Regenwald Report 01/2021 · Schwerpunktthema
Natur mit Rechten: Rechte für die Natur
Der Mensch schafft es nicht, die Zerstörung der Natur aufzuhalten. Angesichts der Dringlichkeit überlegen Indigene, Wissenschaftler und Aktivisten, ob es nicht einen juristischen Weg gibt, bei dem die Natur verbriefte Rechte erhält.
Der Natur und der Biodiversität geht es immer schlechter. Unsere mo-derne westliche Lebens- und Wirtschaftsweise zerstört die Ökosysteme, verursacht ein gravierendes Artensterben und verändert das weltweite Klima. Wir verwandeln die Natur in Plantagen, Äcker, Viehweiden, Siedlungen, Straßen, Tagebauminen oder Stauseen. Unsere Aktivitäten vergiften und verseuchen die Umwelt und die Lebewesen. Was viele dabei scheinbar vergessen: Die Natur braucht uns nicht – aber wir brauchen die Natur. Es ist offensichtlich, dass die bestehenden Umweltgesetze und Vorschriften nicht ausreichen. Wir müssen dringend umdenken, unsere Lebensweise ändern und unseren Ressourcenverbrauch drastisch senken. Einen neuen, ergänzenden Ansatz verfolgen immer mehr Graswurzel-Organisationen und Wissenschaftler aus verschiedenen Teilen der Welt: Sie versuchen einen effektiveren, sichereren und längerfristigen Schutz der Natur zu erzielen, indem neue rechtliche Werkzeuge geschaffen werden.
Es ist eine juristische Bewegung, aber auch eine zutiefst ökologische, soziale und sogar ethische und philosophische Bewegung mit großem symbolischem Wert. Die Befürworter greifen dabei auf die indigene Vorstellung von der Natur als Mutter Erde zurück. Sie stellen den Menschen nicht über die Natur. Sie sehen die Umwelt nicht mehr als Objekt, sondern als eigenständiges Subjekt. Ihr Ziel ist eine neue, nicht mehr anthropozentrische Sichtweise des Rechtssystems.Konventionelle Umweltgesetze stellen den Menschen hierarchisch über die Natur und geben ihm das Recht, über die natürlichen Ressourcen zu verfügen. Die Umwelt wird als ein Eigentum oder Objekt gesehen, das ausgebeutet und zerstört werden kann. Und in diesem Sinne regeln die Gesetze neben dem Schutz auch den Gebrauch und die Instrumentalisierung der Natur – was sie für einen wirklichen Schutz zu schwach macht.
So ist in Deutschland zwar nach langer und heftiger Debatte im Jahr 1993 der Umweltschutz als Staatsziel aufgenommen und im Jahr 2002 durch den Tierschutz ergänzt worden, doch die Natur bleibt darin nur ein Objekt, das es zu bewahren gilt. Im neugeschaffenen Artikel 20a im Grundgesetz steht: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“
Wenn wir es aber schaffen würden, die Natur nicht mehr als Objekt der Aneignung zu behandeln, sondern sie als Rechtssubjekt, als juristische Person mit eigenen Rechten zu betrachten, würde sie etwas erwerben, was sie vorher nicht hatte: eine integrale Kategorie, einen Status als ökologischer Verbündeter, der unabhängig von den Bedürfnissen oder Ambitionen des Menschen ist.
Ein Recht für die Natur würde den Fokus der Aufmerksamkeit verlagern: weg vom Menschen, hin zur Natur als Ganzes oder auf Teile wie Flüsse oder Wälder. Ziel ist es, ihren immensen Wert und ihre Bedeutung rechtlich anzuerkennen, sodass sie ein eigenes Lebens-recht erhalten und nicht weiter zerstört werden können. Diese eigene Rechtspersönlichkeit erlaubt es, die Natur vor Gericht zu verteidigen, ihre Rechte einzufordern und für ihren Schutz zu kämpfen. Das ultimative Ziel ist es, die Integrität und Gesundheit unseres Planeten zu verteidigen. Dazu ist eine andere Sichtweise gefragt, ein Paradigmenwechsel mit einer veränderten Perspektive des Rechtssystems.
Von indigenen Traditionen lernen
In einigen afrikanischen Ländern ist das Verhältnis der Menschen zu ihrem Territorium mit der Bewahrung der Natur und oft mit heiligen Stätten verbunden. In Asien misst die indigene Tradition den Flüssen große Bedeutung bei, zum Beispiel in Indien. Viele lateinamerikanische Völker, wie die Einwohner der Anden, sprechen vom Guten Leben oder Sumak Kausay. Sie betrachten die Natur als Ganzes, als Mutter Erde oder Pacha Mama.
