Illegale Verhaftungen, Tote und Umweltverstöße beim Bau der neuen Pipeline in Ecuador
„Solange die OCP-Pipeline gebaut werden soll, bleiben wir hier”, sagen die Dorfbewohner von Mindo. Auf einem Privatgrundstück in den nahen Wäldern haben die Menschen Anfang Januar ein Umweltcamp errichtet. Sieben von ihnen harrten fast drei Monate zehn Meter hoch auf Bäumen im Nebelwald aus, um diese vor einer drohenden Rodung zu schützen. In Zelten, die sie in die Äste gehängt haben, trotzten die Baumbesetzer den in 2.800 Metern Höhe empfindlich kalten Nächten. Die Wälder sind immer wieder tagelang in Wolken eingehüllt, und es regnet wie aus Kübeln, weswegen sie als Nebelwälder bezeichnet werden.
Tausende Menschen, darunter ein paar Dutzend Ausländer, und zahlreiche Journalisten haben das Umweltcamp in den vergangenen Wochen besucht. Die Dorfbewohner von Mindo kämpfen für die Rettung ihres weltweit einzigartigen Naturschutzreservats, das etwa drei Autostunden nordwestlich der ecuadorianischen Hauptstadt Quito liegt. Ihre Gegner: das OCP-Konsortium, ein Zusammenschluss aus sechs multinationalen Ölfirmen, und die Düsseldorfer WestLB. Die Konzerne wollen mit einem 1,2 Milliarden Euro-Kredit der WestLB eine 500 Kilometer lange Pipeline mitten durch den Regenwald bauen – vom Amazonasgebiet quer durch die Anden bis an die Pazifikküste Ecuadors.
Die Trasse soll die intakten Bergregenwälder der Schutzgebiete Mindo Nambillo und Cuenca Alta del Rio Guallyabamba zerschneiden - auf den Gipfelzügen der höchsten Berge in der Region. OCP-Angestellte haben den Verlauf bereits über viele Kilometer mit roten und weißen Holzpflöcken markiert.
Erdrutsche, Erdbeben und aktive Vulkane bedrohen die Pipelinetrasse
Die Gipfelzüge sind stellenweise kaum mehr als einen Meter breit. Auf beiden Seiten fallen die Berghänge hunderte von Metern steil ab. Um die Pipelinerohre wie geplant eingraben zu können, müssen die Grate der Berge teilweise abgetragen werden. Das Gesteinsmaterial wird die Hänge auf beiden Seiten hinunterstürzen und die Regenwälder bis unten ins Tal zerstören. Die Wurzeln der Bäume geben den Böden an den steilen Berghängen Halt, und das Blätterdach schützt sie vor den heftigen tropischen Regenfällen. Ohne die schützende Vegetation werden ganze Berghänge ins Rutschen geraten. Und mit ihnen die Pipeline.
Das Gebiet ist überdies hochgradig erdbebengefährdet. Die Pipelinetrasse verläuft über Dutzende von Bruchkanten in der Erdkruste und vorbei an sieben aktiven Vulkanen. Mindo liegt am Fuße des 4794 Meter hohen Vulkans Pichincha. Der brach zuletzt im Herbst 1999 aus. Das ganze Gebiet wurde daraufhin über Monate evakuiert, und die Behörden haben bis heute keine endgültige Entwarnung gegeben.
Vor mehr als zehn Jahren wurden die Wälder von Mindo auf Betreiben der Anwohner zum staatlichen Schutzgebiet erklärt. Auch das Privatgrundstück, auf dem das Umweltcamp errichtet wurde, gehört zum Reservat. Trotzdem soll die Pipelinetrasse nach dem Willen von OCP über das Grundstück verlaufen.
WestLB-Partner lassen Umweltcamp räumen
Ende März spitzt sich die Lage dramatisch zu: Etwa 60 Polizisten der ecuadorianischen Spezialeinheit GOE (Grupo de Operaciones Especiales) rücken an und verhaften 17 Umweltschützer, darunter 14 Ausländer. Eine Woche werden sie unter erbärmlichen Bedingungen im Gefängnis eingesperrt. Unter den Inhaftierten befinden sich auch drei deutsche Frauen. Die Vorwürfe gegen die Festgenommenen sind abenteuerlich: Sie sollen die Arbeiten der OCP sabotiert und Baumaterial zerstört haben. OCP-Mitarbeiter hätten sich zudem durch die Umweltschützer bedroht gefühlt. Tatsächlich hatte die Umweltbehörde die Bauarbeiten in Mindo schon im Februar vorläufig gestoppt, weil OCP in der Region gegen Umweltauflagen verstoßen hatte.
