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RegenwaldReport 03/2007

Die "Biosprit-Lüge": Nachwachsender Wahnsinn

Die „Biosprit-Lüge“ entwickelt eine katastrophale Dynamik, die die Welt erschüttert. Doch auch der weltweite Widerstand wächst. Von Werner Paczian

Innocence Dias starb einen grausamen Tod. Seine Mörder stachen sieben Mal auf ihn ein und schnitten ihm die Kehle durch. Jahrzehntelang hatte er den Guerillakrieg im kolumbianischen Departement Antioquia und den Terror durch paramilitärische Gruppen und Drogenbarone überlebt. Innocence Dias starb paradoxerweise, weil die Welt durch „grüne“ Energie besser werden soll.

Sein Fehler war, dass er sein Land nicht an eine Gruppe von Paramilitärs verkaufen wollte, die eines Tages in seinem Dorf Llano Rico auftauchte. Nach dem Mord gab Dias` Familie auf und floh. Heute wachsen auf dem Land der Vertriebenen Ölpalmen der Agrarsprit-Firma Urapalma, mit der die Paramilitärs zusammengearbeitet haben.

Große Regenwaldflächen sind in dem südamerikanischen Land inzwischen in Palmöl-Plantagen verwandelt worden, angeheizt durch den „Energiedurst“ in den Industriestaaten auf sogenannte „umweltfreundliche“ Energie aus nachwachsenden Rohstoffen. Der Boom hat katastrophale Konsequenzen für Tausende kolumbianische Kleinbauern. „Paramilitärische Gruppen gehen auf der Suche nach Land für Palmöl mit brutaler Gewalt vor“, berichtet der britische Entwicklungshelfer Dominic Nutt, der kürzlich Kolumbien besucht hat. „Sie sagen dem Kleinbauern einfach: Wenn du nicht verkaufst, verhandeln wir morgen mit deiner Witwe.“

Fast jeden Tag bringt heute irgendein PR-Dienst irgendwo auf der Welt einen Bericht, wonach gerade eine neue wunderbare grüne Ära anbricht – die Ära der Biotreibstoffe. Obwohl die Ölkonzerne das schwarze Gold noch lange aus dem Boden pumpen werden, besteht der ungeschriebene, globale Konsens, dass es dringend nötig ist, den Ölverbrauch zu drosseln. Das „böse“ Öl ist ganz schwer mitverantwortlich für Umweltverschmutzung, schlechte Luft, Krankheiten und vor allem – die Klimakatastrophe.

Gottlob hat die Menschheit einen Ausweg aus diesem Desaster gefunden: Nachwachsende Rohstoffe wie Palmöl, Mais, Soja oder Zuckerrohr, mit denen unsere Häuser beheizt, unsere Einkaufspassagen erleuchtet und unsere Autos mit Allradantrieb und Klimaanlage betrieben werden können.Treibhausgase würden deutlich reduziert, wenn unsere Autos mit Biosprit fahren, bei dem die Pflanzen das ausgestoßene CO2 vorher gebunden haben. Länder ohne eigene Ölproduktion würden in Sachen Energie unabhängiger, Kleinbauern hätten ein Einkommen, weil sie ihre Energiepflanzen auf dem Weltmarkt anbieten könnten. Arme Länder würden plötzlich reich, weil sie ihre Energie vom Acker überall auf der Welt anbieten könnten.

Alles eine gigantische, globale Lüge! Tatsächlich ist schon die Bezeichnung „Bioenergie“ bewusste Manipulation. Die Vorsilbe suggeriert, dass die Produkte organisch und umweltfreundlich erzeugt werden. Der Begriff „Agrarenergie“ beschreibt viel treffender die zerstörerischen Prozesse, die mit der industriellen landwirtschaftlichen Energieproduktion verbunden sind.