Dieses Verständnis prägt die Lebensweise der Ureinwohner, was sie zu einem Vorbild für das neue Denken in den westlichen Rechtssystemen macht. Denn sie haben bereits funktionierende Systeme aufgestellt, um ihre Beziehungen untereinander und zur Natur zu regeln. Doch in den vergangenen Jahrzehnten war es das Ziel vieler Nationalstaaten, diesen traditionellen Umgang mit der Natur zu schwächen oder zu ersetzen. Ein moderner Staat brüstet sich mit Entwicklung und der vermeintlichen Beherrschung der Natur, nicht mit dem Naturverständnis der Indigenen.
Natur als Wert
Doch ausgerechnet das gleichberechtigte Verständnis von Menschen, Tieren und Pflanzen der traditionellen indigenen Völker könnte für eine Verbesserung der westlichen Rechtssysteme sorgen. Im Moment unterstützt unser Rechtsverständnis diejenigen, die Natur zerstören. Wer für den Schutz der Natur eintritt, wird sehr oft von den Behörden beiseitegeschoben und ignoriert – und in vielen Ländern sogar kriminalisiert und eingesperrt. Wird die Natur zu einem Rechtssubjekt, sorgt das nicht nur für einen besseren Schutz, sondern der Lebensraum des Menschen erhält endlich den hohen Wert, den er verdient. Denn jedes Leben – von Menschen, Tieren und Pflanzen – ist wertvoll – für den Planeten, für uns heute und für zukünftige Generationen.
Die aktuelle Corona-Pandemie ist ein Beispiel dafür. In tropischen Regenwäldern gibt es Tausende von unbekannten Krankheitserregern wie Viren. Sie schlummern zum Beispiel in Nagetieren, die in intakten Ökosystemen nur in geringer Zahl vorkommen und praktisch keinen Kontakt mit Menschen haben. Wenn die Natur zerstört wird und aus dem Gleichgewicht kommt, vermehren sich diese Tiere samt den in ihnen vorkommenden Viren und sie gelangen in die Nähe des Menschen. „Wer Pandemien verhindern will, muss ursprüngliche Ökosysteme wie den Regenwald erhalten“, sagt die Virologin Sandra Junglen von der Charité-Universitätsmedizin in Berlin. Sie untersucht die Ausbreitung zuvor unbekannter Viren über unterschiedliche Ökosysteme hinweg.
Aktiv werden! Unterschreiben Sie unsere Petitionen
Recht auf Leben am und im Wald
Der geschützte Wald Los Cedros in Ecuador beherbergt eine immense Zahl von verschiedenen Tier- und Pflanzenarten: 315 Vögel-, 5 Wildkatzen- und 3 Primatenarten, darunter die vom Aussterben bedrohten Braunkopfklammeraffen, sowie mehr als 400 Orchideen. Doch diese Vielfalt ist durch den Bergbau bedroht. Die ecuadorianische Regierung hat dem kanadischen Unternehmen Cornerstone Konzessionen erteilt. Vor dem Verfassungsgericht wird nun geprüft, ob die nationale Rechtsprechung das Recht der Natur angemessen umsetzt. Es ist ein Urteil mit großer Ausstrahlungskraft. Noch ist offen, wie sich die Verfassungsrichter entscheiden.
„Dem Gericht wurden Beweise über den hohen Grad an Biodiversität in den geschützten Wäldern vorgelegt und über die negativen Auswirkungen von Erkundungsbergbauarbeiten auf Flüsse, Biodiversität und endemische Arten“, sagte Elisa Levy, wissenschaftliche Koordinatorin der Forschungsstation Los Cedros. Zusätzlich zur Stärkung der Rechte der Natur könnte Los Cedros ein Präzedenzfall für den dauerhaften Erhalt der 1.200 bestehenden Schutzwälder im Land werden.
Bitte unterstützen Sie unsere Petition und fordern Sie das Gericht auf, das verfassungsmäßige Recht der Natur effektiv zum Schutz der Wälder und ihrer Artenvielfalt anzuwenden.
