RegenwaldReport 04/2002
Deutschland: Illegaler Tierhandel: Grünes Ministerium blauäuig
Pro Wildlife: „Der Schutz der internationalen Artenvielfalt hört an deutschen Grenzen auf.“
Die Exportgenehmigung war nur für zwei Graupapageien aus der Demokratischen Republik Congo (DRC) ausgestellt, doch tatsächlich wurden mit dem Dokument 1.000 Exemplare aus dem Land geschmuggelt. Der krumme Deal mit den international geschützten Graupapageien ist nur ein Beispiel dafür, dass seit Jahren in der vom Bürgerkrieg zerrütteten DRC der illegale Handel mit Wildtieren blüht. Deutschland importierte zwischen 1997 und 2000 fast 1.250 wild gefangene Graupapageien, obwohl es in der DRC keine funktionierende Artenschutzkontrolle gibt und exakte Zahlen fehlen, wie viele Exemplare welcher Arten überhaupt noch existieren. Auch den Graupapageien aus Kamerun und Sierra Leone droht die Ausrottung durch kommerziellen – und häufig illegalen – Handel. In beiden Ländern wurden seit 1995 die international genehmigten Exportquoten teilweise um mehr als 100 Prozent überschritten. Bei Chamäleons und Geckos aus Madagaskar lagen die Verstöße sogar noch höher – bis zu 230 Prozent. Geschützte Tiere und Pflanzen oder Produkte aus ihnen werden weltweit millionenfach gehandelt und Deutschland mischt munter mit. Nach Angaben von Pro Wildlife werden jährlich über 100.000 international geschützte lebende Wildtiere nach Deutschland importiert. Dazu komme ein Vielfaches an Lederprodukten, Jagdtrophäen, Souvenirs und Schmuck aus geschützten Arten sowie zahllose ungeschützte Tiere. Ob Nashorn, Kaiman, Leopard, Ozelot, Elefant, Schildkröte, Falke oder Orchideen – die Liste der durch unkontrollierten Handel von der Ausrottung bedrohten Arten ist lang, häufig stammen sie aus Regenwäldern. Die kommerzielle Wildtier-Entnahme bedroht die Stabilität der einzigartigen, hochsensiblen Ökosysteme. Regenwälder zeichnen sich dadurch aus, dass fast jede Art andere unterstützt und von anderen profitiert – eine millionenfache gegenseitige Abhängigkeit. Tropische Bäume etwa stehen mit einer ganzen Reihe von Tieren in enger Beziehung. Die Spanne reicht von winzigen Käfern über kleine Mücken und Bienen bis zu Fledermäusen oder Vogelarten, die die Pollen von Baum zu Baum transportieren. Diese Beziehung kann so eng sein, dass allein eine Art für die Bestäubung einer bestimmten Baumart zuständig ist. Eine Studie aus dem Flachland-Regenwald von Costa Rica belegt, dass dort 139 von 143 entdeckten Baumarten von Tieren bestäubt wurden, was 96,4 Prozent entspricht. Daraus ergibt sich eine einfache Schlussfolgerung: keine Bestäuber – keine Früchte. Keine Früchte – keine neuen Sprößlinge. Keine neuen Sprößlinge – kein Fortbestehen der betroffenen Baumart. Wird beispielsweise eine Vogelart ausgerottet, kann das zu einem Dominoeffekt führen: Als Folge verschwindet eine Baumart für immer, die wiederum alleiniger Lebensgarant für bestimmte Aufsitzerpflanzen, Moose, Insekten, Vögel oder Pilze ist. Zumindest regional kann dadurch das gesamte Ökosystem Regenwald kippen. Internationale Schutzbestimmungen wie das „Washingtoner Artenschutzübereinkommen“ (WA) und EU- sowie nationale Regelungen verpflichten die Bundesregierung, den Handel mit natürlichen Ressourcen zu kontrollieren und eine „nachhaltige“ Nutzung zu gewährleisten. Nach einer aktuellen Untersuchung von Pro Wildlife sieht die Realität