Agrarenergie rettet nicht das Klima, sondern zerstört Regenwälder, Savannen und Moore und heizt damit die Klimakatastrophe sogar zusätzlich an. Kleinbauern und Indigene werden teils brutal von ihren Ländereien vertrieben. Als Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau verschärft Agrarenergie den weltweiten Hunger und wird zum sozialen Sprengsatz. Die Gentechnik-Industrie träumt endlich vom globalen Durchbruch und schmiedet gemeinsam mit Öl-, Pestizid-, Saatgut- und Autokonzernen an einem globalen Energiekartell, das Milliarden an Subventionen erhält. Obwohl inzwischen Hunderttausende Ethanol- und Palmölsklaven im Namen des Agrarenergie-Booms schuften, wird eine größere Unabhängigkeit vom Erdöl trotzdem mitnichten erreicht.

Bio, Business oder Big Bio-Business?

Die Hoffnung, Energie aus nachwachsenden Rohstoffen könne die Macht der Öl-, Energie- und Autoindustrie brechen, ist eine naive Ansicht. Der Agrarsprit-Boom wurde nicht ausgelöst von Umweltaktivisten oder Politikern, die ein echtes Interesse daran haben, die Klimakatastrophe und Umweltzerstörung zu verhindern. Die Lawine losgetreten haben die weltweit mächtigsten Multis und ihre politischen Lakaien.

Mit dabei sind riesige Konzerne aus der Öl-, Auto-, Chemie- und Gentechnik- Industrie und globale Investment-Fonds. Nahrungsmittelmultis wie Cargill und Archer Daniels Midland Company (ADM) kontrollieren schon heute die Lebensmittelproduktion in weiten Teilen der Erde. Die Agrarenergie eröffnet ihnen zusätzliche Märkte. Superkonzerne wie Monsanto, Syngenta, Bayer und BASF investieren wie wild in Agrarpflanzen, die den Anforderungen der Agrarsprit- Produzenten entsprechen. Noch gezieltere und höhere Erträge verspricht die Gentechnik-Industrie.

Für die Ölkonzerne ist der Boom ein gefundenes ökonomisches Fressen. Einerseits können sie ihre Petrodollars in die Zukunftsbranche Agrarsprit investieren, andererseits können sie in ihrem angestammten Business weitermachen, weil auch die Nachfrage nach fossilen Rohstoffen laut diversen Prognosen steigen wird. Für die Automobilindustrie ist der Agrarsprit-Boom die perfekte Ablenkung von Forderungen, endlich spritarme Autos zu produzieren oder sogar weniger Pkw als bisher. Abgerundet wird der Agrarsprit-Boom durch Investment- Unternehmen, die die Branche mit ausreichend Kapital füttern.

Es herrscht Goldgräberstimmung wie zu Rockefellers Zeiten. Der Ölkonzern BP kooperiert mit dem chemischen und biotechnologischen Unternehmen DuPont, um eine neue Generation von genmanipuliertem Pflanzenkraftstoff zu entwickeln. Toyota arbeitet mit BP in Kanada daran, Ethanol aus Zellulose herzustellen. VW hat einen Vertrag mit ADM abgeschlossen. Royal Dutch Shell ist dabei, eine zweite Generation von Agrartreibstoffen zu entwickeln, und versucht sich an Ethanol aus Lignin und Zellulose. Und Cargill, der Aground Nahrungsmittelriese, hat begonnen, selbst Pflanzendiesel herzustellen.

Aus deutschen Landen frisch in den Tank – das ist der Trend. Die Verbio AG verwandelt hauptsächlich Rapsöl in Agrardiesel, arbeitet aber an Verfahren, um verstärkt Soja- und Palmöl verwenden zu können. Andere deutsche Unternehmen investieren in Holland und Belgien, die mit ihren Häfen Rotterdam und Antwerpen die größten europäischen Umschlagsplätze für Agrarsprit werden wollen. E.ON und RWE planen den Bau kombinierter Steinkohle- und Biomassekraftwerke. Die Südzucker-Tochter CropEnergies errichtet eine Ethanolfabrik im belgischen Wanze.

Mitte August 2007 teilte das Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR) in Münster mit, in Deutschland würden immer mehr Produktionsanlagen zur Herstellung von Agrardiesel errichtet, die Kapazitäten würden in diesem Jahr auf ein Rekordniveau steigen. Nach einer aktuellen Analyse seien für das laufende Jahr zusätzliche Anlagen mit einer Jahreskapazität von 1,54 Millionen Tonnen geplant, so das IWR. Die gesamte Kapazität zur Produktion von Agrardiesel steige bis Ende des Jahres um über 40 Prozent auf rund 5,4 Millionen Tonnen (2006: 3,8 Millionen Tonnen).

