Reinhard Behrend vom Verein Rettet den Regenwald war mit Affenschützern, Holzarbeitern und Umweltgruppen in Kamerun unterwegs. Hier sein Bericht.
Langsam fliesst der Boumba an dem grünen Hügel mit den riesigen Urwaldbäumen vorbei. Auf dem Fluss ein Kanu aus einem Baumstamm geschnitzt. Pygmäenkinder machen Wassermusik. Mit den hohlen Händen schlagen sie auf die Wasseroberfläche. So entsteht ein Rhythmus wie auf einem Musikinstrument. Am Ufer Tausende Schmetterlinge. Bin ich angekommen im Paradies?
„Das ist das dritte Mal, dass Weisse von draussen zu uns kommen" sagt der Dorfchef. „Als ihr kamt, war das für uns wie ein Traum". Er erzählt, dass die Waldantilopen früher bis an den Rand des Dorfes kamen, man immer genug Wild zum Jagen hatte. Jetzt ist alles schlechter geworden. Gorillas, Elefanten und viel Wild gibt es noch jenseits des Flusses. Doch dorthin können sie nicht umziehen, dort leben auch schon Menschen. In der Nacht tanzen die Pygmäen, spielen ihre Trommeln, erzeugen ein rhythmisches Rasen mit Blechbüchsen voll Samen, die sie sich auf den Rücken gebunden haben. Das Dorf lebt, intensiv und glücklich. Fernsehen, Konsum, die Probleme in Europa, das erscheint mir so weit weg wie der Mars.
Bulldozer haben eine Piste bis 200 Meter vor die Hütten planiert. Auf dieser Schneise werden die Skidderfahrzeuge die Urwaldbäume aus dem Wald ziehen bis zum Verladeplatz.
Die Strasse scheint die grosse Hoffnung der Pygmäen. ;,Jetzt sind wir weniger abhängig von den Bantu, auf deren Feldern wir arbeiten, und wir können unsere Früchte besser in die Stadt bringen", sagen einige Männer, „und wir haben Arbeit bei der Holzgesellschaft." Arbeit bedeutet, die Bulldozer über Nacht zu bewachen, und die klaut hier mitten im Wald sowieso niemand. Später bin ich mit den Holzarbeitern im Wald, ich fotografiere das Fällen eines Urwaldriesen. Ayous, dessen Holz sich zur Möbelherstellung eignet. Die Kettensäge frisst sich in die Brettwurzel. Nach einer Viertelstunde neigt sich der Baum. Alles rennt. Im Fallen reisst der Urwaldriese die Krone des Nachbarbaumes ab.
Ich bin hier mit Karl. Karl ist Schweizer, lebt seit 20 Jahren in Kenia. Sein Leben sind die Menschenaffen: Gorillas, Schimpansen. Die Affen haben uns den Weg ins Holzcamp geöffnet. Gorillas und Schimpansen, darüber kann man mit den libanesischen Holzbossen unverfänglich plaudern. Gern erzählen sie, in welcher Hütte gerade ein Junges von einem Jäger gehalten wird, helfen Kontakte herzustellen, und freuen sich über den Besuch aus Europa. Karl Ammann kennt sie schon von früheren Besuchen. Sie arbeiten seit vier Jahren in diesem Gebiet, seitdem hat sich die Holzgesellschaft 54 Kilometer in den Wald gefressen, die Stämme rausgeholt, „die wir brauchen können".
Gorillakind für 15 Mark
Im Nachbardorf soll es ein Schimpansenbaby geben. Als wir ankommen die deprimierende Auskunft: vor drei Tagen gestorben. Dieselbe Enttäuschung mit zwei oder drei anderen Affenkindern. Doch dann finden wir einen kleinen Gorilla, etwa eineinhalb Jahre alt. Er ist an der Ecke einer Hütte angebunden und lässt den Kopf hängen. Wenn man sich nähert, beisst er verzweifelt. Karl holt ihn aus der Hütte.
