RegenwaldReport 04/2003
Der stille Krieg im Regenwald
Die abgelegenen Regenwälder Zentralafrikas sind Tag für Tag Schauplatz von Menschenrechtsverletzungen, Wilderei und Naturzerstörung: Ein nicht erklärter Krieg, ausgelöst durch die Holzindustrie und die Konsumenten, gefördert durch korrupte Regierungen und toleriert von profitlastigen Umweltorganisationen. Eindrücke einer Visite im grünen Herzen Afrikas Ein Reisebericht des Schweizer Journalisten Ruedi Suter
Fahrt an die ferne Front. Dorthin, wo kaum je einer hinreist. Wo im frisch aufgerissenen Urwald bis zu 900 Jahre alte Baumriesen krachend zu Fall gebracht werden. Wo dem Urvolk der Pygmäen, aber auch Elefanten, Gorillas und anderen geschützten Tieren im Stundentakt die Lebensgrundlagen zerstört werden. Wo der Krach der Bulldozer, der Kettensägen, Lastwagen, Generatoren und Sägewerke den bis vor kurzem unangestasteten Regenwäldern ihren Wert und ihre Ruhe rauben. Wo Barackenstädte aus dem gerodeten Boden schießen, um sich mit Scharen von Händlern, Siedlern, Holzarbeitern,Waffenhändlern, Wilderern und Prostituierten zu füllen. Wo auf firmeneigenen Flugpisten die Verantwortlichen der Holzkonzerne und Beamte für Stippvisiten landen, um sich in gekühlten Räumen über Fortschritt, Fällquoten, Exportraten, Investitionen, Korruption und Umweltschutz zu unterhalten.
Und wo wir jetzt mit dem gemieteten 4x4 hinwollen: nach Ostkamerun, zu den Agglomerationen Libongo, Kabo und Ouessou, ins Dreiländereck am Shanga, dem mächtigen Grenzfluss, wo sich Kamerun, die Zentralafrikanische Republik und Kongo-Brazzaville berühren. Einmal mehr legt sich die Hand Karl Ammans sanft auf den Arm des schwarzen Fahrers: „Fahren Sie langsamer“, bittet der in Kenia lebende Fotograf bestimmt. Wie kaum ein anderer kennt er die Regenwälder im zentralen Afrika, bereiste während zwei Jahrzehnten kreuz und quer das risikoreiche Kongobecken, kennt auch diese Strecke mit den Strassensperren auswendig.
Das Tempo wird gedrosselt. Rund 700 Kilometer Landweg sind zu bewältigen, mehrere Tage Holpern und Rutschen auf engen, nach dem täglichen Regen seifenglatten Lateritpisten. Der hinter der nächsten Kurve mitten in der Straße heranrasende Lastwagen mit seinen tonnenschweren Stämmen auf der Ladefläche lässt unserem Fahrer keine Wahl. Er reißt das Steuer herum, der Wagen überschlägt sich, landet auf dem Dach. Die täglichen Holztransporte vom Osten in Richtung Kameruns Hauptstadt Yaounde und weiter in die Hafenstadt Douala am Atlantik fordern laufend Opfer. Die Fahrer der schweren Trucks fahren gerne um die Wette, zur nächsten Stadt oder Freundin. Zugedröhnt mit Guinness oder Cannabis geben sie enthemmt Vollgas. An den einst von den Holzindustrie angelegten Pisten verrosten die Fahrzeugwracks. Zeugen oft furchtbarer Unfälle. Kein Zweifel, hier herrscht das Recht der Rücksichtslosen.
Glück gehabt, nur ein paar Schnittwunden. Wir kriechen zum zersplitterten Beifahrerfenster hinaus. Ist die Reise nach vier Stunden schon beendet? Amman bringt sich am Waldrand in Sicherheit, verbindet seine Schnittwunden, öffnet seinen Koffer. Darin ein ganzes Kommunikationszentrum: Handys, Kameras, Filmapparate, GPS-Gerät, Computer – und ein Satellitentelefon. Via Weltraum informiert der Schweizer stoisch ein paar Kontaktpersonen. Jetzt wird klar, diese Expedition ist generalstabsmäßig geplant. Bei einem Verschwinden, Unfall oder einer Verhaftung würde ein Netz engagierter Mitarbeiter/-innen aus Kreisen von Umweltschützern, Menschenrechtlern und Diplomaten aktiv.
Was nur ist das für ein Kerl, der sich daheim mit dem ausgewachsenen Schimpansen „Mzee“ balgt, den er vor dem Kochtopf rettete? Ich kenne ihn nicht, nur seine Fotos von misshandelten und abgeschlachteten Menschenaffen aus den afrikanischen Regenwäldern. Erschütternde Bilder, die der Welt vor zehn Jahren erstmals vor Augen führten: Im Herzen Afrikas tobt ein Krieg gegen die Schöpfung, abgeschieden und kaum beachtet. Dort beschaffen sich europäische Holzkonzerne für uns Konsumenten in Europa und den USA billiges und hochwertiges Tropenholz. Sie walzen mit Unterstützung von afrikanischer Regierungen, Entwicklungsgeld, Weltbank und unter Aufsicht von Umweltorganisationen wie WWF und der amerikanischen WCS Straßen in den Urwald, holen die wertvollsten Bäume heraus, entwurzeln die Waldnomaden und pumpen hungrige Arbeiter, mittellose Beamte und geschäftstüchtige Fremde in den Wald.