Frankenstein-Sprit

Die großen Gewinner des landwirtschaftlichen Jahrhundertbluffs „Bioenergie“ sind die Gentech-Konzerne. Während Genfood bis heute von den meisten Verbrauchern abgelehnt wird, können sich Automotoren nicht wehren. Mit genmanipulierten Rohstoffen zur Agrarenergiegewinnung versucht die Branche hoffähig zu werden. Unter Beteiligung von BASF Plant Science experimentieren Forscher beispielsweise mit genmanipulierten Manioksorten, die höhere Stärkeanteile produzieren. Die Zulassung der Gensorten wird die industrielle Maniokproduktion zur Energieerzeugung in vielen tropischen Regionen forcieren. Dem traditionellen Anbau dieses Grundnahrungsmittels hingegen droht die Verdrängung.

In den USA sind 70 Prozent der Mais- und Sojapflanzen gentechnisch verändert. In Südamerika dominiert Monsanto den Markt mit seinem genmanipulierten Soja, das resistent ist gegen „Roundup“, ein Herbizid, das krebsfördernd ist und Missbildungen hervorruft. Die Gentech-Konzerne testen längst Sorten, die speziell für die Produktion von Agrartreibstoffen entwickelt wurden. Syngenta hat in die Maissorte 3272 das Enzym Alpha-Amylase eingepflanzt, ein starkes Allergen. Gelangen die Gene dieses Enzyms in die Nahrungskette, wäre das ein Super-GAU.

Die Millionen Kleinbauern, die angeblich vom Agrarenergie-Boom endlich zu Wohlstand kommen, sucht man vergebens in dem neuen Big Business. Stattdessen beherrschen global agierende Konzerne, milliardenschwere Investoren und Großgrundbesitzer den Markt, die es längst zu Reichtum gebracht haben. Trotzdem erhält der Agrartreibstoffsektor weltweit so viele Subventionen aus öffentlichen Geldern wie kaum eine andere Branche. Die „Global Subsidies Initiative“ hat errechnet, dass allein die US-Steuerzahler den Agrosprit-Boom mit jährlich rund 5,5 bis 7,3 Milliarden US-Dollar subventionieren.

Auch die Bundesregierung, die EU und wir Verbraucher subventionieren die Produktion und den Einsatz von „Agrarkraftstoffen“ oder zahlen künstlich erhöhte Endpreise. Ende Juli 2007 mahnte ausgerechnet der Sachverständigenrat für Umweltfragen eine Umkehr in der Förderpolitik an, das Gremium wurde pikanterweise von der Bundesregierung selbst eingerichtet. „Der vielfach verbreitete Eindruck, Biomasse könne in absehbarer Zeit einen großen Teil der fossilen Brennstoffe – klimafreundlich – ersetzen, ist wissenschaftlich nicht tragbar“, schreiben die Sachverständigen in einem Sondergutachten und kritisieren die bestehenden Subventionen für Agrarenergie.

Klimaschutz durch Klimakiller

Agrarenergie bremst nicht den Klimawandel, sie heizt ihn kräftig an. Allein durch das Abfackeln von Regenwäldern und Torfgebieten in Südostasien, um Platz für Palmölplantagen zu schaffen, werden Megatonnen CO2 freigesetzt, bevor auch nur ein Gramm CO2 bei uns eingespart werden kann.

In Brasilien, das weltweit führend in der Produktion von Ethanol als Treibstoff ist, stammen 80 Prozent der nationalen Treibhausgasemissionen nicht vom Autoverkehr, sondern von Brandrodung und Abholzung, teils als Folge der Ausweitung der Soja- und Zuckerrohrplantagen.

Schon heute ist ein wesentlicher Grund für die Klimakatastrophe das Agrobusiness selbst und das damit verbundene globale Ernährungssystem. Die Landwirtschaft ist für 14 Prozent der weltweiten Treibhausgase verantwortlich. Wichtigster Einzelgrund ist der Einsatz gigantischer Mengen Kunstdünger, wodurch permanent Stickoxide in die Atmosphäre gelangen, die sogar noch wesentlich schädlichere Klimagase sind als CO2.