jedoch anders aus: „Der Schutz der internationalen Artenvielfalt hört an deutschen Grenzen auf: Während Fang und Handel von heimischen Wildtieren weitgehend verboten sind, leistet Deutschland dem Verlust der Artenvielfalt durch die unkritische Erteilung von Imund Exportgenehmigungen für exotische Tiere Vorschub“, so Pro Wildlife Sprecherin Dr. Sandra Altherr. Zentraler Vorwurf: Der Handel mit international geschützten Arten wird uch dann nicht gestoppt, wenn dies dem Überleben der Art schadet oder wenn im Herkunftsland eklatante Missstände im Artenschutzvollzug herrschen. „Bis heute hält das grün geführte Bundesumweltministerium selbst für die Plünderung bedrohter Arten die Schleusen weit geöffnet“, so der Vorwurf. Das gescholtene Ministerium sieht das natürlich anders. „Deutschland bleibt Motor im internationalen Artenschutz“ verkündete es gar, als vergangenen Sommer das WA 25jähriges Bestehen feierte. Und Jürgen Trittin lobte: „Das WA ist eine der effektivsten internationalen Übereinkünfte gegen den Artenschwund. Es ist ein schlagendes Beispiel dafür, wie effektiv Handelskontrollen als Umweltschutzmaßnahme sein können.“ Zur steigenden Zahl von beschlagnahmten Arten in Deutschland meinte der Minister, sie zeigten, „dass unsere Zollbehörden engagiert und sachkundig dem Schmuggel begegnen und für eine solide Umsetzung des WA sorgen.“ Die von Pro Wildlife kürzlich vorgelegte Dokumentation „Ein- und Ausfuhr geschützter Arten: Defizite in der deutschen Genehmigungspraxis“ belegt das Gegenteil. So kommt die Untersuchung unter anderem zu dem Schluss: Die derzeitige Genehmigungspraxis der Bundesregierung für WA-geschützte Arten missachtet häufig das Vorsorgeprinzip. Wenn etwa die Bestandssituation ungeklärt ist, werden Anträge trotzdem genehmigt, auch wenn die ökologischen Folgen ungewiss oder sogar bedenklich sind. • Importe werden genehmigt, obwohl die Gefährdung der Art oder der Population belegt oder nicht ausgeschlossen ist. • Importgenehmigungen trotz deutlicher und wiederholter Überschreitung der vom WA festgelegten Quoten. • Importe aus und Exporte in Länder mit mangelhaftem Vollzug des WA. • Importe streng geschützter Arten für kommerzielle Zwecke trotz Einfuhrverbot wie etwa bei Elfenbeinschnitzereien. Insgesamt untersucht die Dokumentation von Pro Wildlife anhand von 18 Fallbeispielen, ob durch den Wildtierhandel der Bestand dezimiert wird, ob Vollzugsdefizite im Ein- oder Ausfuhrland bestehen und ob der Importzweck überhaupt zulässig war. Geprüft wurden Im- und Exporte zwischen 1995 und 2000. In diesem Zeitraum führte Deutschland offiziell 5.222 Säugetiere, 421.915 Vögel, 214.017 Reptilien und 12.005 Amphibien von WAgeschützten Arten ein – Tendenz steigend. „Importe Tausender geschützter Vögel und Reptilien für den Heimtierhandel – etwa Grauund Mohrenkopfpapageien, Chamäleons und Geckos – werden abgesegnet, obwohl Bestandszahlen fehlen und die ökologischen Folgen fatal sein können“, so Pro Wildlife. Dies gelte ebenfalls für Jagdtrophäen sowie für Zehntausende Felle für die Pelzindustrie. Aus Ländern wie Guyana, Kamerun, Indonesien, Senegal, der DRC oder Madagaskar sind wiederholt Überschreitungen von Quoten für Wildvögel und Reptilien dokumentiert. Eigentlich müsste die Bundesregierung den Import aus diesen Ländern aufgrund der dort bestehenden Vollzugsprobleme aussetzen. Trotzdem wird die Einfuhr