So wird dieses Paradies aus seinem Gleichgewicht gehebelt. Deshalb die Wilderei, deshalb der explodierende Handel mit Buschfleisch, deshalb die rasende Ausrottung geschützter Tierarten: Die „Bushmeat Crisis“ ist heute ein Begriff – dank Karl Ammann (geboren 1949). Dieser ist unterdessen als hartnäckiger Rechercheur, Mahner und Hinterfrager in Sachen Tropenwaldzerstörung, Artenschutz und Menschenrechte gefürchtet. In den Chefetagen der Konzerne ebenso wie in den Büros der Ministerien, Entwicklungs- und Umweltorganisationen. Denn Ammann, der studierte Wirtschaftsfachmann, ist ein Rationalist. Er liefert Zahlen und Fakten, verlangt diese aber auch von der Gegenseite. Und er beharrt auf ehrliche Transparenz, stellt Fragen, reist in die abgelegensten Urwaldgebiete und sammelt wagemutig Beweise für die unkontrollierte Zerstörung der afrikanischen Regenwälder. Er will bewusst machen, zur Diskussion stellen. In langen Abhandlungen, Büchern oder Reden vor Gremien wie Europa-Parlament, UNO und Weltbank.
Glück gehabt: Ein Pick-up nimmt uns mit bis in die Stadt Bertoua. Von dort mit dem nächsten Mietwagen weiter zur Holzfällerstadt Yokaduma. Hier lebt seit 33 Jahren Missionsschwester Rita Rossi aus Florenz. Sie klagt, mit der Ankunft der Holzindustrie habe der Niedergang der Baka (Pygmäen) begonnen. Ziehen die Konzerne dereinst ab, sei die Baka- Kultur vernichtet und die ökologisch verwüstete Region falle in einen Alptraum ohne Arbeit und Zukunftsperspektiven. Die Baka, kleine feingliedrige Waldnomaden, sind Jäger und Sammler. Vergeben die Regierungen in den Hauptstädten Zentralafrikas ihre Holzkonzessionen, verramschen sie ungefragt die Heimat der Ureinwohner.
Für die mit der Abholzung anrückenden Bantu sprechenden Heerscharen sind die Pygmäen „Affen“: Sie werden ge- und verjagt, ausgebeutet, oft vergewaltigt und als Arbeitssklaven missbraucht. Das bestätigen uns wenig später auch europäische Berufsjäger, die nur Baka anstellen. „Weil niemand anders zuverlässiger ist und besser die Wälder und Tiere kennt“. Die Pygmäen sind die ersten Opfer der mit europäischen Steuergeldern unterstützten Abholzung der Regenwälder. Weiterfahrt nach Südosten, wo neun Holzfirmen fällen. Links und rechts bis zu 40 Meter hohe Baumriesen, dichter Urwald, ein flüchtender Gorilla, ab und zu ein neueres Bantu-Dorf, die Blatthütten einiger Bakas und immer wieder Lastwagen und misstrauisch Fragen stellende Polizei an den unzähligen Straßensperren. Man will wissen, wer in die Konzessionen fährt, sagt aber, man suche nach Bushmeat und illegalem Holz. Doch hier werden wir wenigstens durchgelassen, im Gegensatz zu anderen Ländern, wo Holzfirmen „ihre“ Gebiete hermetisch abriegeln.
Plötzlich ein stehender Geländewagen mit einem TVE-Filmteam, das für BBC arbeitet. „Hier wurden vor wenigen Tagen sechs Elefanten erschossen, geräuchert und mit Lastern abtransportiert“, erklärt Reiseführer Joseph Melloh – ein Bantu und Ex-Gorillawilderer, der mit Ammanns Hilfe zum mutigsten Tierschützer Kameruns mutierte. Einige Schritte in den Busch, Gestank, Fliegen, und da liegt das, waseinst eine Herde war: Ohren, Knochen, Hautfetzen und mit wimmelnden Maden überdeckte Innereien. Daneben die Feuerstellen und Gerüste fürs Räuchern.
Später, in der Stadt Libongo an Shangafluss, stoßen wir auf Bushmeathändler und einen gefangenen Jung-Gorilla, den Amman beschlagnahmen lässt. Alles zufällige Beweise, dass in den Konzessionen weder die Vertreibung der Baka noch Wilderei und Fleischhandel eingedämmt sind. Es wird nur nicht mehr so offen betrieben. Undurchsichtig ist auch das Gebaren der Holzfirmen. Man spricht zwar viel von Nachhaltigkeit, von Sozialverträglichkeit, von Steuergewinnen für die Bevölkerung, beruft sich aber gleichzeitig aufs Geschäftsgeheimnis, verhindert unabhängige Kontrollen und lässt nur wenig ins Land zurückfliessen.
