Regenwald Report 04/2017 · Liberia
Ein kleines Land will seine großen Wälder schützen
Es ist ein bedeutender Schritt zum Schutz von Westafrikas Schimpansen: Liberia hat den Grebo-Krahn Nationalpark ausgerufen. Mehr als 300 der vom Aussterben bedrohten Menschenaffen sind damit unter Schutz gestellt – dazu haben Ihre Spenden beigetragen. Der Park ist Glied einer Kette von Reservaten, die sich bald von der Elfenbeinküste bis nach Liberia erstrecken soll. Leipziger Primaten-Forscher und Einheimische arbeiten dafür Hand in Hand – und wir sammeln weiter Spenden. Bitte helfen Sie mit!
Wir haben es geschafft! Das haben wir auch euch zu verdanken – und all euren Spendern!“ Was Julia Riedel so begeistert, ist ein Meilenstein im Schimpansenschutz: Der Grebo-Krahn Nationalpark in Liberia wird Wirklichkeit. Die Biologin arbeitet für die Wild Chimpanzee Foundation (WCF) aus Leipzig, die jahrelang für die Einrichtung des Schutzgebiets gekämpft hat. Rettet den Regenwald hat den Endspurt des Projekts mit Spendengeldern unterstützt.
Noch um Pfingsten stand die Ausrufung des Parks auf der Kippe und drohte, im aufziehenden Wahlkampf in Liberia zerrieben zu werden. WCF-Mitarbeiter waren alarmiert und nutzten alle Kanäle zu Senatoren und Regierungsvertretern, um für die Rechte der Schimpansen zu werben. Man kann es Lobbyarbeit für den Naturschutz nennen, die Geld kostet. Rettet den Regenwald hat mit einer Finanzspritze geholfen. „Sonst wäre der Park womöglich gescheitert“, glaubt Riedel.
Die Leipziger Forscher sind sicher: Schutzgebiete spielen eine entscheidende Rolle, um den Schimpansen Westafrikas das Überleben zu sichern. Es ist eine Nagelprobe, wie ernst es die Menschheit mit dem Naturschutz nimmt, schließlich sind Schimpansen mit uns näher verwandt als jede andere Art. Die Primaten verfügen über mehr als tierische Instinkte. Sie zeigen Empathie, sie trauern um ihre Toten, sogar Männchen übernehmen soziale Verantwortung und adoptieren Waisenkinder. Die Vielfalt ihrer Verhaltensweisen zeigt, dass sie Kultur besitzen!
Schimpansen in der Elfenbeinküste knacken Coula-Nüsse, basteln aus Blättern Schwämme, um Wasser zum Trinken zu schöpfen. Ihre Spezialität ist jedoch „Ameise am Stil“: Sie stochern mit Stöcken in den Nestern der Insekten und lecken die aufgescheuchten Leckerbissen mit der Zunge vom Stäbchen. Ihre Artgenossen in Tansania kämen niemals auf die Idee: Sie streifen die Ameisen mit der Hand ab und stopfen sie sich in den Mund. Nüsse knacken sie dort überhaupt nicht. Ivorische Männchen klopfen mit den Händen auf Wurzeln, wenn ihnen der Sinn nach Sex steht. In Tansania blieben sie mit dieser Strategie solo. Dort zerrupfen geile Gesellen in aufreizender Manier Blätter. Es ist kulturell bestimmt, wie man sich angemessen und erfolgreich verhält.
Doch die Menschheit nimmt wenig Rücksicht auf die Verwandten im Dschungel. Ihr Lebensraum wird so rigoros zerstört, dass Schimpansen auf der Roten Liste als „stark gefährdet“ geführt werden, die westafrikanische Unterart ist sogar vom Aussterben bedroht. Zwischen Ghana und Guinea leben nur noch 35.000 der Menschenaffen. In der Elfenbeinküste ist der Bestand zwischen 1990 bis 2007 um 90 Prozent eingebrochen. In Liberia ist die Schimpansen-Population mit 7.000 Tieren noch recht groß. Doch auch um deren Zukunft ist es schlecht bestellt: 5.000 von ihnen sind in Wäldern ohne jeglichen Schutzstatus daheim, wie übrigens ein Großteil anderer bedrohter Säugetierarten.