Unterzeichen Sie unsere Petition:
www.regenwald.org/rr033
Ecuador schützt Natur in der Verfassung
Ecuador hat als erstes und einziges Land die vollen Rechte der Natur in seiner Verfassung von 2008 anerkannt. Mehrere ecuadorianische Organisationen nutzen dieses rechtliche Instrument, um große Bergbauprojekte im Land zu verhindern. Jede gewonnene Verhandlung stärkt das Recht der Natur. So könnten zwei Froscharten dazu beitragen, artenreiche Nebelwälder in der Region Intag nördlich von Quito zu erhalten. Um ein großes Kupfervorkommen abzubauen, sollen dort ganze Bergzüge weggesprengt, Flüsse umgeleitet und Dörfer dem Erdboden
gleichgemacht werden. Um schon die Erkundungsarbeiten zu stoppen, haben Einwohner des Dorfes Junin und Umweltorganisationen, darunter DECOIN, langjähriger Partner von Rettet den Regenwald, beim lokalen Amtsgericht in Cotacachi Schutz für die Frösche beantragt. Das im September 2020 gefällte Gerichtsurteil stellte erstmals die Rechte der Natur über die wirtschaftlichen Rechte internationaler Bergbauunternehmen. Doch ausgestanden ist dieser Fall noch nicht, denn die ecuadorianische Regierung hat Berufung eingelegt, nun liegt das Urteil bei der nächsten Instanz.
Uganda als Vorreiter in Afrika
In Uganda hoffen die indigenen Bagungu auf die Rechte der Natur. Kurz nachdem diese im Jahr 2019 in das Umweltgesetz aufgenommen wurden, hat der Distrikt Buliisa Schritte unternommen, die traditionellen Rechte der Bevölkerung anzuerkennen. Ihre Lebensweise zielt seit Menschengedenken auf Harmonie mit der Natur. Die Berufung auf die neu anerkannten Rechte der Natur würde jetzt ganz handfest den Schutz heiliger Wälder und Feuchtgebiete via Gesetzbuch stärken. Mit der Verschmelzung der traditionellen Ordnung mit den Rechten der Natur wäre Uganda Vorreiter in Afrika.
„Ugandas Behörden erkennen die Leistung der Bagungu an – sie verdrängen Kolonialismus aus unseren Ansichten und berufen sich stattdessen auf unser reiches kulturelles Erbe“, sagt Dennis Tabaro vom Afrikanischen Institut für Kultur und Ökologie (AFRICE) in Uganda.
Die Bagungu werden von AFRICE, der Rechtsanwaltsorganisation ANARDE, der Gaia-Stiftung und auch von Rettet den Regenwald unterstützt.
Welche Rechte hat die Natur in Indonesien?
Dana Tarigan war von 2016 bis 2020 Direktor von WALHI Nordsumatra, einem Projektpartner von Rettet den Regenwald. WALHI ist Indonesiens größte Umweltorganisation und versteht sich als ein Forum mit über 500 Organisationen und Aktivisten.
Herr Tarigan, warum ist für WALHI der Gerichtssaal ein wichtiger Aktionsraum für den Regenwaldschutz?
Kennen Sie den Fall Indorayon? Diese Zellstofffabrik auf Sumatra verseucht seit Jahrzehnten den Tobasee und holzt die Regenwälder für die Papierherstellung ab. Schon 1988 hat WALHI gegen die Firma, vier Minister und den Gouverneur Klage erhoben. Das Gericht in Jakarta hat die Klage zwar abgelehnt, gleichzeitig wurde WALHI aber das Klagerecht zugesprochen.
Sehen Sie darin einen Erfolg?
Ja. WALHI ist jetzt die einzige NGO in Indonesien, die das Klagerecht im Interesse zerstörter Ökosysteme hat. Dieses Klagerecht ist im Laufe der Jahre gesetzlich verankert worden, und zwar in den Gesetzen zur Forstwirtschaft, zum Umweltschutz, Abfall und Verbraucherschutz. Nicht nur die Menschen leiden unter der Zerstörung der Natur und der Verschmutzung der Umwelt, auch andere Lebewesen, wie die Bäume, die Vögel oder Ökosysteme, werden in Mitleidenschaft gezogen.
Die Sie dann vor Gericht vertreten?
Die Natur hat in Indonesien kein verfassungsgemäßes Recht. Höchste Priorität hat nur das Wirtschaftswachstum und die Regierung nimmt die ökologischen Risiken in Kauf. Deswegen hat WALHI mehrfach das Klagerecht genutzt.
Wie hoch ist die Chance, einen Prozess zu gewinnen?
Meist weisen die Gerichte unsere Klage ab. Doch unser Ziel ist, die Zerstörungen zu beenden, nicht unbedingt einen Prozess zu gewinnen. Ein Beispiel ist der Staudamm im Batang-Toru-Wald, in dem die stark bedrohten Tapanuli-Orang-Utans leben. Wir scheiterten mit der Klage zur Rücknahme der Baugenehmigung durch die Regierung. Doch allein die Verhandlung und die vielen Proteste weltweit haben bewirkt, dass sich die Investoren, darunter die Bank of China, zurückgezogen haben. Wir haben verloren, der Staudamm soll immer noch gebaut werden, doch den Geldgebern sind die Risiken bewusst geworden.