„Die haben verzweifelt versucht, irgendwelche Anklagepunkte zu sammeln und alles aufgenommen, was in den vergangenen drei Monaten hier in der Gegend angeblich passiert sein soll“, erklärt Bettina Ritter aus Ulm, eine der Verhafteten. „Was besonders absurd ist, dass manche der festgenommenen Ausländer sich noch nicht einmal eine Woche in Ecuador befanden hatten, als sie verhaftet wurden.“
Am Ostermontag kommt es in Quito zu einer öffentlichen Verhandlung des Falls unter Leitung des Bürgermeisters der Stadt. 150 Menschen demonstrieren vor dem Rathaus, 100 im Saal, etliche Fernseh- und Radiostationen sind anwesend. Überraschend wird die grüne Abgeordnete aus Nordrhein-Westfalen, Ute Koczy, die sich gerade in Ecuador über die Folgen der WestLB-Pipeline informiert, vom Vorsitzenden Bürgermeister persönlich begrüßt und auf einen Ehrenplatz gebeten.
Der Anwalt der Beschuldigten, Hugo Dávila, hält eine flammende Rede: „Nicht die Protestler gehören ins Gefängnis, sondern die, die ein solches Verbrechen an der Umwelt begehen!“ OCP habe die Verhaftungen angestrengt, OCP-Angestellte hätten dabei aktiv geholfen. Die Festgenommenen seien von OCP ihrer Freiheit beraubt worden. „Es ist ein unglaublicher Vorgang, dass ein transnationales Konsortiun junge Menschen einsperren lässt und damit die ecuadorianische Verfassung bricht, in der das Recht auf eine unversehrte Umwelt verbrieft ist“, erklärt der Anwalt. Die Inhaftierten hätten auf einem privaten Grundstück und mit ausdrücklicher Genehmigung des Besitzers gewaltfrei protestiert.
Damit nicht genug: Der Haftbefehl lag bei der Festnahme nicht schriftlich vor, obwohl das Gesetz dies fordert. Er war zudem von einem Polizeichef mit Verweis auf einen Gesetzesartikel ausgestellt worden, in dem jedoch ausdrücklich steht, dass solche Haftbefehle nur von befugten Richtern oder einem Tribunal ausgestellt werden dürfen. Die Verhafteten wurden außerdem – ebenfalls gesetzeswidrig – nicht über ihre Rechte informiert, etwa einen Anwalt anrufen zu dürfen.
Als der Bürgermeister die öffentliche Sitzung in Quito schließt, kommt es zu Tumulten. „Libertad, libertad!“ schallt es durch den Saal, während die Gefangenen wieder abgeführt werden, einige in Handschellen. Keine zwei Stunden später ist klar, wie der Bürgermeister Kraft seines Amtes entschieden hat: Die Gefangenen werden freigelassen. Ihre Festnahme war illegal.
Rettet den Regenwald informiert sofort die deutsche Presse, die das Thema mehrfach aufgreift, und macht die öffentlich-rechtliche WestLB und NRW-Ministerpräsident Clement für die illegale Inhaftierung mit verantwortlich. „In Ecuador finanziert die WestLB offenbar mafiöse Geschäftspartner“, erklärt der Vorsitzende Reinhard Behrend. „Das Land als größter Anteilseigner der Bank schaut weg, obwohl wir Herrn Clement mehrfach öffentlich davor gewarnt haben, dass das Pipeline-Projekt von Korruption und wiederholten Gesetzesverstößen begleitet wird.“
Geschäfte mit Gesetzesbrechern
Der unglaubliche Vorfall wirft eine Reihe von Fragen auf: Warum haben WestLB und Landesregierung offenbar keinerlei geeignete Schritte gegen die illegale Verhaftung der 17 Umweltschützer veranlasst? Wie kann es sein, dass die öffentlichrechtliche WestLB zum OCP-Konsortium weiter direkte Geschäftsverbindungen unterhält, obwohl Letzteres Gesetze gebrochen und sich der Freiheitsberaubung schuldig gemacht hat? Und was bedeutet der Vorgang für die Glaubwürdigkeit von OCP? Immerhin hat sich die WestLB öffentlich stets darauf berufen, die Einhaltung der Weltbank- Umweltstandards beim Pipeline-Projektsei von OCP vertraglich versichert worden und werde von OCP verlässlich umgesetzt. Wenig glaubhaft angesichts der jetzt öffentlich gewordenen Gesetzesverstöße durch OCP.
Der unglaubliche Vorfall hat aber auch gezeigt, dass die geplante Pipeline durch Ecuador längst von der Weltöffentlichkeit beobachtet wird. Kaum war es zu den Verhaftungen gekommen, brach ein internationaler Proteststurm los, vor allem in Deutschland. Für die WestLB und die politisch in NRW Verantwortlichen heißt das: Sie stehen unter Beobachtung. Neben deutschen Parlamentariern reisen immer mehr Journalisten an, um über die Folgen der Pipeline zu berichten. Und Rettet den Regenwald hat seinen Mitarbeiter Klaus Schenck wieder in das südamerikanische Land geschickt, der die Verhältnisse vor Ort bestens kennt. Er wird jeden Gesetzesverstoß im Zusammenhang mit der WestLBPipeline dokumentieren.