„Er braucht vor allem menschlichen Kontakt" meint Karl. Kleine Gorillas verfallen ohne ihre Mutter in Depressionen. Er gibt mir den kleinen. Mit einem Lappen hindere ich ihn am Beissen. Wir geben ihm Wasser. Er will sich anklammern, gekrault werden. Wir nennen ihn spontan „Boumba" nach dem Fluss, an dem er gelebt hat. Karl erklärt den Einheimischen, dass die Gesetze des Landes die Jagd auf Gorillas und Schimpansen streng verbieten. Ob es was nützt, ist mehr als fraglich. Polizeichefs und Regierungsbeamte bestellen Gorillafleisch bei den Jägern, auch die Flinte gehört einem „Bigshot" einem der Reichen der Stadt. Der Jäger erzählt auch ganz unbefangen, wie er vor 10 Tagen die Mutter aus 4 Metern Entfernung geschossen hat. Danach hat der Silverback, der grosse Gorilla, ihn angegriffen und er hat noch mal geschossen. Ob auch dieses Tier verwundet wurde, weiss er nicht. Im letzten Jahr hat er fünf Gorillas geschossen. Für das Fleisch eines Tieres gibt es umgerechnet 70 DM. Für 15 DM retten wir Boumba vor dem Kochtopf. In Limbe an der Küste gibt es eine Rehabilitationsstation, wir werden die Leute dort benachrichtigen. Schimpansen hat man dort schon dreissig, und es wird eng. Hundert weitere könnte man beschlagnahmen, aber was dann? 50 Jahre dauert ein Affenleben. Für die Babies spenden Europäer gerne, aber fünfzig Jahre Hunderte von Affen durchfüttern? Gorillas nimmt man dort noch gerne. Nur wenige überleben. „Selbst wenn es ihnen körperlich gut geht" sagt Karl, „plötzlich entscheiden sie, dass sie nicht mehr leben wollen, geben auf und sterben".
Für die Nacht bringen wir Boumba in einer Hängematte mit Dach unter. Brot, Bananen und grüne Blätter wecken wieder sein Interesse an der Welt. Am liebsten möchte er auf dem Arm getragen werden. Er ist wie ein Kind, dieselben Emotionen, derselbe Ausdruck.
Ich frage die Pygmäen, ob sie schon mal ein Gorillakind in ihrem Dorf hatten. „Nein", wenn sie eines jagen, dann haben sie es gegessen. Vorsichtig berühren sie den Affen. Eine Beziehung entsteht.
Am Rande der Holzstrasse verändert sich die Welt. Auf den Holzsammelplätzen am Rand der Privatstrasse liegen noch die Abfälle, das nicht verwendete Holz.
Überall ragen noch die Baumriesen in den Himmel. Verlassene Jagdcamps am Rand der Strasse. Der Wald leergeschossen, die Jäger weiter gezogen im Schlepptau der Motorsägen.
Frauen verkaufen Mittagessen an die Holzarbeiter, gekochte Waldantilope. Noch einmal ernährt der Wald die Menschen, die ihn nun der wertvollen Bäume entblössen. Dann bleibt er leergeschossen und leergesägt zurück, eine grüne Fassade.
Der Weg in den Wald führt durch rote Staubwolken. LKWs mit Holzstämmen, Staubwolke, Ausblick auf rotgefärbte Blätter, Lehmhütten am Weg, LKW, Staubwolke. Auf unserem Weg ins Innere Kameruns begegnen uns Hunderte Holzlaster. Die Stämme kommen auch aus dem benachbarten Nordkongo, aus der Zentralafrikanischen Republik. Holz ist das zweitgrösste Exportgut für Kamerun nach Erdöl, über eine Million Kubikmeter pro Jahr. Nachdem die Elfenbein-küste vor kurzem den Export von unverarbeitetem Holz verboten hat, stürzen sich die Holzhändler begierig auf das letzte Reservoir. Unverarbeitete Stämme, das ist das grosse Geschäft.
Das meiste Holz stapelt sich im Hafen von Douala. Was schwimmfähig ist wird ins Wasser gerollt und zu den Dampfern geflösst. Kontrolliert wird das ganze inzwischen von einer privaten Gesellschaft der Société Générale de Surveillance (SGS). Diese Schweizer Kontrollfirma ist ein weltweiter Konzern mit 33 000 Angestellten und kontrolliert weltweit alles von Kunstdünger bis Holzqualität. Für die Regierungen von Kamerun und Kongo wird die Holzmenge und die Qualität des Holzes geprüft. So konnten die Steuern aus dem Holzgeschäft im letzten Jahr um 20 Prozent gesteigert werden, erklärt mir Jean-Francois Le Bideau, Mitarbeiter des Konzerns.
