Freunde auf immer und ewig
Mit kräftiger Unterstützung der rotgrünen Bundesregierung haben deutsche Firmen in Indonesien nahezu problemlos den Übergang von der Diktatur zur Demokratie gemanagt. „Bei uns herrscht höchste Zufriedenheit", berichtet Fritz Kleinsteuber. „Die Exportindustrie entwickle sich prächtig, die deutschen Banken hätten langfristig umgeschuldet, bei den Autobauern brumme es, und die Chemieindustrie erfreue sich kräftiger Zuwächse. Nur die Investitionen blieben noch zurück." „Doch der Blick nach vorne", so der Direktor der deutsch-indonesischen Handelskammer (EKONID) in Jakarta, „sei optimistisch".
Manch deutscher Unternehmer findet im neuen Indonesien allerdings auch Anlass zur Klage. „Es sei schlimmer geworden," sagt ein Rohstoffhändler. „Früher bekam man hier etwas für sein Schmiergeld; heute weiß man nie, wer noch alles die Hand aufhalten wird." Und ein Geschäftsmann aus Berlin bekennt: „Mir war die offene Korruption des alten Regimes lieber als die unkalkulierbare von heute."
Zwei Jahre nach dem Sturz des indonesischen Diktators Suharto regieren im Reich der 210 Millionen Einwohner noch immer Chaos, Gewalt und Korruption. Vetternwirtschaft, Bestechungsgelder und Umgehung des Wettbewerbes waren in Indonesien stets im Spiel. Wer nicht mitmachte, bekam kein Bein auf den Boden, gaben selbst seriöse Unternehmer hinter vorgehaltener Hand zu.
Wenig Erfolg
Seit Oktober 1999 haben sich allerdings die politischen Rahmenbedingungen in Indonesien geändert. Unter Präsident Adurraham Wahid regieren erstmals vorn Volk Gewählte. Sie versuchen, das Land zu demokratisieren, Korruption zu bekämpfen und Verbrechen aufzuarbeiten. Bisher jedoch mit wenig Erfolg. Der hingegen ist den Repräsentanten deutscher Unternehmen in Jakarta schon wieder vergönnt. Von den Folgen der Finanzkrise 1997/98, die Indonesien in die Zahlungsunfähigkeit trieb und die Karriere Suhartos beendete, haben sich die Gäste offensichtlich schneller erholt als der Gastgeber. Wie haben sie die Grätsche zwischen Schadensbegrenzung und Neuorientierung gemeistert?
Gut und leise. Die Umstrukturierungen deutscher Unternehmen in Indonesien seien weitgehend abgeschlossen, versucht Handelskammer-Chef Kleinsteuber das Phänomen zu erklären. „Wir rechnen nicht mehr mit größeren Vergangenheitsbewältigungen." Dass es so glimpflich verlief, hat die Betroffenen selbst überrascht. „Wir hatten erwartet, dass uns das enge Verhältnis zu Suharto und Habibie um die Ohren gehauen wird", gibt Kleinsteuber zu.
Gespaltene Zunge
Bisher kam es dazu nicht. Möglicherweise auch, weil die rot-grüne Bundesregierung den Unternehmern tatkräftig zur Seite stand. Berlin fährt in Indonesien einen Kurs mit gespaltener Zunge: Während Außenminister Joschka Fischer der jungen Demokratie Unterstützung zusichert, mehr Transparenz und Rechtsstaatlichkeit fordert, übt das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) Druck auf die Regierung in Jakarta aus. Damit umstrittene Verträge aus alten Zeiten auch künftig noch gelten. Zumindest dort, wo der deutsche Staat für das Risiko bürgt.
Der Wert aller noch offenen Hermes-Bürgschaften für Geschäfte mit Indonesien beträgt heute 9,8 Milliarden Mark. Schadensfälle hat es bereits gegeben. „Aus rein wirtschaftlichen Gründen", heißt es dazu aus dem Wirtschaftsministerium. In erster Linie sei die Asienkrise und damit verbundene Verfall der indonesischen Währung Ursache für die Zahlungsprobleme. Nicht etwa der politische Wandel. Das BMWi rechnet für 2001 mit weiteren HermesSchäden, für deren Deckung im Haushalt Sorge getragen werde.
