RegenwaldReport 04/1999
Die große Fruchtzeit
In seinem Tagebuch berichtet Bruno Manser von seinem Leben mit den PenanWaldnomaden. Die Menschen haben ausgezeichnete Kenntnisse von den Pflanzen und Tieren im Wald und nutzen ihn, ohne ihn zu zerstören.
bm - Penan-Nomaden leben das ganze Jahr über von der Jagd - hauptsächlich auf Wildschweine - und von Sago, einem Stärkemehl aus wilden Palmen. Nur wenige Bäume der Wildnis blühen jedes Jahr; beim Pflücken ihrer Früchte sind die Affen meist schneller als der Mensch. In Intervallen von ca. 5-7 Jahren blüht jedoch der ganze Dschungel mit allen edlen Fruchtbäumen und verwandelt sich zu einem wahren Schlaraffenland! Während Monaten herrscht Überfluss an Nahrung, denn auch das Wild folgt dem Fruchtsegen. 1998/99 war ein solches Glücksjahr. Wie der Nashornvogel (Metui) Vorbote der baldigen Ankunft der grossen Wildschweinrudel ist, weiss der Penan beim Anblick von so genannten Wurzelblumen (Busak Lakat) am Fuss des Meranti-Baums, dass ein grosses Fruchtjahr bevorsteht. In einem solchen füllen die Penan ihren Mangel an Vitaminen und Süssigkeiten bis zum Überdruss auf. Über 100 zum Teil sehr nahrhafte Fruchtarten reifen in wechselnder Folge. Als erste Gabe locken in den Niederungen die Süss-säuerlichen gelben Cu-Ui-Kugeln, die von weitem an Mirabellen erinnern. :Wer sich in seiner Gier an unreife Früchte wagt, hat bald die Zähne mit gelbem Harz verklebt, und das Gefühl der „langen Zähne" (Kennilou), von den Fruchtsäuren empfindlich gemacht, mahnt zum Einhalt. Den Abschluss des Fruchtsegens bilden ein halbes Jahr später die dattelähnlichen, blauschwarzen Kerameu Paiáh- Früchte im Gebirge. Nach Überschütten mit heissem Wasser werden sie schön süss. Während der Fruchtzeit will niemand zurück in der Siedlung bleiben. Schon vierjährige Knirpse schultern sich ein Rattansäcklein und schliessen sich einem Trüpplein zum spielerischen Streifen durch den Dschungel an. Wer klettern kann, klettert aufwärts. Bei den Penan können das sogar schwangere Frauen! Denn was gibt es Schöneres, als sich oben auf einem Baum in eine Astgabel zu setzen, sich das Ränzlein mit süssem Fruchtfleisch vollzuschlagen und bei angenehmen Lüften erst noch die Aussicht zu geniessen? Bei riskanten Bäumen finden sich immer ein paar Waghalsige, die hoch oben in der Krone durch Schütteln, mit einer Stange mit Widerhaken, oder ganz einfach durch Kappen der Aste die Früchte für die unten Wartenden zu Fall bringen. Leider werden häufige oder kaum kletterbare Bäume wie Cu-Ui, Beripun, Peta auch gefällt, um ihrer Früchte habhaft zu werden. Eine der edelsten Früchte ist Buá Jet (Langsaat), die auch kultiviert wird. Ihre dünne Schale fällt beim Transport nicht ins Gewicht, und ihr süss-saftiges Fruchtfleisch riecht in reifem Zustand wie der Hintern der Sagok-Ameise (Bo Sak Lotok Sogok). Die bittere Rinde des Baums ist ein Malariamittel, der grüne Same eine Zugabe im Pfeilgift. Eine ganze Reihe von begehrten Lianenfrüchten, vor allem die Pellutan-Arten, die wie Orangen im Gezweig hängen. Ihre Ernte ist jedoch gefährlich, selbst wenn der Wirtsbaum gefällt wird. Ihr reichlich fliessender Milchsaft lässt schwarze Flecken auf der Haut zurück. Das Latex der „Pellutan Linga"-Liane dient als Seife. Auf die