Regenwald Report 01/2010
Madagaskar: Raubmord im Paradies
Madagaskar zählt zu den artenreichsten Gebieten der Erde. Auf der großen roten Insel im Indischen Ozean leben mehr endemische Tiere und Pflanzen als sonst auf der Welt. Doch seit einem Jahr spielt sich im Land der Lemuren eine Tragödie ab: Holzhändler fallen über die letzten Regenwälder in den Nationalparks her und verschiffen die illegal gefällten Edelhölzer in alle Welt. Vor allem Rosenholz ist ein begehrtes Luxusgut für Möbel und Musikinstrumente
Sie ist gut gebaut aus edlem Material: Mahagoni, Ebenholz und im Rücken fein gemasertes Rosenholz – eine Schönheit unter den Gitarren. Doch ihre Heimat jenseits der Tsaratanana-Berge ist tausendmal schöner als sie.
Dies ist kein Märchen mit Happy End, sondern alarmierende Wirklichkeit: Das Rosenholz dieser Gibson-Gitarre wuchs einst als Baum im dichten Dschungel Madagaskars – und hätte dort für immer bleiben müssen. Denn die auf der großen roten Insel beheimateten Rosenholz-Arten (ihre botanische Gattung Dalbergia wird auch als Palisander bezeichnet) sind rare Spezies am Rande der Ausrottung. Weil ihr Lebensraum dramatisch vernichtet wird; und weil auch Bäume gezielt für den Export gefällt werden. Denn Rosenholz ist eine begehrte Zier in Möbelstücken und Musikinstrumenten. Für 9.990,– Euro bietet zum Beispiel der Kölner Music Store die „Gibson J-250“ im Internet an.
Gibson-Gitarren genießen Weltruf. Stars wie John Lennon, Paul McCartney, Jimi Hendrix oder Frank Zappa haben ihn befördert. Doch nun mischt sich ein Missklang in die Musik. Der Verdacht des Raubbaus überschattet die Kunst des Instrumentenbaus. Am 17. November 2009 unterzogen Bundesagenten des US Fish and Wildlife Service das Gibson-Werk in Nashville einer Razzia. Edelhölzer wurden beschlagnahmt, Gitarren, Computer und Akten. Das Unternehmen soll illegal gefälltes Rosenholz aus Madagaskar importiert haben. Der Lacey Act als Teil des US-Umweltschutzgesetzes verbietet jedoch jeglichen Handel mit illegal gefällten Hölzern und deren Produkten.
Sind Gibson Gitarren gar nicht so "grün" wie die Firma vorgibt?
Das Pikante an diesem Fall: Henry Juszkiewicz ist nicht nur Geschäftsführer und Vorsitzender von Gibson Guitars, sondern agiert zugleich im Vorstand der Rainforest Alliance (RA). Diese US-Organisation fühlt sich dem Umweltschutz verpflichtet, hat sogar ein eigenes Siegel für Nachhaltigkeit kreiert. Wer kennt nicht den grünen RA-Frosch; dieses Zertifikat klebt auf Chiquita-Bananen oder Lipton-Tee (Unilever), auf Kaffee- und Kakao-Packungen, Zitrusfrüchten und Blumen.
Noch ist Madagaskar reich an Tier- und Pflanzenarzten
Für Holz hat die Rainforest Alliance die Zertifizierungs-Abteilung SmartWood gegründet; die wiederum vergibt das Siegel des FSC für nachhaltige Abholzung der Tropenwälder – soweit diese überhaupt möglich ist (siehe Artikel: Die Label-Lüge).
Hat nun ausgerechnet Gibson-/Rainforest Alliance-Vorstand Juszkiewicz nicht mitgekriegt, dass die Holz-Mafia seit Monaten Madagaskars Nationalparks plündert und die Edelhölzer mit Beteiligung von Regierung und internationalen Reedereien außer Landes schafft? Oder ist sein Rückzug vom Vorstandssessel der RA ein Bekenntnis – auch wenn er offiziell zur Aufklärung beitragen will? Und welches Licht wirft die Causa Gibson auf die Rainforest Alliance, wenn ihr Chairman für sein Gitarren-Werk Holz aus eindeutig nicht FSC-zertifizierten, womöglich geschützten Regenwäldern importiert? Seit im Jahr 2000 ein verheerender Zyklon über dem Nordosten Madagaskars wütete, gibt es dort kein nutzbares Rosen- und Ebenholz mehr außerhalb der geschützten Zonen. Und genau im Nordosten spielt sich das illegale Treiben ab. Madagaskar, die viertgrößte Insel der Welt, ist ein eigener Mikrokontinent. Er formte sich vor rund 165 Millionen Jahren, als sich der „Landsplitter“ von der afrikanischen Platte löste. Wer Madagaskar bereist, wird überrascht durch die Vielfalt an Lebensräumen – vom immergrünen Regenwald bis zur trockenen Steppenlandschaft. Und wie ein Rückgrat durchzieht ein mächtiges Gebirge die Inselmitte.