Tote bei Protesten gegen WestLB-Pipeline
Inzwischen haben Proteste gegen die Ölförderung in Ecuador und gegen die WestLB-Pipeline auch in anderen Landesteilen zugenommen – und die ersten Todesopfer gefordert. Die Zeitung LA HORA berichtete unter dem Titel „Übergriffe und Repression“, die Lage aufgrund eines Streiks in Amazonien verschlimmere sich. „Vier Personen, darunter ein Minderjähriger, starben – erstickt durch Tränengas – während der Proteste, die in den Provinzen Orellana und Sucumbios stattfanden, um mehr Aufmerksamkeit durch den Staat zu erhalten.“
Bei den Protesten in den Amazonas- Provinzen Sucumbios und Orellana ist es zu zahlreichen Verhaftungen gekommen. In den beiden Provinzen herrschte tagelang ein vom ecuadorianischen Präsidenten Gustavo Noboa verhängter Ausnahmezustand, nachdem sich die Proteste dramatisch verschärft hatten und ein Generalstreik das öffentliche Leben lahm gelegt hatte. Die Einwohner verlangten von den Pipeline- Erbauern Verbesserungen im Elektrizitätsbereich, die Förderung der Landwirtschaft, höhere Sicherheit, Asphaltierung der Landstraßen und Investitionen im Sozialbereich. Mehr als 100 Demonstranten hielten Ölförderbrunnen besetzt und verhinderten den Transport von Rohöl. Nach ecuadorianischen Zeitungsberichten erhöhte das Militär seine Präsenz in den beiden Provinzen.
Katholiken kritisieren WestLB wegen Pipelinebau in Ecuador
Zu den schärfsten Kritikern der Ölförderung im Amazonas gehört der katholische Bischof Juan Josi Gonzalo Lopez, der im März auf Einladung des katholischen Hilfswerks Misereor Deutschland besucht hat. Rund 800 Bohrlöcher verschmutzten die Flüsse und Seen entlang der ersten Pipeline, die vor 30 Jahren gebaut wurde, sagte Bischhof Juan Josi Gonzalo Lopez aus der betroffenen ecuadorianischen Provinz Sucumbios in Bonn. Mit dem Bau der zweiten Pipeline würde die Bevölkerung weiter in die Armut getrieben.
Bischof Gonzalo Lopez berichtete von einer politisch explosiven Lage in seiner Heimat, weil sich die Bevölkerung von einer neuen Phase der Ausbeutung bedroht fühle. Er sprach von einer „aggressiven Kolonialisierung“ des Landes durch die Ölgesellschaften. Der Erdölabbau habe Ecuador nur Umweltzerstörung, Verelendung und weitere Verschuldung gebracht.
Die erhofften Vorteile wie eine bessere Infrastruktur, Trinkwasser, ein leistungsfähiges Bildungs- oder Gesundheitssystem seien dagegen ausgeblieben. Den Ölfirmen und den beteiligten Kreditgebern müsse klarsein, dass sie auf den Widerstand der Bevölkerung treffen werden, sollte das Projekt tatsächlich realisiert werden. Bislang seien die Menschen in den betroffenen Gebieten lediglich informiert, aber weder konsultiert noch beteiligt worden. Das Bistum von Lopez liegt in der am meisten von der geplanten Ölpipeline betroffenen Region an der Grenze zu Kolumbien.
Weltbank contra WestLB
Ausgerechnet von der Weltbank, auf die sich die WestLB seit Monaten öffentlich beruft, erhalten Pipelinegegner massiven Rückenwind. Die Weltbank hatte in einem geharnischten Schreiben an OCP und die WestLB die Argumentation der Düsseldorfer Bank ad absurdum geführt: „Wir schreiben Ihnen, um unsere große Sorge über die Auswirkungen des Baus der Pipeline auf das Chocó- Anden-Korridor-(Naturschutz-)Projekt auszudrücken, das von der Weltbank unterstützt wird und das von Weltbankmitarbeitern kürzlich vor Ort besichtigt wurde.“ In dem Brief warnt die Weltbank vor der „Zerstörung wertvoller Schutzgebiete“ sowie „weiterer Rodungen und Brände“ als Folge der Pipeline. Schwerwiegende Ölunfälle – etwa nach Erdbeben - könnten noch intakte Flüsse verseuchen.
Das Schreiben schließt mit einer klaren Aufforderung: „Wir empfehlen, dass (der Pipeline-Betreiber) OCP eine präzise unabhängige Bestätigung der Übereinstimmung mit den Weltbank-Standards liefert oder alternativ dazu es unterlässt, eine solche Übereinstimmung zu beanspruchen.“ Die unabhängige Überprüfung hat es bis heute nicht gegeben.