RegenwaldReport 03/2010
Vertreibung aus dem Paradies
Das Delta des Tana-River in Kenia ernährt Hirten, Bauern und Fischer und ist zugleich ein Hotspot der Artenvielfalt. Jetzt kämpfen die Bewohner um den Schutz ihres einzigartigen Lebensraumes.
„Wie könnt ihr dies alles zerstören?“, fragt Yusuf Hassan und schwenkt seinen Hirtenstock durch die Luft. „Dies ist unser Land. Wir haben hier immer gelebt; ein besseres Leben können wir uns nicht vorstellen. Wir nutzen unsere Ressourcen nicht, um Profit daraus zu schlagen. Sondern um uns und unsere Rinder zu ernähren und Häuser zu bauen. Schaut euch um: Es ist alles grün. Die Hirten kommen von weit her, um ihre Tiere zu weiden. Wie kann man das alles zerstören?“
Für unseren „Bio“-Sprit stirbt in Kenia die Natur
Was sollen wir Yusuf Hassan antworten? Wir sind Teil der Welt, die das alles zerstört; die zumindest mit ihrer Energiepolitik dazu beiträgt. Denn es geht wieder einmal um Agrosprit, um Ethanol auch für die europäischen Autotanks.
Wir sind nach Kenia gereist, in das Delta des Tana-Flusses, der am Mount Kenia entspringt. Nach mehr als 700 Kilometern mündet Kenias längster Fluss in den Indischen Ozean – und im Delta verzweigen sich seine Arme zu einer Landschaft von besonderer Vielfalt und Schönheit. 30.000 Hektar umfasst das Tana-Delta; es ist nur halb so groß wie das Saarland – aber Kenias absoluter Hotspot an Artenreichtum.
Am Dorfrand von Didewaride haben sich die Hirten versammelt. Dide bedeutet weites Feld und Waride ist der Baum, der dort schon Wurzeln schlug, als vor Jahrhunderten die ersten Siedler in seiner Nähe ihre Hütten bauten. Sie verteilen sich wie hohe Mützen zwischen den Bäumen, fensterlos und kunstvoll gefertigt aus dem Material des Deltas: Schilf und Weidenruten, Äste und Palmwedel. Didewaride ist ein Dorf der Hirten, die zum Volk der Orma gehören. Früher wanderten die Orma als Nomaden durch das Delta, inzwischen sind die Familien sesshaft und nur die jüngeren Männer folgen ihren Herden zu den Weideflächen. „Wenn die Dürre kommt“, sagt Yusuf Hassan, „sind die Feuchtwiesen die einzige Zuflucht für unsere Herden. Eine Million Rinder, Ziegen und Schafe weiden in den Deltaauen des Tana. Wo können wir überleben, wenn hier überall Zuckerrohr wächst?“
200 Quadratkilometer soll die erste industrielle Plantage umfassen. Das Gemeinschaftsprojekt von Kenias größtem Zuckerproduzenten Mumias und der halbstaatlichen Agentur TARDA (Tana and Athi Rivers Development Authority) wurde im Juni 2008 aufgrund eines windigen Gutachtens von der nationalen Umweltbehörde Nema genehmigt. Mit einer landesweiten Kampagne gelang es Umweltschützern jedoch, das Zuckerrohr- Projekt per einstweiliger Verfügung vorübergehend zu stoppen. „Die Regierung hatte ihre Genehmigung voreilig und aufgrund völlig mangelhafter Sozial- und Umweltverträglichkeitsstudien erteilt,“ sagt Maulidi Diwayu von der Organisation Tadeco. „Durch das Projekt würden 25.000 Menschen aus ihrer Heimat vertrieben und das vielfältige Zusammenleben von Tieren und Pflanzen zerstört. Und außerdem: In der Trockenzeit hat der Tana-Fluss gar nicht genug Wasser für die Zuckerrohr-Plantagen. Es sei denn, man leitet es ab – und lässt die Bauern, die Hirten und Fischer auf dem Trockenen zurück.“
Denn Regierung und Großkonzerne sitzen am längeren Hebel: Im Juni 2009 hob Kenias Hohes Gericht die einstweilige Verfügung aufgrund eines Verfahrensfehlers auf.
Landrechte über 40.000 Hektar hat daraufhin die Regierung ihrer Agentur TARDA überschrieben – erst mal, um Reis und Mais zu pflanzen gegen Hunger und Armut. Dafür wurden bereits Dämme gebaut, Bewässerungskanäle gezogen und der Bevölkerung das Wasser abgegraben. „Dazu hatte die Regierung überhaupt kein Recht“, schimpft Abdilahi Bocha Guracho. Er ist der gewählte Bürgervertreter von Didewaride und vertritt die Gemeinde bei der Distrikt-Regierung. „Das Land hier ist „Trust Land“, das der Staat im Auftrag seiner Bürger verwaltet und nicht verkaufen darf – schon gar nicht ohne jegliche Anhörung und Mitsprache der Menschen, die auf diesem Land leben!“
Die schlimmsten Befürchtungen der Delta-Bewohner scheinen nun wahr zu werden. Denn das Mumias-Zuckerrohr-Projekt ist nur der Anfang einer verheerenden Entwicklung im Delta des Tana-Flusses.