Zwar genießen Liberias Regenwälder wegen ihrer Artenvielfalt Weltruhm: Vögel, Amphibien, Primaten und andere Säugetiere – nur wenige Regionen der Erde beherbergen mehr Spezies. Mit 40 Prozent des „Upper Guinea Forest“ verfügt das Land über einen unsagbar wertvollen Schatz. Doch bislang stehen keine zehn Prozent der Wälder unter Schutz. Die Ausrufung des Grebo-Krahn Nationalparks ist daher ein großer Schritt für den Naturschutz. Der ist jedoch lediglich ein Schritt in einem Wettlauf gegen die Zeit: Holzfirmen roden sich durch die Wälder, Bergbaufirmen reißen tiefe Wunden, auch Jäger setzen den Primaten zu. Eine wachsende Bedrohung sind Plantagen für Palmöl, Kautschuk, Kaffee und Kakao (lesen Sie mehr über Kakao ab Seite 8).
Westafrikas Wälder sind ein Hotspot der Artenvielfalt. In der Elfenbeinküste und Liberia soll eine Kette von Nationalparks den Lebensraum der Schimpansen schützen
„Die Schimpansen haben nur eine Chance zu überleben, wenn genügend Schutzgebiete geschaffen werden“, mahnt Professor Christophe Boesch, einer der weltweit führenden Primatologen und Gründer der WCF. Entsprechend hoch stuft er die Ausrufung des Grebo-Krahn Nationalparks ein.
Doch Boesch ist keiner, der sich zurücklehnt, sobald ein großer Erfolg gelungen ist. Wie ein Bergsteiger hat der Schweizer ständig die nächsten Etappen im Blick: Das große Ziel ist es, den Lebensraum der Schimpansen in einem lang gestreckten Korridor zu vernetzen – ausgehend von den bestehenden Nationalparks Taï in der Elfenbeinküste und Sapo in Liberia (siehe Karte oben). Deshalb muss es jetzt gelingen, auch den Wald von Krahn-Bassa und Gbi weiter westlich als Nationalpark zu schützen. Auch an diesem Projekt wirkt Rettet den Regenwald mit. Im Jahr 2018 wird es erneut ein Schwerpunkt sein.
Die wissenschaftlichen Grundlagen für den Park haben Teams von WCF bereits gelegt: In aufwändigen Expeditionen haben sie den Dschungel erstmals überhaupt kartiert. Trupps einheimischer Helfer sind dazu in die abgelegensten Winkel des Gebiets vorgedrungen. Sie zählten die Nester von Schimpansen, die die Tiere jeden Abend bauen. Sie sammelten Kotproben und sicherten Beweise für die Existenz zahlreicher Tierarten. Ihre Ausbeute war enorm; sie stießen auf Spuren von Schimpansen, Waldelefanten, Zwergflusspferden. „Die Artenvielfalt ist atemberaubend – ein Hotspot, wie erwartet“, bilanziert Julia Riedel: „Dieser Wald muss unter Schutz gestellt werden!“ Und zwar ein größeres Gebiet als ursprünglich angepeilt.
Von Beginn an galt es, die örtliche Bevölkerung zu beteiligen. Während der Konsultationen sind Fingerspitzengefühl, Diplomatie und Einfühlungsvermögen gefordert. Sollte der Nationalpark so abgesteckt werden, dass er möglichst viele Schimpansen schützt, müsste sich die Lebensweise Tausender Einwohner ändern, die momentan von den Ressourcen der Wälder abhängig sind. Ihnen müssen neue Lebensperspektiven eröffnet werden. Nicht jeder wird die Einrichtung des Schutzgebietes begrüßen.
Aufklärung ist entscheidend. „Jeder soll wissen, wo die Grenzen des Nationalparks verlaufen werden, was man in einem geschützten Wald tun darf – und was nicht, und welchen Vorteil der Schutz des Nationalparks auch für die lokale Bevölkerung bringt“, sagt Dr. Annika Hillers, die das Liberia-Büro der WCF in Monrovia leitet. Die Biologin ist geübt darin, Bevölkerung, Behörden und Naturschützer an einen Tisch zu bringen„Wir wollen dafür sorgen, dass Nationalparks keine Papierparks sind“, sagt Hillers. Eine dauerhafte Aufgabe, die viel Kraft und Rückgrat erfordert. So dringen häufig Goldsucher in den Sapo Nationalpark und andere Schutzgebiete ein. Ranger, die nicht bewaffnet sind, müssen die illegalen Eindringlinge aufspüren und hinauskomplimentieren. Das geht nicht immer friedlich ab.