Laut „Stern Review“, eine Studie zu Ökonomie und Klimawandel im Auftrag der britischen Regierung, werden die gesamten Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft bis zum Jahr 2020 um etwa 30 Prozent ansteigen. Die sogenannten Entwicklungsländer werden ihren Verbrauch von chemischen Düngemitteln während desselben Zeitraums verdoppeln, Folge auch des Agrarenergie- Booms. Die Klimakatastrophe ausgerechnet mithilfe der Agrarindustrie bekämpfen zu wollen, ist wie den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben – vielleicht noch schlimmer.

Die Erdöl-Lüge

Immerhin befreit uns die Agrarenergie von der Geißel Erdöl, die uns seit Jahrzehnten erpressbar macht, so die Befürworter der „grünen“ Revolution. Wenn sich jemand mit Erdöl auskennt, dann sind es die Ölkrieg führenden Experten um Bush und Co. Laut Daten des „International Energy Outlook“ der US-Regierung aus 2006 steigt der globale Energieverbrauch zwischen 2003 und 2030 um 71 Prozent. Der Verbrauch an Erdöl werde um 50 Prozent steigen, der von Kohle, Erdgas und Erneuerbaren Energien sich jeweils nahezu verdoppeln, und die Nuklearenergie werde um ein Drittel wachsen. Nach dem US-amtlichen Bericht wird die Erneuerbare Energie inklusive Agrartreibstoffen 2030 nicht mehr als magere neun Prozent des globalen Energieverbrauchs ausmachen.

Völlig unrealistisch ist daher die Annahme, dass die weltweiten Acker den globalen Energieverbrauch decken können. Selbst wenn die USA ihre gesamte Mais- und Soja-Ernte in Agrarsprit verarbeiteten, könnten damit lediglich 12 Prozent des nationalen Benzinverbrauchs und nur sechs Prozent des nationalen Dieselverbrauchs gedeckt werden. Weshalb klar ist, dass die Agrotreibstoffdiskussion vor allem auf die sogenannten Entwicklungsländer abzielt.

Für die Weltbank mit ihrer lateinamerikanischen Tochter, die inter-amerikanische Entwicklungsbank, ist das größte südamerikanische Land, Brasilien, der ideale Ort für die Agrartreibstoffexpansion, weil es dort noch viel Platz für neue Anbauflächen gebe. Die Weltbank-Tochter rechnet mit 120 Millionen Hektar potenziell verwertbarem Ackerland. Ähnliche Berichte rechnen vor, dass Lateinamerika, Südostasien und Afrika zusammen rund 50 Prozent des global benötigten Agrartreibstoffs produzieren könnten, wenn man die dortigen „ineffektiven“ traditionellen Bauernkulturen durch industrielle, „effektive“ Agrarplantagen ersetze. Ein Vorgang, der beispielhaft bereits in Brasilien vorgeführt wird: Allein zwischen 1985 und 1996 wurden dort 5,3 Millionen Menschen von ihrem Land vertrieben – um Platz vor allem für Soja- und Eukalyptusplantagen sowie für Rinderweiden und Zuckerrohrplantagen zu schaffen.

Die Entwicklungshilfe-Lüge

Agrartreibstoffe bekämpfen nicht die Armut in den Ländern des Südens – sie bekämpfen vielmehr die Armen. Die große Mehrheit der Bauern dort besitzt nur wenig Land. Die Produktion auf kleinen Flächen zur Deckung des weltweiten Energiebedarfs ist nicht rentabel. Für Agrarkraftstoffe werden daher ganze Landstriche in industrielle Monokulturen umgewandelt. Das Geschäft machen Konzerne und Großgrundbesitzer. Die Folge sind schwerste Menschenrechtsverletzungen und Vertreibungen.

In Kolumbien wurden Dörfer von Flugzeugen und Hubschraubern aus bombardiert. Sobald die Überlebenden ihre Heimat verlassen haben, wird ihr Land konfisziert, der Wald abgeholzt und in Palmölplantagen verwandelt. Diese dienen dann der Produktion von pflanzlichem Diesel für die Reichen. Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen haben gewaltsame Vertreibungen und Drohungen durch die Agrarsprit-Mafia auch in Indonesien, Malaysia, Ecuador, Peru, Kamerun, Uganda und anderen Ländern des Südens dokumentiert.