„Meine Erfahrungen im letzten Jahrzehnt zeigen, dass die Dinge in den zentralafrikanischen Regenwäldern nicht vor, sondern rückwärts gehen“, folgert Kronzeuge Amman. „Seit zehn Jahren reden Regierungen, Holzkonzerne, WCS und WWF von einer FSCZertifizierung. So werden wir hingehalten, derweil die letzten Regenwälder Afrikas rund um die Uhr und auch nachts bei Scheinwerferlicht dezimiert werden. Sie vertrösten uns, signalisieren Einsicht, doch in Tat und Wahrheit machen sie rücksichtslos weiter. Alle Debatten um Nachhaltigkeit werden für die Konsumenten in den Industrieländern geführt. Aber in ihren internen Entscheidungsprozessen geht es einzig um die schnellen Gewinne.“
Ammann gegenüber erklärte der Patron einer französischen Holzfirma: Keiner von uns schlägt in Afrika legal ein. Dank der Korruption und schlechten Regierungsqualität könne ungestraft und billig abgeräumt werden. Vom kamerunischen Libongo den Shanga hinab ins kongolesische Kabo braucht es einen Tag. Das Filmteam und ich besteigen einen Einbaum. Ammann und Melloh bleiben zurück. Im Kongo sind sie persona non grata, seitdem der Kameruner 2002 im Auftrag des Schweizers unbewilligte Filmaufnahmen in der Konzession der CIB (Congolaise Industrielle des Bois) machte, um unter anderem den Handel mit Buschfleisch zu belegen. Er wurde verhaftet, verschwand und kam erst auf massiven internationalen Druck wieder frei.
Ammanns Behauptung, die mächtige, vom Deutschen Hinrich Stoll aufgebaute CIB (tt Timber Gruppe) schotte in Zusammenarbeit mit der Regierung in Brazzaville und der WCS (Wildlife Conservation Society) den Nordkongo hermetisch ab, will geprüft sein. Tatsächlich wurde mir in Genf das Touristenvisum verweigert, begründungslos. Ich habe es trotzdem erhalten, in Yaounde. Aber auch das hilft nichts. Der Immigrations-Offizier in Kabo meldet die weißen Ankömmlinge dem WCS-Büro. Nachdem uns dieses nach dem Beruf gefragt hat, „hilft“ es uns hektisch, das Land per Schnellboot zu verlassen.
Der Nordkongo ist eine Sperrzone, in die man nur auf Einladung der CIB hinein kommt. Unangemeldete Besuche oder Kontrollen sind nicht möglich. Doch genau diese verlangt Ammann für die letzten Regenwälder. Denn nur so könne geprüft werden, ob sich alle Beteiligten an die Regel halten: „Es braucht international finanzierte Undercover-Teams aus Einheimischen,die sich auskennen, nicht auffallen und unerkannt recherchieren. Denn richtig wäre: Die Konzerne schlagen ihr Holz ein, die Regierungen kontrollieren den legalen Einschlag und das Zahlen der Steuern, und die Umweltorganisationen überprüfen die Konzerne und die Regierungen, dass der Einschlag nachhaltig erfolgt. So würden sich die drei Mächte gegenseitig kontrollieren.
Die Politik des guten Zuredens durch die Umweltmultis WSC und WWF hat laut Ammann in von Korruption geprägten Zentralafrika kläglich versagt. Anstatt mit internationalem Druck den Firmen und Regierungen klar den Tarif durchzugeben und auf das FSC zu beharren, akzeptiere man faule Kompromisse. Derweil würde den Spender/- innen daheim das Gefühl vermittelt, es laufe alles bestens. „Tatsächlich ist zurzeit aber der Ausverkauf der afrikanischen Regenwälder im Gang - auch durch die WSC und den WWF.“ Wir landen in Sucambo. Hier werden die Holz-Trucks der CIB vom Kongo über den Fluss nach Kamerun gebracht, um dann nach Douala an den Atlantik zu fahren. Obwohl die CIB ausweichend oder gar nicht auf kritische Pressefragen reagiert, gilt sie als die ökologisch bewussteste Holzfirma. Sie rühmt sich auch, ihre Lastwagen würden kein Buschfleisch mehr transportieren.
Europäische Jäger in der Region stellen das Gegenteil fest. Von ihren Beweisen will die CIB aber nichts wissen. Nicht genug: Nachts, in einem Versteck, packt uns gegenüber ein verzweifelter Wildhüter aus. Er untersteht dem MINEF (Kamerunisches Ministerium für Umwelt und Wälder), bezahlt wird seine Truppe vom WWF. Sein Chef und viele seiner Kameraden würden eng mit den Wilderern zusammenarbeiten. Er nennt Beispiele. Und diese bestätigen: Fast nichts ist unter Kontrolle in den fernen Regenwäldern Zentralafrikas. Um sie und ihre Menschen und Tiere zu retten, dürften sie nicht mehr angetastet werden: Die Industrien müssten abziehen. „Doch dann“, sagt Wirtschaftsfachmann Ammann, „müssen wir Formeln finden, um diese Länder zu kompensieren.“