In dieser abgeschiedenen Welt ging die Evolution ihre eigenen Wege. Und so konnten sich Flora und Fauna ohne nennenswerte Einflüsse von außen entwickeln, denn Zuwanderer gab es Millionen Jahre kaum oder gar nicht.
Madagaskar wurde zum Land mit der wohl höchsten Rate an endemischen Tier- und Pflanzenarten der Erde – die meisten leben nur dort und sonst nirgends auf der Welt. Lemuren sind unter ihnen die berühmtesten. Diese Halbaffen mit den ausdrucksvollen Augen waren auf ihrer Insel niemals dem Evolutionsdruck ausgesetzt wie etwa im benachbarten Afrika, denn sie hatten kaum Feinde. Bis der Mensch kam – vor rund 1500 Jahren. Heute sind Madagaskars Wälder zu 90 % gerodet; dennoch gehört die Insel zu den artenreichsten Gebieten der Erde.
Die Masoala-Halbinsel im regenreichen Nordosten ist das größte Juwel in der Sammlung der einzigartigen Naturschätze; sie wird bedeckt vom letzten großen Regenwaldteppich Madagaskars; felsig und dicht gewebt, gesäumt von Mangrovenwäldern, Sandküsten und riesigen Korallenriffen. Im Jahr 2007 erklärte die Unesco den Masoala-Nationalpark zum Welterbe, zusammen mit dem nördlich gelegenen Marojejy-Park.
Jedes Schlagen von Holz ist in Schutzgebieten verboten. Dennoch konnte der Raubbau in den geschützten Gebieten niemals ganz verhindert werden – die Menschen in Madagaskar sind bitterarm.
Im politischen Vakuum schlägt die Holz-Mafia ungestraft zu
Seit jedoch 2009 die Regierung stürzte, herrscht unter dem Übergangspräsidenten Rajoelina Chaos und Gesetzlosigkeit im Land. Und hier schlug die Stunde der Holzmafia. Die Händler schickten Tausende von jungen Männern in die Nationalparks, um Rosen- und Ebenholz zu schlagen. Im politischen Vakuum versuchte die madagassische Nationalparkbehörde zu retten, was zu retten ist: Sie beauftragte die Umweltorganisationen Global Witness und Environmental Investigation Agency (EIA), die illegale Plünderung der letzten Regenwälder Madagaskars zu dokumentieren.
Armut und Reichtum prägen das Bild der Roten Insel östlich von Afrika: Das Land gehört zu den ärmsten der Welt; mehr als 37 % der 18 Mio. Einwohner sind unterernährt. Doch die Natur gehört zu den artenreichsten der Welt – obwohl seit Beginn der menschlichen Besiedlung vor gut 1500 Jahren 90 % der Wälder verloren gingen. 80 % der Fauna und 90 % der Flora leben nur auf Madagaskar. Absoluter Hotspot ist die Masoala-Halbinsel im Nordosten mit dem größten und unberührtesten Urwald des Landes. Masoala ist eins von 47 Schutzgebieten Madagaskars – doch der Schutz ist in großer Gefahr.
200.000 ha Wald gehen laut Nationalpark- Behörde pro Jahr verloren; 75 % durch Abholzung. Skrupellos räumt nun die Holzmafia in den Schutzgebieten die Edelhölzer ab. Doch auch die sog. selektive Rodung schädigt die gesamte Natur, fördert Feuer- und Sturmschäden. Die Menschen kommen auf den Holzfällerstraßen in den Wald und jagen Tiere. Schon der kleinste Eingriff kann als Folge den ganzen Wald vernichten.
Europäische Banken und Weltbank finanzieren laut Umweltschützern die illegale Abholzung durch Kredite an einheimische Holzfirmen. Mit dabei: Frankreich und die Niederlande mit staatseigenen Banken.
Für die Umweltaktivisten offenbarte sich eine Tragödie. „Im Zeitraum unserer Untersuchung wurden jeden Tag hundert bis zweihundert wertvolle Bäume gefällt“, sagt Reiner Tegtmeyer von Global Witness. Doch es ist nicht nur der Verlust der Edelhölzer, der die Urwälder empfindlich trifft. Für jeden Rosenholzstamm werden fünf leichtere Bäume gefällt, damit er im Floßverbund nicht sinkt. Im Umkreis der Holzfäller-Camps gehen ganze Tier- und Pflanzengemeinschaften verloren; und die Lemuren sind wieder mal ihrem einzigen Feind ausgeliefert – sie werden von den Holzfällern gejagt und gegessen.