In Tansania etwa sollen Tausende Kleinbauern aus elf Dörfern dem britischen Konzern „Sun Biofuels PLC“ weichen, der im Kisarawe-Distrikt an der Küste auf 9.000 Hektar Jatropha-Ölpflanzen anbauen will – es fehlt nur noch die formale Unterschrift von Präsident Jakaya Kikwete. Das Agrarenergie-Geschäft stinkt geradezu nach Korruption und ist offenbar so lukrativ, dass „Sun Biofuels PLC“ über 630 Millionen Dollar Entschädigungen an 2.840 Haushalte zahlen will.

Weiter nördlich geht es den letzten afrikanischen Elefanten in Äthiopien an den Kragen. Dort will die Münchener Firma „Flora Ecopower AG“ im offiziellen Schutzgebiet „Babile Elephant Sanctary“ Rizinusölpflanzen anbauen. Die Genehmigung für die Plantagen im Schutzgebiet mit noch rund 260 Elefanten erteilten die lokalen Behörden ohne Umweltverträglichkeitsprüfungen für 45 Jahre. Ein Firmensprecher verteidigt das Agrarsprit-Projekt als „neues Konzept der Entwicklungshilfe“.

Benzin statt Brot

„Die Produktion von Agrartreibstoffen kann weltweit zu Hunderttausenden zusätzlichen Hungertoten führen“, warnte im Juni 2007 Jean Ziegler, UN-Sonderbotschafter für das Recht auf Nahrung. Der bekannte Soziologe und frühere Schweizer Parlamentarier beschuldigt die EU, Japan und die USA der „totalen Heuchelei“, weil sie Agrartreibstoffe förderten, um ihre eigene Abhängigkeit von Ölimporten zu verringern. Dadurch erhöhe sich der Druck auf Land, das für Nahrungsmittelproduktion benötigt werde.

Weil weltweit immer mehr Nahrungsmittel zur Energiegewinnung verbrannt werden, hungern noch mehr Menschen auf der Erde. Die Ärmsten der Armen können finanziell mit Autobesitzern nicht konkurrieren. Der mexikanische „Tortilla-Krieg“ lieferte dafür bereits ein Beispiel. Aufgrund der Verteuerung von Importmais verdoppelte sich in Mexiko der Preis für Maismehl und die daraus hergestellten Tortilla-Fladen, dem Hauptnahrungsmittel der armen Bevölkerung.

US-Agronomen haben berechnet, dass bei fortgesetzter Verbrennung von Nahrungspflanzen die Zahl der Hungernden von rund 850 Millionen auf 1,2 Milliarden Menschen im Jahr 2025 steigen könnte. Das Getreide, das umgewandelt in Ethanol zur Füllung des Tanks eines Oberklassewagens notwendig ist, kann einen Menschen während eines ganzen Jahres ernähren. In Indonesien kochen inzwischen immer mehr Menschen mit gebrauchtem Pommesfett, weil sie sich das traditionell verwendete und nährstoffreiche Palmöl nicht mehr leisten können, seit der Palmölpreis im Zuge der Agrarsprit-Revolution sprunghaft angestiegen ist.

Agrartreibstoffe konkurrieren mit Nahrungsmitteln nicht nur um Land, sondern auch um das Wasser, das die Ackerfrüchte zum Wachsen brauchen. Das internationale Wasser-Management- Institut kalkuliert, dass in einem Land wie Indien jeder Liter Zuckerrohr-Ethanol 3.500 Liter an Wasser verbraucht.

Mitte August 2007 legten Forscher auf der Internationalen Wasserwoche in Stockholm Studien vor, die eindeutig belegen: Weltweit ist nicht ausreichend Wasser vorhanden, um den Bedarf an Lebensmitteln zu decken und außerdem große Mengen Pflanzen für die Gewinnung von Agrarsprit anzubauen.