Auf insgesamt 19,1 Milliarden Mark summierten sich die deutschen Investitionen in Indonesien bis Ende 1999. Hinzu kommen rund sechs Milliarden Mark an Entwicklungshilfe, die Jakarta seit 1960 aus Bonn erhielt. Bei deutschen Kreditinstituten sollen nach Aussagen eines Beraters der Deutschen Bank indonesische Schulden von rund vier Milliarden Mark aufgelaufen sein. In den 90er Jahren exportierte die Bundesrepublik einen Warenwert von drei bis fünf Milliarden Mark jährlich ins Inselreich.
Ohne Partner im Clan des Diktators wären Geschäfte dieser Größenordnung kaum zu meistern gewesen. Die Suhartos regierten ein Geflecht von über 1.200 Firmen in allen Bereichen der Wirtschaft. Ein Vermögen zwischen 15 und 45 Milliarden US-Dollar soll Suhartos Familie während dessen 32-jähriger Amtszeit angehäuft haben.
Deutsche Firmen
Mindestens 44 westliche Firmen waren an diesem Geflecht direkt beteiligt. Vor allem japanische und US-Konzerne, aber auch Unternehmen wie Siemens oder die Deutsche Telekom gehören dazu. In der Regel musste ein ausländischer Investor ein Clan-Unternehmen mit 10 bis 15 Prozent beteiligen, um den Zuschlag für ein Großprojekt zu erhalten. Ausschreibungen gab es nur in Ausnahmefällen. Das zog Mauscheleien geradezu an: Im August teilte Indonesiens Generalstaatsanwalt Marzuki Darusman mit, dass „Ermittlungen gegen deutsche Firmen wegen Korruptionsverdacht laufen". Die Deutschen verfügten über direkte Drähte in die Regierung. Dort saßen Minister, die in Deutschland studiert und bei Siemens oder MBB gearbeitet hatten.
Investitionsvorhaben - vor allem im Bereich der Stromversorgung - seien folglich "maßlos überteuert gewesen und haben zur Produktion von Überkapazitäten geführt', ist aus Kreisen der Weltbank zu hören.
1994 warnte die Bank vor überflüssigem Strom von Privatinvestoren. In einem vertraulichen Bericht von 1998 beklagt sie, dass Aufträge nicht durch Wettbewerb vergeben wurden.
Keine Ausschreibung
Ein deutsches Großprojekt ist das Kohlekraftwerk Paiton II im Osten der indonesischen Insel Java: Gesamtleistung 1240 Megawatt, Investitionsvolumen 1,7 Milliarden USDollar, keine Ausschreibung. An dem Build-Own-Operate-Projekt ist Siemens mit 50, die britische Firma PowerGen mit 35 Prozent beteiligt. Die restlichen 15 Prozent hält ein Unternehmen, dessen Hauptgesellschafter Suhartos Sohn Bambang Trihatmodjo ist.
Mit dem staatlichen Stromabnehmer Perusahaan Listrik Negara (PLN)
schlossen die Betreiber im Jahr 1995 einen Vertrag ab, der die PLN verpflichtet, 30 Jahre lang Energie zum Festpreis von zunächst 6,6, später 6,1 US-Cent pro Kilowattstunde, abzunehmen. Die PLN verteilt den Strom und verkauft ihn weiter an die Endabnehmer; aufgrund des Währungsverfalls und gesunkener Stromnachfrage ist sie inzwischen zahlungsunfähig. Ihre Kosten könne die PLN mit diesem Kilowattpreis ohnehin nur mit Mühe decken, urteilt ein Weltbankmitarbeiter. „Die Stromerzeuger haben mit der PLN zu Mondpreisen abgeschlossen, das war das Monkey-Business", sagt ein deutscher Interessenvertreter in Jakarta.
Korrupte Gebräuche
1999 kündigte die neue Regierung 13 der 26 Verträge mit privaten Stromerzeugern; bei den restlichen sollten Prüfungen stattfinden, „ob sie unter Ausnutzung von Vetternwirtschaft zustande gekommen sind". Die Verträge seien ein Auswuchs der korrupten Gebräuche des Suharto-Clans gewesen, sagte kürzlich Djiteng Marsudi. Er unterschrieb 1995 für die PLN die Papiere.