von wild gefangenen Vögeln und Reptilien nach Deutschland weiterhin genehmigt. Ein besonders gut belegtes Beispiel ist die desolate Artenschutz-Situation auf Madagaskar, das eine einzigartige, größtenteils endemische Flora und Fauna beherbergt. „Gerade die Seltenheit einiger Tiere und Pflanzen weckt Begehrlichkeiten bei Sammlern in Europa und Amerika. Die Natur der afrikanischen Insel wird entsprechend für den internationalen Markt regelrecht geplündert“, so Sandra Altherr von Pro Wildlife. Deutschland sei einer der weltweit führenden Abnehmer von bedrohten Reptilien und Amphibien aus Madagaskar. Trotz langjähriger Ermittlungen von Interpol gegen drei einschlägig bekannte Firmen würden Importe nach Deutschland weiter genehmigt, die offensichtlich aus dubiosen Quellen stammten. Ähnlich brisant seien Importe aus Ländern wie Guyana, der DRC oder Indonesien anzusehen. Die internationale Artenschutzorganisation Animal Conservation for Life berichtete diesen Sommer, dass indonesische Militärs in den illegalen Handel mit Vögeln verwickelt sind. Zehntausende geschützter Papageien aus den Provinzen Maluku und Papua seien auf Kriegsschiffen nach Java und Bali transportiert worden. Als Beweis präsentierten die Artenschützer Videoaufnahmen, gedrehtim Mai 2001 auf dem Kriegsschiff „TNI Teluk Manado 537“. An Bord sind Hunderte Papageien zu sehen. Leidtragende des illegalen Handels und lascher Kontrollen in den Einfuhrländern sind Tiere und Pflanzen aus aller Welt. Das asiatische Java-Nashorn etwa lebt zurückgezogen in dichten Regenwäldern auf Java und in Vietnam. Jahrelang haben Wilderer der Art nachgestellt, weil der Handel mit den Tieren hohe Profite versprach. Mit einem Gesamtbestand von weniger als 70 Tieren zählt das Java-Nashorn heute zu den seltensten Großsäugern der Welt. Der Alexandras Vogelflügler, mit bis zu 25 Zentimeter Spannweite größter Tagfalter der Erde, ist gleichzeitig auch einer der seltensten. Durch die fortschreitende Zerstörung tropischer Wälder in Papua-Neuguinea und illegalen Handel ist die Schwalbenschwanz-Art ernsthaft von Ausrottung bedroht. Die Riesen-Rafflesia aus den Regenwäldern in Malaysia und Indonesien besitzen mit bis zu einem Meter Durchmesser die größten Blüten der Welt. Rücksichtsloses Sammeln für medizinische oder Liebhaberzwecke und massive Lebensraumzerstörung haben manche Arten an den Rand der Ausrottung gebracht. Beteiligt am Ausverkauf der Arche Noah sind auch deutsche „Tierliebhaber“ und die zuständigen Regierungsstellen, beklagen Artenschützer. Zehn Jahre nach dem Übereinkommen über den Erhalt der biologischen Vielfalt auf dem Erdgipfel in Rio 1992 zieht Pro Wildlife eine traurige Bilanz der deutschen Artenschutzpolitik. „Die Bundesregierung verspielt einen der kostbarsten Schätze der Welt: die natürliche Artenvielfalt. Der massenhafte Import von Wildtieren und -pflanzen nach Deutschland steht im deutlichen Widerspruch zu den Zielen des Übereinkommens: Dem Schutz der Biodiversität und dem Prinzip der Nachhaltigkeit.“ Im kommenden November (Stand: Dezember 2002) findet die nächste WA-Vertragsstaaten-Konferenz statt. Wichtigste Forderung an die deutsche Regierung: „Wildtierimporte aus freier Wildbahn, bei denen Zweifel an der Naturverträglichkeit bestehen oder die aus Ländern stammen, in denen Artenschutzbestimmungen mit Füßen getreten werden, müssen umgehend gestoppt werden.“