Todes-Sprit

Obwohl auch die Ethanol-Produktion sehr wasserintensiv ist, hat US-Präsident Bush im Frühjahr 2007 ein historisches Bündnis mit dem brasilianischen Präsidenten Lula geschlossen: eine „OPEC des Ethanols“. Die Zuckerrohrbarone klatschen seitdem in die Hände und träumen von einer 55-prozentigen Steigerung der Anbauflächen, um die Nachfrage aus Europa und den USA abzudecken. Rund 200.000 Migranten aus Brasiliens Nordosten schneiden pro Saison im Süden das Zuckerrohr mit Macheten – 12 Stunden am Tag, in der prallen Sonne und für einen Hungerlohn. Jedes Jahr sterben Dutzende dieser „Ethanol-Sklaven“ an Erschöpfung oder Hitzschlag.

Frei Betto, brasilianischer Befreiungstheologe, Bestsellerautor und Zeitungskolumnist, spricht schlicht von „Todes- Sprit“. Der Zuckerrohranbau in Brasilien beruhe seit der Kolonialzeit auf extremer Ausbeutung, Umweltvernichtung und Abzweigung öffentlicher Gelder.

Der Boom beim Zuckerrohranbau bewirkt laut Frei Betto eine gewaltige Binnenmigration, Slumwachstum, die Zunahme von Morden und Rauschgifthandel sowie Kinderprostitution. „Weil sich der Sojaanbau im Südosten Brasiliens durch die Ethanolproduktion verringert, kommt es zu einer starken Ausweitung der Sojaflächen in Amazonien. Und dies bedeutet rücksichtslose Urwaldzerstörung.“

Frei Betto fordert deswegen die Lula-Regierung auf, sich um die Hungernden des Landes zu kümmern, anstatt die Zuckerrohrbarone noch reicher zu machen.

Die BtL-Lüge

Die Wunderwaffe der Agrarsprit-Fetischisten heißt BtL – „Biomass to Liquid“. Doch die als besonders ökologisch propagierte zweite Generation von Agrartreibstoffen, hergestellt aus den Pflanzenresten der land- und forstwirtschaftlichen Produktion, ist keine ökologische Wunderwaffe, sondern eine zusätzliche ökologische Gefahr. Alle Biomasse, die zum Beispiel für die Ethanolproduktion verbrannt wird, kehrt nicht mehr in die Erde zurück. Die ohnehin durch die agro-industrielle Landwirtschaft verarmten Böden werden dadurch noch stärker erodiert und benötigen eigentlich die organischen Reststoffe zur Regeneration.

Jede Sekunde werden schon heute 2.420 Tonnen Boden in die Weltmeere gespült. Was das bedeutet, spüren vor allem diejenigen Ureinwohner und Kleinbauern weltweit, die seit Generationen ihre Böden angepasst bewirtschaften.

Immer heftiger werden ihre Vorbehalte gegen den Agrarenergie-Boom. Anfang Juli 2007 protestierten Indigenenvertreter in Paris auf einer Tagung der „Convention on Biodiversity“ gegen die aggressive Vermarktung von Agrarenergie. Durch die riesigen Monokulturen würden systematisch indigene Rechte verletzt, die Armut verstärkt, die Artenvielfalt zerstört und traditionelle Kulturen vernichtet. Anfang 2007 forderten lateinamerikanische Umweltgruppen in einem offenen Brief an die Europäische Union: „Wir wollen Ernährungssouveränität, keine Biotreibstoffe. Der durch die Länder des Nordens verursachte Klimawandel lässt sich nicht dadurch aufhalten, dass nun neue Probleme in unserer Region geschaffen werden.“ Auch die brasilianische Landlosenbewegung MST und das weltweite Netzwerk Vía Campesina warnen: „Wir können keine Tanks füllen, während Mägen leer bleiben.“ Beim Sozialforum in Mali im Februar 2007 schließlich sagten Hunderte von Aktivisten den Monokulturen der Energiepflanzen, den sogenannten „Grünen Wüsten“, den Kampf an. In Europa haben vor wenigen Wochen über 100 Umweltgruppen von der EU ein sofortiges Moratorium für Agrarkraftstoffe gefordert.

Mehr Informationen: http://www.regenwald.org/pdf/Agrarenergie.pdf

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