„Nationale Initiativen"
Yaounde, Hauptstadt. Ausserhalb der Stadt das Luxushotel Mount Febé. Vor der Tür drängeln sich Mercedes an Mercedes. Von den Balkonen blickt man auf einen riesigen Golfplatz und in der Nachbarschaft auf den erleuchten Palast des Präsidenten. Im Hotel Mount Febé haben sich an die hundert Seminarteilnehmer versammelt. Es geht um die Zertifizierung von Holz. Die Konsumenten in Europa sind verunsichert, welches Holz kann man noch guten Gewissens kaufen? Wissenschaftler Dubois aus London erklärt, dass Zertifizierung eine Kontrolle des Holzes durch den Markt bedeutet. Gute Forstwirtschaft soll von unabhängigen Firmen überprüft und zertifiziert werden, der Konsument soll dem Zertifikat vertrauen und nur noch das kaufen, was so gekennzeichnet ist. Ein weltweit einheitliches Zertifikat ist gerade auf den Markt gekommen, das Kennzeichen des Forest Stewardship Council (FSC). Nun gilt es, die allgemeinen Grundsätze zur Forstwirtschaft an die afrikanischen Bedingungen anzupassen.
Im FSC haben Umweltschützer eine entscheidende Stimme. Auch hier in Afrika haben sich Umweltgruppen schon vor Monaten zusammengesetzt und über das Thema Zertifikat diskutiert. Doch das ist jetzt vergessen. Jetzt hat die Europäische Union das Thema in die Hand genommen. Mit einer Million Dollar überschüttet sie die afrikanischen Umweltgruppen. Die „Mission" der EU: nationale afrikanische Initiativen zur Zertifizierung zu gründen. Zwei Tage lang erklären hoch bezahlte Experten aus Europa, wie Zertifizierung funktionieren soll.
Die Afrikaner, die man auch aus den Nachbarländern eingeflogen hat, hat man praktischerweise in einem billigeren Hotel in der Stadt untergebracht. Dankbar sind alle für jede Information. Information, das fehlt uns am meisten, meinen sie. Arbeitsgruppen werden gebildet, Vor- und Nachteile aufgeschrieben und wer an den Grundsätzen der Zertifizierung mitarbeiten soll.
Dann ist die Zeit praktisch abgelaufen. „Wir wollen eine Arbeitsgruppe mit fünfzehn Teilnehmern gründen", verkündet der Versammlungsleiter. Für Diskussionen ist keine Zeit mehr. Es kommen noch Wortmeldungen, doch der Mann auf dem Podium ignoriert sie eisern. Keine Zeit. Hier sollen Leute übertölpelt werden. Schon im Januar hat die EU belgische Holzhändler nach Kamerun geflogen, um sie von Zertifikaten zu überzeugen. Nun muss man eine „nationale" Gruppe gründen, die im Auftrag der Geldgeber aus Brüssel gut funktioniert. Wie sollen die 15 Leute der Arbeitsgruppe ausgewählt werden, welche Gruppen sollen vertreten sein? Alles Fragen, die man hätte diskutieren müssen. Jetzt ist angeblich keine Zeit mehr. Schluss, keine Diskussion mehr! Unter diesen Umständen platzt mir der Kragen. Ob ich von dem bezahlen Herrn am Mikrofon das Wort erteilt bekomme oder nicht, interessiert mich nicht! Ich erkläre, dass Zertifikate, die so undemokratisch zustande kommen, von den Verbrauchern in Europa niemals akzeptiert würden, und dass es ein Skandal ist, dass die EU mit Steuergeldern aus Europa die „nationalen Initiativen" in Afrika manipuliert. Ich plädiere dafür, dass jeder an der Arbeitsgruppe teilnehmen kann. Schweigen. Dann wird die Diskussion wieder eröffnet und man diskutiert die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe. Der Versammlungsleiter weiss nicht, wer nun abstimmen soll, die Kameruner oder alle?? Hin und Her. Schliesslich entscheidet eine Minderheit, dass drei Umweltschützer, drei Menschen von lokalen Gruppen, drei Regierungsvertreter, drei Businessleute und drei Wissenschaftler dabei sein sollen. Dann hält ein Weisser das Schlusswort. Nach dem Treffen kommen viele Afrikaner zu mir und freuen sich, dass ich den Mund aufgemacht hab. Das ist man nicht gewohnt, dass man den Autoritäten widerspricht. Alle sehen ein Problem mit der Arbeitsgruppe. Die Möglichkeiten, sich frei zu äussern sind begrenzt. Viele Umweltschützer arbeiten bei der Regierung. Da bestimmt der Boss mit, was man zu sagen hat. Die nächste solche „nationale Konfernz" wird in Ghana im Herbst stattfinden. Rettet den Regenwald wird dafür sorgen, dass die Manipulation durch die Europäische Union aufhört.
Und die Pygmäen? Wie können sie wissen, wohin ihre Strasse führt?