Fragen und Antworten zu Staudämmen

Abgeholzte Uferlandschaft am Xingu-Fluss in Brasilien © Movimento Xingu Vivo Para Sempre

Hier beantworten wir einige allgemeine Fragen. Mehr Details finden Sie in den Texten zu den Staudämmen „Belo Monte“ in Brasilien und „Inga“ in der Demokratischen Republik Kongo und zu Projekten im malaysischen Bundesstaat Sarawak und im Areng-Tal in Kambodscha.

Wie kann man Staudämme in Zahlen fassen?

Weltweit wurden 50.000 große Staudämme gebaut. Darunter versteht man Dämme, deren Staumauer höher als 15 Meter ist oder deren Stausee mehr als 3 Millionen Kubikmeter Wasser enthält. 1700 weitere dieser Dämme sind geplant.

Laut „River Watch“ wird jeder zweite Fluss der Erde durch einen Staudamm reguliert. 40 bis 80 Millionen Menschen haben nach Schätzungen der Organisation World Commission on Dams (WCD) wegen Staudammprojekten ihre Heimat verloren, wurden vertrieben oder umgesiedelt. Im Unterlauf der Flüsse sind weitere 500 bis 750 Millionen Menschen betroffen.

Wozu werden Staudämme gebaut?

Staudämme dienen in erster Linie der Stromerzeugung und der Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen. In geringem Umfang werden sie gebaut, um Flüsse schiffbar zu machen und die Trinkwasserversorgung zu sichern. Bei großen Dämmen geht es vorwiegend darum, im Megawatt-Maßstab Strom zu erzeugen. Dass die Dämme vor Hochwasser schützen, ist eher ein Nebeneffekt, der oft zudem negative Folgen hat.

Welche Versprechungen machen Politiker und Unternehmen?

Oft wird den Menschen weiß gemacht, dass große Staudammprojekten großen Teilen der Bevölkerung Vorteile bringen. Dabei geht es um wirtschaftliche Entwicklung, Jobs und einen höheren Lebensstandard, weil zuverlässig Strom fließt. Die Versprechen werden jedoch häufig nicht eingehalten.

In jüngster Zeit wird Strom, der mit Wasserkraft als „grün“ deklariert. Ein simples Argument, weil die Stromerzeugung tatsächlich kein Kohlendioxid ausstößt. In vielen Fälle mag das das Ettikett „öko“ stimmen, oft ist es jedoch schlicht falsch.

Wie zerstören Staudämme die Umwelt?

Die Organisation „River Watch“ nennt Staudämme „eine der schlimmsten Eingriffe in die Natur“, „International Rivers“ spricht von „verheerenden Folgen“ für Umwelt, Natur und Menschen.

Große Wald- und Sumpfflächen versinken in den Stauseen. Tieren und Pflanzen wird dadurch der Lebensraum genommen. Zahlreiche Spezies wurden bereits ausgerottet. Die Biodiversität nimmt ab.

Viele Fischarten sind bedroht, weil die Bauwerke ihre Wanderwege zu den Laichgebieten blockieren und sich die Wasserqualität verschlechtert. Wissenschaftler schätzen, dass in Amazonien 1.000 Fischarten wegen geplanter Staudämme aussterben werden. Das wären zehn Prozent aller Süßwasserarten und mehr als in Europa und Nordamerika zusammengenommen beheimatet sind.

Das Ausmaß der Waldvernichtung ist immens. Für „Belo Monte“ wird eine Fläche von 516 Quadratkilometern überflutet, im Stausee des Bakun-Damms in Sarawak werden 695 Quadratkilometer Land verschwinden. (Zum Vergleich: Der Bodensee ist 536 Quadratkilometer groß.)

Straßen werden in bislang unerschlossene Gebiete gebaut. Das verschafft auch Siedlern, Agrarunternehmen und Goldsuchern Zugang. Für Stromleitungen werden hunderte Kilometer lange Schneisen geschlagen.

Auch am Unterlauf gestauter Flüsse wird Natur zerstört. Viele Ökosysteme werden dort durch den jahreszeitlichen Wechsel von Trockenheit und Hochwasser geprägt. Dieser bleibt durch Staudämme aus oder wird geringer. Sedimente, die nach Überschwemmungen abgelagert werden und zur Fruchtbarkeit von Flussebenen beitragen, gehen verloren. In einigen Flüssen erreicht so wenig Wasser das Meer, dass das Delta schrumpft und Meerwasser ins Landesinnere vordringt.

Geologen sehen Staudämme als Ursache von Erdbeben.

Was haben Staudämme mit Klimawandel zu tun?

Strom aus Wasserkraft wird häufig als „grün“ und klimaneutral bezeichnet. Im Vergleich zu Kohlestrom mag das stimmen, häufig ist das Argument jedoch falsch.

Stauseen stoßen in erheblichem Umfang das klimaschädliche Gas Methan aus. Das entsteht, wenn Pflanzen in die Seen geschwemmt werden und dort verrotten. Beim Balbina-Damm in Brasilien wurden sogar die Bäume stehen gelassen, als der See geflutet wurde. Wissenschaftler schätzen, dass der dort erzeugte Strom bis zu 40-fach stärker zur Klimaerwärmung beiträgt als ein Kohlekraftwerk vergleichbarer Größe.

Insgesamt verursachen Staudämme 4 Prozent des Ausstoßes von Klimagasen, etwas genauso viel wie der Flugverkehr.