Haut gestrichen bindet es die anderen Latexarten an sich und kann nach Trocknung abgerieben werden. Allerdings Vorsicht: Die Methode klappt nicht bei behaarten Körpern! Rund 20 wilde Rambutan-Arten locken. Einige leuchten als flammendrote Wuschelköpfe aus grünem Blättermeer. „Dick ist die Schale der Maha-Frucht, doch süss ihr Fruchtfleisch!" (Kapan ipa buá maha, tapi mee luneng néh) besingt das Loblied die Frau, die auf den ersten Blick nicht die Schönste ist, jedoch innere Qualitäten hat. Im Gegensatz zur kultivierten Rambutan Kahwin, löst sich bei den wilden Sorten das Fruchtfleisch nicht willig vom mandelgrossen Samen. Wer diesen nicht mitschlucken will, bearbeitet die Frucht im Mund drehend mit den Schneidezähnen, um an das Fleisch und den süssen Saft zu kommen. Der einzige Schatten, den das Früchteparadies wirft, ist, dass erstaunlich viele junge Penan bereits von Fruchtsäuren lädierte Zähne haben und dringend Behandlung benötigen. Die dicke Schale einer ganzen Familie von nuss- bis pfirsichgrossen Früchten (Buá Ipa) öffnet sich unter Druck in 3 Segmente. Bei grossem Angebot sammelt man nur das Fruchtfleisch in einen Bambusbehälter ein, der Inhalt verwandelt sich dann innerhalb 2-3 Tagen zu einem süss-alkoholischen Getränk (Borak Buá). Die Gärung kann durch Zugabe des Mitteltriebs einer Nakanfrucht gefördert werden. Leider ist die Herstellung dieses Getränks, dessen Geschmack an Traubensaft im Gärstadium erinnert, den Penan von der Christlichen Mission SIB verboten worden. Die grössten und nahrhaftesten Früchte des Dschungels werden von den Penan unter dem Namen Buä Jato (gefallene Früchte) zusammengefasst. Am bekanntesten - oder berüchtigsten - ist die kopfgrosse, 1-2 kg schwere, stachelgespickte Durian-Frucht. Sie wächst meist an grossen Bäumen und kommt in Arten mit weissem, gelbem und rotem Fruchtfleisch vor. Überreife Früchte riechen wie erbrochene Speise. Weder Hotels noch Fluggesellschaften erlauben sie im Reisegepäck. Wer sie (noch) nicht kennt, verabscheut sie. Wer es wagt, sie zu kosten, kann nach dem dritten Versuch süchtig werden. Alle Eingeborenen lieben sie, und kaum ein Kind, das sich nicht genüsslich das schmierige Fruchtfleisch von den Fingern schleckt! Ein Baum kann mehrere hundert Früchte liefern und 2-3 Familien während zwei Wochen ernähren. Für leichteren Transport wird nur der Inhalt der Stachelkugeln im Blattpaket nach Hause getragen. Das Fruchtfleisch kann über dem Feuer zu schwarzbraunem Teig getrocknet und haltbar gemacht werden (Dusi). Die augapfelgrossen Samen hat man früher gekocht, geschält und über dem Feuer getrocknet als Proviant für später (Gurem). Ebenso edel wie die Durian sind die Nakan-Früchte (Jackfruit) [Abb. 7]. Wie riesige Hängebrüste wachsen sie direkt aus dem Stamm, der nach der Sage eine verwandelte Penan-Frau ist. Kommt eine Gruppe vom Streifzug in die Siedlung zurück, wird ein Teil der Ernte mit allen anderen Familien geteilt, und der Früchteschmaus geht weiter. Obwohl die PenanNomaden keinen Ackerbau betreiben, werden sie in der Fruchtzeit zu Gärtnern: Da die Samen verzehrter Früchte ausgespuckt werden oder nach Passieren des Verdauungstraktes in den Büschen landen, spriesst am Siedlungsplatz schon nach kurzem ein neuer Fruchtgarten!