Mindestens zwei weitere internationale Konzerne sind begierig darauf, das fruchtbare Land unter Energiepflanzen für Agrosprit zu begraben. Das Emirat Katar wiederum braucht Ackerland, um sein Volk zu ernähren; ein kanadisch-chinesischer Konzern will Titan unter den Sanddünen fördern. Kenias Regierung nennt diese Pläne Wirtschaftsförderung und Armutsbekämpfung – und hält sämtliche Details bislang unter Verschluss.
Gezielte Desinformationen und Lügen gehören offensichtlich zur Strategie von TARDA und Mumias. Deshalb hat Umweltschützer Maulidi Diwayu keine ruhige Minute mehr. „Dort, wo sie Zuckerrohr anbauen wollen, liegen 32 Dörfer mit insgesamt 25.000 Einwohnern. Wir von Tadeco sind unermüdlich unterwegs, um die Menschen zu informieren und Workshops zu organisieren, um sie stark zu machen für den Kampf um ihren Lebensraum.“
Diwayu begleitet uns in das Dorf Moa, in dem Fischer, Bauern und Hirten leben. „Wir haben schon jetzt kaum genug, um satt zu werden“, sagt Frederik. Er ist Farmer, hat fünf Hektar Land, kann aber nur zwei davon bewirtschaften, weil er keine Ackergeräte besitzt. Geld verdient Frederik wie auch viele andere Farmer nicht, sie leben von der Hand in den Mund. „Das ist auch der Grund, warum einige aus dem Dorf einverstanden sind mit dem Zuckerrohr-Projekt,“ sagt der Farmer. „Die Leute von Mumias versprechen Arbeitsplätze. Und sie haben uns auch erzählt, dass sie neue Häuser bauen und eine Schule. Dass sie die woanders bauen wollen, dass wir hier vertrieben werden – das haben sie nicht erwähnt.“
Mit Schmiergeldern säen die Firmen Zwietracht in den Dörfern
Die Konzern-Vertreter bieten Geld, um die Dorfgemeinschaften zu entzweien, das hat Diwayu schon viele Male erlebt. „Wir müssen mit einer Stimme sprechen“, fordert der Umweltschützer. „Und wir müssen auch die jungen Leute einbinden. Es genügt nicht, dass die Dorfältesten informiert werden. Denn oft stimmen sie zu, weil sie nicht so gebildet sind und keine Informationen haben.“
Maulidi Diwayu organisiert eine Bootstour auf dem Tana. Er will uns zeigen, wie vielfältig und wunderschön diese Flusslandschaft ist; damit wir verstehen, was auf dem Spiel steht. Schon auf festen Wegen hatten wir über die abwechslungsreiche Landschaft gestaunt: Dicke Baobabs ragen aus dem Buschland, dazwischen Wälder und Akazienhaine und weite Sumpfwiesen, auf denen Büffel und große Rinderherden das saftige Gras abweiden. Und nirgends haben wir so viele Mango-Bäume auf einmal gesehen. Die größten säumen die Ufer des Flusses.
Vom Boot aus erlebt man die ganze Tierwelt
Milchkaffeebraun zieht sich der Tana durch Waldgebiete und Wiesen, über die Ibisse, Gelbschnabelstörche und imposante Goliathreiher stolzieren. Die Krokodile bleiben zum Glück auf Abstand. Im „Hippo-See“ steht den Bewohnern das Wasser bis zum Hals. Es ist Regenzeit – wenn sie wollten, könnten sie sogar komplett abtauchen. „Aber wie lange noch?“, fragt Maulidi Diwayu und blickt besorgt auf die kolossale Herde, die misstrauisch unser Boot mustert. „Wenn die Regierung ihre Entscheidung nicht zurücknimmt, werden diese Flusspferde bald auf dem Trockenen stehen.“
Einzigartiges Feuchtgebiet Palmen-Savannen und Uferwälder, Busch- und Grasland, Auwälder und Mangroven, Lagunen, Seen und Dünen, Wattenmeer, Sandbänke und Korallenriffe – keine Landschaft in Kenia ist vielfältiger und fruchtbarer als das Delta des Tana-Flusses. Es ist mit 130.000 Hektar halb so groß wie das Saarland. Hotspot der Artenvielfalt Das Zusammenspiel von Süß- und Salzwasser beschert Flora und Fauna einen ganz besonderen Lebensraum – vor allem für Vögel. Das Delta ist Heimat von 350 Vogelarten, wichtiger Rastplatz für Zugvögel. In seinen Flusswäldern leben zwei der weltweit gefährdetsten Primatenarten: der Tana-Stummelaffe und die Tana-Mangabe. Viele Amphibien- und Reptilien- Arten gibt es nur hier. Und trotzdem hat das Delta keine Schutzgebiete. Lebensgrundlage der Menschen Seit Urzeiten wird das Delta von Kleinbauern bewirtschaftet, die meisten gehören zum Stamm der Pokomo. In der Trockenzeit sind die saftigen Weiden für die Hirten (Orma und Wardei) und ihre Rinder, Schafe, Ziegen, Kamele und Esel die letzte Zuflucht. Insgesamt ist das Delta der Lebensraum von mehr als 50.000 Farmern, Hirten und Fischern.
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