Die Saubermann-Politik der Regierung Wahid alarmierte die Kreditversicherer. Im Auftrag ihrer Regierungen bürgen sie für viele Projekte. So ist das Siemens-Kraftwerk Paiton II mit einer Heymes-Bürgschaft von 494 Millionen US-Dollar und einem beteiligungsähnlichen Darlehen der
Kreditanstalt für Wiederaufbau (K fW) von 540 Millionen US-Dollar abgesichert. Ex-Kanzler Kohl hatte sich dafür stark gemacht und sogar auf die bei Bürgschaften übliche Kaufgarantie des indonesischen Staates verzichtet.
Seit Mitte 1999 laufen hektische Verhandlungen, um eine gütliche Einigung an der Stromfront zu bewerkstelligen. Auf deutscher Seite sind das BMWi, die Hamburger Hermes-Versicherer und die KfW beteiligt. Mit am Tisch sitzen außerdem Kreditversicherer wie Regierungsvertreter Japans, der Schweiz und der USA, die Weltbank, die Asian Development Bank (ADB), sowie die PLN und die Regierung in Jakarta.
Politischer Druck
Massiver Druck sei auf die indonesische Regierung ausgeübt worden, berichtet ein Teilnehmer. In einem Brief der Kreditversicherer an die Regierung in Jakarta heißt es: „Von einer Lösung der Stromfrage wird das künftige Investitionsklima abhängen und unsere Möglichkeiten für weitere Zusammenarbeit."
Die Drohung zeigte Wirkung. Im Oktober einigten sich die deutsche und die indonesische Regierung auf eine „vorübergehende Lösung" des Energieproblems: Zahlungsaufschub für die bisher aufgelaufenen PLN-Schulden. Eine endgültige Vereinbarung sei bis Mitte 2001 geplant, so das Wirtschaftsministerium. Man gehe davon aus, dass das Projekt auf lange Sicht wirtschaftlich tragfähig sei - aufgrund steigender Nachfrage. Über Details der angestrebten, endgültigen Vereinbarung schweigen sich BMWi und Siemens aus. Die Stromtarife für das mit 143 Millionen US-Dollar im Ausland verschuldete Indonesien zu senken, bedeutet Verluste für Siemens, PowerGen und Suhartos Sohn. Auf einen Teil der Schulden zu verzichten oder Paiton II zu schließen, würde zudem den Bundeshaushalt belasten.
Unter den Tisch fiel bei der bisherigen Schadensbegrenzung die Frage, wie die umstrittenen Verträge zustande gekommen sind. Es habe im Zusammenhang mit Korruptionsgerüchten über Paiton II bisher weder staatsanwaltschaftliche Ermittlungen noch Gerichtsverfahren in Indonesien gegeben, sagen Sprecher von Siemens und BMWi. „Wir gehen davon aus, dass die Verträge rechtswirksam zustande kamen und Bestand haben", heißt es aus dem BMWi. Immerhin eine offene Hintertür, aus der das Ministerium im politischen Notfall hinausschlüpfen könnte. Doch mit weiteren Ermittlungen von Generalstaatsanwalt Darusman müssen die Deutschen wohl nicht mehr rechnen. Präsident Wahid ließ alle Untersuchungen gegen Stromerzeuger einstellen.
Zufriedene Unternehmer
War es Zufall oder Teil des Pakets, dass die Bundesregierung der indonesischen Regierung - gleichzeitig mit der vorübergehenden Lösung des Stromproblems - Entwicklungshilfezusagen in Höhe von 223 Millionen Mark machte? „Entwicklungshilfe wurde bei den Stromverhandlungen nicht direkt als Hebel eingesetzt", so das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Die deutschen Unternehmer in Indonesien sind jedenfalls zufrieden. Entspannt lauschten sie Anfang November dem Ehrengast aus dem fernen Berlin.
Auf einem Empfang der deutschindonesischen Handelskammer sprach Außenminister Fischer von demokratischer Transparenz und Rechtsstaatlichkeit als Voraussetzung für wirtschaftlichen Aufschwung; davon, dass Entwicklungshilfe nicht an Bedingungen geknüpft werde und vom Balanceakt zwischen Stabilität und Gerechtigkeit.
Wenig beeindruckt murmelte ein deutscher Geschäftsmann: „Seit Präsident Wahid kümmern wir uns nicht mehr um Indonesiens Politik."
Torsten Engelhardt © Financial Times Deutschland