„Eine Gruppe mächtiger Händler hat die politische Situation ausgenutzt für kurzfristigen Gewinn“, so Tegtmeyer. „Sie haben Beamte bestochen und sich damit das Recht erkauft, ungestraft die Parks zu plündern. Sie lassen Bäume fällen im Wert bis zu 325.000 Euro am Tag und zahlen ihren Arbeitern für den gefährlichen Knochenjob nicht mal vier Euro.”
Wie illegal gefälltes Holz zur legalen Handelsware wird
Diese einzigartigen Regenwälder würden geopfert, so Tegtmeyer, für unseren Bedarf an Luxusgütern. „Das Holz wird als Rohmaterial exportiert, nichts bleibt im Land.“ Die Ware geht vor allem nach China, wo eine spezialisierte Kunsthandwerks-Industrie erlesene Möbel herstellt. Weitere Importeure sitzen in Deutschland und der EU und in den USA.
Dass illegal geschlagenes Rosenholz überhaupt exportiert werden darf, ist auf einen Coup der madagassischen Regierung zurückzuführen: Durch ein interministerielles Dekret wurde der Einschlag nachträglich legalisiert, als sich die mit Rosenholz bepackten Container bereits zu Hunderten in den Häfen stapelten.
„Rosenholz ist eine der wenigen Devisenquellen in Madagaskar“, sagt Derek Schuurman von der Organisation Missouri Botanical Garden. „Nur die Politiker und die Rosenholz- Mafia profitieren von der noch immer andauernden illegalen Abholzung in den geschützten Regenwäldern. Während die Mehrheit der madagassischen Bevölkerung mehr und mehr leidet.“
Denn mit den Wäldern verlieren die Einheimischen nicht nur einen der größten Schätze der Erde. Sondern auch ihre Lebensgrundlage und die Möglichkeit, mit kleinen Tourismusprojekten Geld zu verdienen. Deshalb kann es für madagassische und internationale Naturschützer nur eine Forderung geben. Gerichtet an die Regierungen der Weltgemeinschaft: Verbietet die Einfuhr von Holz aus Madagaskar! Beendet den Tropenholzhandel! Die meisten Menschen, die an den Waldgebieten siedeln, sind nicht einverstanden mit der Plünderung ihres Lebensraumes. Doch wer es wagt, gegen die Holzfäller vorzugehen, wird bedroht und eingeschüchtert. Wie brutal die Holzmafia vorgeht, zeigt das Beispiel eines mutigen Park-Rangers: Man hat ihm beide Füße gebrochen. Deshalb brauchen die Menschen, die um ihre – und unsere – letzten Urwälder kämpfen, unsere Unterstützung. Mit einer Spende können Sie dazu beitragen.
Land der Lemuren – so kann man Madagaskar bezeichnen. Denn diese direkten Vorläufer der Menschenaffen konnten nur in der ökologischen Insel-Abgeschiedenheit überleben und sich weiterentwicklen. Mehr als 70 Arten gibt es heute – vom 11 cm kleinen Mausmaki bis zum 80 cm großen Indri-Indri. Das Wort Lemur hat lateinischen Ursprung: Die Römer nannten die Geister ihrer Verstorbenen lemures.
Der Rote Vari lebt im Masoala-Regenwald – und nur dort. Er hat sich auf seinen Lebensraum spezialisiert; sein dichtes langes Fell schützt ihn z.B. vor den starken Regengüssen in seiner Heimat. Der Rote Vari ist der größte unter den sog. echten Lemuren, von Kopf bis Fuß misst er bis zu 56 cm. Die Varis sind nachtaktiv, wie die meisten Lemurenarten, und leben in festen Familienverbänden auf den Bäumen. Dort bauen die Weibchen für ihre Jungen Nester aus Blättern und Moosen. Das unterscheidet die Varis von den anderen Arten, die ihren Nachwuchs am Pelz tragen.
Vom Aussterben bedroht: Nur noch zwischen 1000 und 10 000 Rote Varis leben auf Madagaskar – wenn ihr Lebensraum auf der Masoala-Halbinsel schwindet, wird es auch ihre Art auf der Erde nicht mehr geben. Der Rote Vari gehört zu den vom Aussterben bedrohten Lemurenarten (rote Liste der IUCN).