Die WCF-Aktivisten sind sich einig, dass nur einheimische Kräfte die Aufgabe übernehmen können, die Wälder zu schützen. „Im neuen Grebo-Krahn Nationalpark helfen wir und andere Partner jetzt dabei, Ranger auszubilden und auszustatten“, erklärt Hillers: „Das fängt damit an, Gummistiefel und Taschen-
lampen zu beschaffen.“
Professor Christophe Boesch treibt längst ein weiteres Projekt voran, das in seinen Augen vielleicht das Wichtigste von allen ist. Die Galeriewälder der Moyen-Bafing-Region in Guinea bieten 5.500 Schimpansen einen Lebensraum – mehr als jedes andere zusammenhängende Waldgebiet Westafrikas. Gefahr droht den Tieren von Bauxit-Konzessionen, geplanten Wasserkraftwerken und allerlei Plantagen. „Dort entscheidet sich die Zukunft der westafrikanischen Schimpansen“, mahnt er.
Der Schutz der Schimpansen braucht einen langen Atem. Bitte spenden Sie, um den Lebensraum unserer Verwandten im Tierreich zu bewahren. Wofür die Spenden verwendet werden, lesen Sie auf Seite 14.
„Man muss schon etwas hartnäckig sein!“
Die deutsche Biologin Dr. Annika Hillers lebt seit mehreren Jahren in Westafrika. Mitte 2017 ist sie zur Wild Chimpanzee Foundation (WCF) gestoßen.
Was motiviert Sie, in Liberia für die Schimpansen zu arbeiten? Das ist ja kein Zuckerschlecken.
Man muss schon etwas hartnäckig sein. Aber die Arbeit macht mir Spaß und ist sehr erfüllend. Das Leben hier ist keine Entbehrung für mich, im Gegenteil. In Liberia kann ich viel für die Natur bewegen. Es gibt noch viel unberührten Regenwald. Ich bin genau am richtigen Ort! Darüber hinaus sind die Schimpansen wunderbare Wesen – sie zu schützen ist jede Anstrengung wert. Das motiviert mich natürlich sehr.
Wie sind Sie dazu gekommen, in Westafrika zu arbeiten?
Erstmals war ich vor 15 Jahren hier. Seit 2010 lebe ich mehr oder weniger durchgehend in Westafrika. Für meine Diplomarbeit habe ich im Taï Nationalpark in der Elfenbeinküste Frösche studiert. Darüber, wie sich west-afrikanische Wälder in der Vergangenheit durch Klimaschwankungen veränderten, habe ich meine Doktorarbeit geschrieben. Im Anschluss habe ich für die englische Königliche Gesellschaft zum Schutz der Vögel (Royal Society for the Protection of Birds) im Gola Rainforest National Park in Sierra Leone gearbeitet. Neben der reinen Forschung hat für mich der Naturschutz immer mehr Gewicht bekommen.
In Sierra Leone wurde eine Libellenart nach Ihnen benannt. Wie kam es dazu?
Das ist wirklich eine besondere Ehre für mich! Ich hatte den Libellenforscher Klaas-Douwe Dijkstra eingeladen, in Gola zu forschen. Innerhalb kurzer Zeit hat er einige neue Arten entdeckt. Eine Spezies hat er nach mir Zygonyx annika benannt. Jetzt trägt ein kleines Stück der Natur meinen Namen.
Woher kommt Ihre Passion für die Natur?
Ich bin im Schwarzwald aufgewachsen. Der Wald war mein Spielplatz. Ich war quasi ständig draußen unterwegs. Dieses frühe Interesse an der Natur hat mich geprägt.
Vermissen Sie Deutschland?
Selbstverständlich vermisse ich meine Familie, meine Freunde. Aber hier in Liberia habe ich alles, was ich brauche, und kann viel für den Naturschutz und die Bevölkerung tun. Das macht mich glücklich!