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RegenwaldReport 04/1995

Der leere Wald

Tiere pflanzen den Wald. Ohne sie können die Bäume nicht leben.

In einem blühenden Garten spürt man überall die Hand des Gärtners. Wer würde denken, dass auch im Regenwald „Gärtner" am Werk sind. Nicht in Reih und Glied pflanzen sie, sondern zufällig und unabsichtlich. Und doch könnten ohne diese Pflanzer viele Urwaldriesen - wie zum Beispiel die Makore Bäume - nicht existieren. Die Gärtner des Waldes sind an die zwei Meter hoch und haben sich ihre eigenen Pfade durch den Dschungel getrampelt. Mit grosser Behutsamkeit pflücken sie auch kleinste Blätter vom Baum oder schlucken mühelos die Kanonenkugel grossen Früchte der Strychnos-Liane. Waldelefanten, etwas kleiner als ihre Verwandten in der Steppe sind wahre Pflanzmaschinen. Wo sie ihre Dunghaufen fallen lassen, spriesst bald neues Leben. Geburtshelfer sind sie für riesige Urwaldbäume, deren Früchte in harten Schalen stecken und erst nach dem Marsch durch den Elefantenmagen zu keimen vermögen. Allein in im Lope Reservat in Gabun fanden Wissenschaftler 71 Baumarten deren Kerne durch Elefanten verbreitet werden. Mindestens 23 Baumarten verlassen sich sogar ganz auf die Dickhäuter als Geburtshelfer und werden nur von ihnen „ausgesäht". Andere Bäume haben Früchte die auch den Gorillas oder Schimpansen gut schmecken. Deren Kerne spriessen dann im Affenmist. Solche Vorsicht ist für die Pflanzen sehr sinnvoll, denn wer ganz auf eine Tierart für die Verbreitung der eigenen Früchte angewiesen ist, macht sich sehr abhängig. Stirbt eine Tierart aus, beispielsweise die Elefanten, sind auch die 23 Baumarten am Ende, die sich nicht ohne Hilfe der Elefanten fortpflanzen können.

Hoher Jagddruck

Erkenntnisse über solche Zusammenhänge haben Wissenschaftler in den letzten Jahren in mühevoller Kleinarbeit in verschiedenen Staaten Afrikas gesammelt. Und immer klarer wird dabei, dass die Menschen sich einer Täuschung hingeben, wenn sie die grossen Bäume anschauen und glauben der Wald sei noch in Ordnung. Es ist wie in einer ausgeraubten Kunsthalle oder Bibliothek, hinter der schönen Eingangstür gibt es nur noch leere Regale und vergilbte Bilderrahmen. So etwa muss man sich heute viele tropische Wälder vorstellen, wo zwar noch Bäume stehen, aber die Bewohner, Affen, Papageien, Flughunde, Elefanten und Tausende anderer Tiere der Verfolgung zum Opfer gefallen sind. Zwar ist alles irgendwie grün und zugewuchert, aber das ist nicht mehr der ursprüngliche Wald. Es scheint, als wären die grossen Säugetiere „hauptverantwortlich" für das Nachwachsen von Tropenbäumen. Zu diesem Schluss kommt auch der Wissenschaftler Lee White, der in Gabun neben den Waldelefanten Schimpansen und Gorillas als bedeutende Samenverbreiter identifiziert: „Viele Baumarten, die von der Verbreitung durch Affen und Elefanten abhängen, werden für den kommerziellen Holzeinschlag genutzt." Die Menschen im Wald nutzen die Früchte von Tropenbäume zum Beispiel für die Herstellung von Öl zum Kochen. Bedroht wird das Leben im Wald in Zentralafrika vor allem durch die grossen, meist ausländischen Holzfirmen. Dabei sind die direkten Schäden durch den Einschlag - im Vergleich zu anderen Gebieten (Asien) - „relativ gering" (White). Das liegt unter anderem daran, dass von den für den Export wert-vollen Baumarten in der Regel nicht mehr als 1-3 Bäume pro Hektar vorkommen. Viel verheerender sind die Konsequenzen der kommerziellen Erschliessung. „Zahlreiche Studien weisen auf die Bedrohung und sogar lokale Ausrottung von Säugetieren in Gebieten mit hohem Jagddruck hin", konstatiert Lee White.