Selbst wenn Staudämme ausschließlich klimaneutral Strom produzieren würden, wäre er durch Umweltzerstörung und soziale Ungerechtigkeit teuer erkauft.

Hat der Klimawandel Auswirkungen auf Staudämme?

Tatsächlich. Klimamodelle und Messungen zeigen, dass es in Regionen Afrikas und Amazoniens in Zukunft trockener wird. Planer berücksichtigen dies zumeist nicht. Staudämme werden auf die heute fließenden Wassermenge ausgelegt. Führen die Flüsse weniger Wasser, wird die versprochene Strommenge nie erzeugt.

Welche Folgen haben Staudämme für die Menschen?

Häufig negative.

Viele Menschen müssen ihre Heimat verlassen. Schätzungen gehen von 80 Millionen und mehr aus. Häufig sind die Schwächsten der Gesellschaft getroffen: Indigene, Fischer und Kleinbauern. Sie verlieren nicht nur ihre Lebensgrundlage, sondern oft auch ihre kulturellen Wurzeln. Für viele Völker haben Flüsse eine spirituelle Bedeutung.

Für große Projekte werden zigtausend Menschen umgesiedelt. Für den Drei-Schluchten-Staudamm in China mussten 1,4 Millionen weichen. Oft sind die Entschädigungen viel zu niedrig. Fischer und Landwirte bekommen Wohnungen in Städten angeboten, wo sie keine Erwerbsquellen haben. Zuweilen werden Einheimische schlicht verjagt, weil sie keine Landtitel haben.

Die Baustellen ziehen tausende Arbeiter an. Oft sind die Städte im Umkreis dem Ansturm nicht gewachsen. Es gibt zu wenig Wohnraum und soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser. Kriminalität und Prostitution nehmen zu.

Gegen viele Staudamm-Projekte regt sich Widerstand. Polizei, Militär und private Sicherheitsdienste gehen zuweilen gewaltsam gegen Demonstranten vor. Es gibt Tote und Verletzte.

Auch am Unterlauf gestauter Flüssen, hunderte oder tausende Kilometer von Dämmen entfernt, leiden Menschen. Schätzungen gehen von 500 bis 750 Millionen aus. Weil der Transport von Sedimenten, die zur Fruchtbarkeit der Böden in Flussebenen beitragen, gestört wird, sinken landwirtschaftliche Erträge. Böden können versalzen.

Wissenschaftler führen auch das Schrumpfen von Flussdeltas auf Staudämme zurück. Dadurch werden Mangroven zerstört, gehen landwirtschaftliche Flächen verloren und werden Sturmfluten begünstigt, die weite Gebiete gefährden. In Pakistan wird beispielsweise der Indus durch 19 Dämme und 43 Kanäle so stark reguliert, dass nur wenig Wasser das Delta erreicht.

Staudämme tragen zur Verbreitung von Krankheiten bei. Bleiben am Unterlauf Überschwemmungen aus, überleben mehr Mückenlarven.

Profitieren die Menschen?

Häufig kaum. Politiker und Unternehmen brechen ihre Versprechen. Jobs gibt es vor allem während der Bauzeit, beim Betrieb der Wasserkraftwerke hingegen kaum.

Der produzierte Strom ist nicht für die örtliche Bevölkerung bestimmt, sondern für große Industrieunternehmen und die Einwohner ferner Metropolen. Staudämme passen daher nicht in Konzepte einer dezentralen Stromversorgung, die möglichst vielen Menschen nützt.

Sind Staudämme wirtschaftlich profitabel?

Kommt darauf an, für wen. Bauunternehmen und Banken verdienen oft prächtig an Staudämmen. Zu den Profitören gehören die Lieferanten von Turbinen und Generatoren wie beispielsweise Siemens, Voith und ABB. Mercedes hat 540 Lastwagen für den Bau des brasilianischen Megadamms Belo Monte geliefert. An der Finanzierung, an der die Weltbank und die deutsche Staatsbank KfW beteiligt sein können, verdienen internationale Banken.

Für Staaten, die Projekte finanzieren, sieht die Rechnung anders aus. Oft sind die Bauten zu groß und zu teuer. Die Kosten für die Dämme steigen laut einer Oxford-Studie im Schnitt um 96 %. Der Itaipu-Damm in Brasilien wurde gar zehnmal so teuer als veranschlagt. In Pakistan führte der in den 1970er Jahren gebaute Tarbela Damm zum Anstieg der Staatsverschuldung um 23 Prozent.

Wieso sind Staudämme trotz aller Nachteile bei Politikern und Unternehmern beliebt?

Staudämme bringen Politikern – zumindest vorübergehend – Prestige. Sie sind Symbole der Macht. Politiker profilieren sich als „Macher“, die die Wirtschaft voranbringen. Angesichts der Größenordnung vieler Projekte erscheinen Kritiker als Kleingeister und Miesepeter, die der Zukunft im Wege zu stehen scheinen.

In den Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts galten Großprojekte gewissermaßen als Garant für die Entwicklung der Dritten Welt. Von dieser Wachstumsgläubigkeit war man zwischenzeitlich abgekommen. Seit 2000 boomt der Bau von Staudämmen allerdings wieder. Insbesondere in den Schwellenländern China und Brasilien wollen Politiker die Wirtschaft mit „billigem“ und „grünem“ Strom an die Weltspitze führen.

Korruption spielt mutmaßlich eine gewichtige Rolle.

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