direktor der Umweltorganisation „Conservation International" in Indonesien. „Tanjung Puting war der sicherste Platz, jetzt finden wir nirgendwo mehr Orang-Utans." Nach dem Schicksal der ehemals etwa 2000 bis 3000 im Puting Nationalpark lebenden Orang-Utans gefragt, antwortet er düster: „Was glauben sie, wo die sind, wenn es keine Bäume mehr gibt?" Und Dr. Kathryn Monk vom Leuser Nationalpark gesteht resigniert: „Wir sollten uns glücklich schätzen. Wir haben die sagenhaften Tropenwälder Borneos und Sumatras mit eigenen Augen gesehen. Aber was werden wir kommenden Generationen hinterlassen?" Nach eindringlichen Gesprächen mit den Holzfällern konnten die Mitarbeiter des Leuser-Entwicklungsprogramms einen Stop der Rodungen auf dem Gebiet der Suaq Balimbing Forschungsstation erreichen. Die illegal gefällten Baumstämme durften die Holzfäller mitnehmen, bestraft wurde niemand. Mit dem mühsam erzielten Kompromiss konnten die verbleibenden Bäume zunächst gerettet werden. Eine Lösung für die Zukunft ist das aber nicht. Als Konsequenz wird jetzt in den angrenzenden Gebieten gerodet. Der Lebensraum der Orang-Utans schrumpft weiter. Klaus Schenck