Abhängig von LKWs

Zum Beispiel der Bericht von A. Bennett Hennessey von 1994 über den Wildfleischhandel im Nordkongo. Der Bremer Holzhändler Stoll ist hier für 80 Prozent der Holzproduktion verantwortlich. Der Druck auf den Wald nimmt durch den Holzhandel bedrohliche Ausmasse an. Hennessey gibt an, dass allein in der Provinzhauptstadt Ouesso jede Woche 5700 Kilo Wildfleisch konsumiert werden (Regenwald Report 3/95). Wildfleisch - „Bushmeat" - das sind Affen und Elefanten, aber auch Antilopen und andere kleinere Tiere. Elefantenfleisch gilt im Kongo als besondere Delikatesse. Die Dickhäuter sind aber noch aus einem anderen Grund bei Wilderem begehrt. „Der Grossteil des Elfen beins kam aus dem Gebiet Pokola", berichtet Hennessey, das ist die Konzession des Bremer Holzhändlers Stoll. Der Wissenschaftler hat mit seinem Team von Juni bis Oktober 1994 den illegalen Wildfleisch- und Elfenbeinhandel akribisch festgehalten. Er berichtet, dass die „Jäger in Pokola abhängig sind von den Holztransportern". Der Transport von Personen auf den LKWs sei zwar verboten, „wird aber weiterhin mit alarmierender Regelmässigkeit praktiziert". Über die Stoll Firma CIB schreibt er: „Diese LKWs fahren von Pokola direkt an die Küste in Kamerun und zurück. 0 Die Holz transporte haben die Infrastruktur für einen steigenden Wildfleischhandel in Kamerun geschaffen." Auch die Tierschutzorganisation WSPA dokumentiert in ihrem jüngst veröffentlichten Bericht die entscheidende Rolle der Holzhändler bei der Wilderei. Um die Dörfer herum sind die grossen Tiere bereits aus den Wäldern verschwunden, doch die Holzlaster bringen die Wilderer auch in die entlegenen Waldgebiete und transportieren das Fleisch zurück auf die Märkte. Die - übrigens illegale - kommerzielle Jagd ist in den Konzessionsgebieten inzwischen zu einem lukrativen Wirtschaftszweig geworden, das Fleisch wird auch in die weit entfernten Städte Kongos und Kameruns transportiert.

1750 Kilo pro Woche

Im Lopé Reservat in Gabun war der Druck in der Vergangenheit noch vergleichsweise gering. Doch inzwischen besteht auch hier Anlass zur Besorgnis. Auf der Konzession der GlunzTochter Isoroy werden jede Woche 1750 Kilo Wildfleisch verzehrt, davon 41 Prozent Affen. Schimpansen reagieren offenbar besonders sensibel auf Holzfäller. Die Menschenaffen leben in Revieren, die sie gegen Eindringlinge verteidigen. Man hat festgestellt, dass die Zahl der Schimpansen schon in leicht beschädigten Wäldern wo kein Jagddruck herrscht, bedeutend zurückgeht. Lee White: „Das soll uns eine Warnung sein." Die Elefanten in Afrika sind nur ein Beispiel für die gegenseitige Abhängigkeit von Tieren und Pflanzen in tropischen Regenwäldern. In Millionen von Jahren hat sich am Äquator ein komplexes, vom Menschen bisher kaum durchschautes System, von Abhängigkeiten entwickelt. Nicht nur die grossen Säuger, auch zahlreiche Vogelarten, Fledermäuse und Insekten sind Samenverbreiter. Wissenschaftler der Enquete-Kommission des deutschen Bundestages schätzen, dass die Ausrottung einer Art im Regenwald das Sterben von bis zu 30 weiteren Arten - Tieren wie Pflanzen - nach sich zieht. Affen und Waldelefanten in Afrika, Tiger auf Sumatra, Nashörner auf Borneo aber auch Vögel, Papageien in Südamerika sind verschwunden, geraubt für den Tierhandel, von Trophäenjägern geschossen oder einfach für den Kochtopf. „Wir dürfen uns von einem Wald voller Bäume nicht vortäuschen lassen, dass alles in Ordnung sei" schreibt der Wissenschaftler Ken H. Redford im Magazin „BioScience". Sicher, die Voraussetzung für wirksamen Artenschutz ist die Bewahrung intakter Lebensräume. Doch Redford lenkt den Blick auf einen Aspekt, der bei der Diskussion um die Tropenwälder vernachlässigt wird: „Ein leerer Wald ist ein verlorener Wald". Quellen: Lee J. T White: Vegetation History and Logging Disturbance, Impacts an Rainforest mammals in The Lope Reserve, Gabon (with special emphasis an elephants and apes), Edinburgh 1992 A. Bennett Hennessey: A study of meat trade in Ouesso, Republic of the Congo, Bericht für WCS unt GTZ, 1995 Hen H. Redford: The empty forest, BioScience, Juni 1992 Claude Martin: Die Regenwälder Westafrikas, Birkhäuser Verlag 1989

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