Für Deutschland ist es ein Geschäft, für Menschen in Indien eine Existenzfrage: Vertreibt Rot-Grün 40.000 Menschen in Indien von ihrem Acker?
Bauer Badrial aus dem Dorfe Jalud ist mit seinem Land zufrieden. „Was immer in der Welt wächst, kann auf unserem Boden gedeihen", lobt er das fruchtbare Ackerland. Der Fluss Narmada ermöglicht intensive Bewässerung, nährstoffreiche, schwarze Böden erlauben bis zu drei Ernten im Jahr. Sichtbarer Ausdruck des Wohlstands: Die Dorfbewohner haben Krankenstationen, Schulen, gute Strassen - in Indien keine Selbstverständlichkeit.
Doch der Frieden der Dorfbewohner ist bedroht. Der indische Konzern S. Kumars will ein 400-Megawatt-Wasserkraftwerk am Narmada-Fluss bauen und dafür den Maheshwar-Damm errichten. Dafür müssten Tausende Familien umgesiedelt werden. Offiziell wird von 20 000 Umsiedlern gesprochen, doch Umweltschützer schätzen, dass gut doppelt so viele Menschen durch den Staussee vertrieben würden.
Die Gesetze des indischen Bundesstaats Madhya Pradesh schreiben vor, dass die Bauern Ersatzland erhalten müssen. Im dicht besiedelten Indien kaum möglich. Heffa Schücking von der deutschen Umweltorganisation Urgewald recherchierte vor 1998 vor Ort und fand haarsträubende Machenschaften.
Betrug mit Blanko-Verträgen
Um die Bauern aus dem Staudammgebiet umzusiedeln, wird Geld versprochen, das bei den Bauern nie ankommt. Bauern müssen BlankoVerträge unterschreiben, in denen die Firma einsetzen kann, was sie will. Die Staudammfirma verdrängt sogar indische Adivasi-Ureinwohner von ihrem Gemeinschaftsland. „Wenn unser Land verschwindet, dann können wir nicht mehr überleben. Sollen wir Steine essen?" klagt Anokibai, einer der indischen Adivasi, den Heffa Schücking interviewte. Eine ganze Vertreibungsspirale entsteht.
Würde man die tatsächlichen Kosten der Umsiedlung und der Vernichtung des guten Ackerlandes berücksichtigen, dann wäre das Projekt nicht wirtschaftlich, glaubt die deutsche Umweltschützerin. Verschärft wird die Lage durch weitere riesige Staudammprojekte weiter flussabwärts. Auch aus diesen Gebieten sollen Menschen „umgesiedelt" werden, aber Land steht nicht zur Verfügung. Selbst die Fischer in den Dörfern fürchten den Staudamm, denn der renommierte amerikanische Experte Dr. Tyson Roberts hat das Verschwinden mehrerer Fischarten vorausgesagt.
Vertreibung mit deutschem Kapital
Das Kapital für das Wasserkraftwerk kommt aus Deutschland: Die Hypovereinsbank aus München will einen 297 Millionen Dollar Kredit geben, und der Siemens-Konzern wird mit 17 Prozent Anteil „stiller Teilhaber" der indischen S. Kumars Firma. Siemens verdient an den Turbinen und der Ausrüstung für das Wasserkraftwerk. Die deutsche Hypovereinsbank und der Siemens-Konzern gehen bei dem Geschäft kein Risiko ein: Die Bundesregierung, d.h., der deutsche Steuerzahler, bürgt für die Rückzahlung der Kredite.
Ohne Kontrolle und ohne Grundsätze
Maheshwar Kraftwerk und Staudamm sind nur ein Beispiel für die rücksichtslose Exportförderung Deutschlands. Die Bundesregierung bürgt für Exportkredite in Problemländer von 36 Milliarden Mark pro Jahr. Entschieden wird darüber in einem Ausschuss von Beamten des Wirtschafts-, Finanz-, Entwicklungsund Aussenministeriums. Die gewählten Abgeordneten des deutschen Bundestages haben kein Mitspracherecht.
Die Bauern in Maheshwar haben wiederholt den Bauplatz besetzt. Im Dezember 1999 zog eine Abordnung von 500 Bewohnern vor die deutsche Botschaft in Neu-Dehli und übergab dem Botschafter 10 000 Protestpostkarten. Darin heisst es: „Verehrter Herr Botschafter, ich bin einer von Tausenden von Bauern und Arbeitern, dessen Land und Leben von dem geplanten Wasserkraftwerk Maheshwar vollkommen zerstört werden. Ich weiss, dass es nicht genug landwirtschaftlichen Boden gibt, um mich und vierzigtausend andere Betroffene zu rehabilitieren. Ich weiss ausserdem, dass die von dem neuen Projekt produzierte Energie so teuer wird, dass unser Staat bankrott machen wird. Warum soll der Staudamm gebaut werden? Das fragen wir uns und sind entschlossen, den Kampf mit aller Härte zu führen. Wir werden es nicht zulassen, dass dieser Staudamm je gebaut wird."
Zum Weiterlesen:
• Der Maheshwar Staudamm in Indien, Ein Reisebericht von Heffa Schücking, Urgewald, 1998
• „Wir werden nicht zulassen, dass dieser Damm je gebaut wird" Frankfurter Allgemeine, 30. 11. 99
• Heimliches Risiko, Der Spiegel Nr. 46 / 1999
• A Race to the Bottom. Creating Risk, Generating Debt and Guaranteeing Environmental Destruction (Eine Fallstudie von 9 Umweltorganisationen zusammengestellt), March 1999