Regenwald Report 04/2014
Bilderreise durch eine verborgene Welt: Das Geheimnis der Bäume
„Der Urwald der Tropen ist das Schönste, das Reichste, was ich auf dieser Erde gesehen habe“, sagt der französische Botaniker Francis Hallé. Und inspirierte mit seinem Wissen den preisgekrönten Regisseur Luc Jacquet zu einem Film voller Wunder. Hunderttausende Menschen auf der Welt haben ihn gesehen – deshalb gibt es Hoffnung. Denn wir schützen das, was wir kennen und lieben
DVD im Shop kaufen >>>
In tiefblauer Baumwollkleidung steht Francis Hallé zwischen den Brettwurzeln eines Urwaldriesen und beobachtet die schweißtreibende Arbeit des Filmteams. Wo winzige Ameisen in der Lage sind, enorme Lasten wie Blätter und Erde zwischen Waldboden und Wipfel zu transportieren, braucht das Filmteam technische Hilfe und gute Ideen.
„Der Film soll dazu beitragen, dass wir Bäume anders sehen – sie haben das Zeug dazu, uns zu begeistern“
„Wir haben die Baumcam erfunden“, meint Regisseur Luc Jacquet. „Sie hängt an einem riesigen Seilzug und gleitet so vom Unterholz bis in die Krone.“ Es gehörte schon zu den größeren Herausforderungen, in dunklen, feuchtheißen Wäldern für das Breitwandformat zu drehen mit Protagonisten, die 70 Meter in die Höhe wachsen und sich nicht bewegen, so Jacquet.
„Ich habe mein Leben in Wäldern verbracht und die Bäume dabei beobachtet, wie sie entstehen, wachsen und sterben. Weil ich nicht sehen konnte, wie sie wuchsen, dachte ich, sie seien unbeweglich. Weil ich sie nicht hören konnte, dachte ich, sie seien still. Mit der Zeit entdeckte ich, dass sie ungemein lebendig sind.“
„In den tropischen Primärwäldern habe ich die größte Schönheit und Vielfalt der Erde gesehen“
Mit diesen Worten beginnt Francis Hallé die Reise durch eine uns bisher verborgene Welt. Der Baum, so Hallé, ist ein Universum für sich. Ein Lebensraum für Hunderte Pflanzenarten, die von Hunderten Tierarten bevölkert werden, die ihrerseits noch kleinere Organismen beherbergen. „Sieht man genauer hin, entdeckt man, dass diese Verkettung kleinster Welten ins Unendliche reicht.“
Der 76-jährige Biologe ist ein Baum-Pionier. 1986 ging sein Na-me um die Welt, weil er als Erster die Tropenwälder aus der Vogelperspektive erforschte: Eine schwebende Plattform, gehalten durch aerostatische (gasgefüllte) Ballons, war Hallés Luftlabor für das Treiben in den Kronen der Riesen. „Dort oben, in 70, 80 Metern Höhe, finden wir drei Viertel der Artenvielfalt des gesamten Regenwaldes. Wo Pflanzen und Tiere die höchste Sonnenenergie nutzen und daraus die vielfältigsten Lebensformen und Symbiosen entwickeln können.“
Francis Hallé hat alle großen Wälder der Erde kennengelernt. „Als ich meine Karriere als Botaniker begann, konnte ich mir nicht vorstellen, dass die großen tropischen Wälder in kaum 50 Jahren unter meinen Augen verschwinden würden. Sie waren ja so riesig. Ihre höchsten Äste waren vor Jahrmillionen die Wiege der Menschheit. Doch das haben wir vergessen.“
Ein Film über die Bäume der tropischen Regenwälder kann uns daran erinnern. Diesen Gedanken hegte Francis Hallé 20 Jahre lang, bis er den Dokumentarfilmer Luc Jacquet begeistern konnte. „Hallés Enthusiasmus und sein unerschöpfliches Wissen zu den Urwäldern haben mich sofort mitgerissen“, sagt Jacquet. „Francis ist in der Lage, die Bäume in Personen zu verwandeln, die kommunizieren und kämpfen, die Raubtiere anziehen und beeindruckende Strategien entwickeln.“
Wie kommuniziert ein Lebewesen, das keine Stimme besitzt? Die Sprache der Bäume besteht aus Düften. Sie werden ausgeschickt, um Bienen oder Kolibris zum Bestäuben zu verführen. Dafür verschenken ihre Blüten den Nektar. Bäume können sich auch gegenseitig vor Feinden warnen. Greift ein Pflanzenfresser an, sendet der Baum mit dem Wind ein Signal an den Nachbarn, dessen Blätter sofort ungenießbar werden.
„Es amüsiert mich, dass Bäume ein Stück ihres Weges in einem Tier zurücklegen“
Wie pflanzt man sich fort, wenn man an einem Ort verwurzelt ist? Bäume überlassen es anderen, ihren Samen zu transportieren: Vögeln, Säugetieren, Reptilien, Wind und Wasser. So verbreiten sie sich über alle Kontinente. „Ich kenne sogar Bäume, die Ozeane überqueren können“, sagt Hallé. „In Wahrheit sind Bäume Weitgereiste.“
Die Protagonisten des Films stehen in Peru und Gabun. Im peruanischen Manú-Nationalpark wachsen auf einem Hektar Regenwald 220 verschiedene Baumarten; durch seinen Artenreichtum gehört der Park seit 1987 zum UNESCO-Welterbe. Gabun ist die Heimat der schönsten Moabi-Bäume Afrikas. Ein Baum, der 80 Meter in den Himmel wächst und 1.000 Jahre leben kann. Wenn man ihn lässt.
Der Wald wird uns überleben, davon ist Francis Hallé überzeugt. „Er hat die Kraft, wiedergeboren zu werden, aber unter einer Bedingung: Die Menschen müssen ihn in Ruhe lassen.“