RegenwaldReport 01/2006
Der Tempo-Krieg
In Brasilien räumten Polizeitrupps brutal zwei indigene Dörfer und verletzten 13 Menschen. Es geht um die Zellstoff-Produktion, auch für unsere Papiertaschentücher.
Am 20. Januar 2006 kehrten in Brasilien wieder Verhältnisse zurück, wie sie zu Zeiten der Militärdiktatur 1964 bis 1985 geherrscht hatten, als Menschenrechte systematisch verletzt wurden. 120 Polizisten überfielen im Bundesstaat Espirito Santo mit brutaler Gewalt Siedlungen der indigenen Völker Tupinikim und Guarani, um sie von einem 11.000 Hektar großen Grundstück zu vertreiben. Die Polizei setzte Gummigeschosse und Tränengas ein und jagte die Opfer eine Stunde lang per Hubschrauber. Bei dem Angriff wurden mindestens 13 Tupinikim und Guarani teils schwer verletzt und Häuser zerstört.
Das Land hatten die Indigenen im Sommer 2005 friedlich besetzt, nachdem der Zellstoff-Riese Aracruz Celulose es fast 40 Jahre lang illegal genutzt hatte. Obwohl nach Studien der staatlichen Indianerbehörde FUNAI die dort beheimateten Tupinikim und Guarani die rechtmäßigen Besitzer des Landes sind, hatte Aracruz sich rigoros geweigert, das Gebiet an die Indianer zurückzugeben.
Der Rückfall in die Zeiten staatlicher Willkür und polizeilicher Repressionen ist umso schlimmer, als in Brasilien die Verfassung allen Bürgern die Menschenrechte garantiert und das Land heute von einem Ex-Arbeiterführer regiert wird, der während der Militärdiktatur selbst verfolgt wurde: Präsident Luíz Inácio Lula da Silva.
Nachdem die FUNAI den Landtitel der Indigenen anerkannt und die frühere Justizministerin Iris Rezende dies bestätigt hatte, hatte Aracruz stets beteuert, es werde keine Gewalt gegen die Indianer angewendet. Offenbar spielte der Konzern bei der Polizeiaktion trotzdem eine wichtige Rolle. Die schweren Maschinen, mit denen indigene Häuser in Córrego do Ouro und Olho de Agua zerstört wurden, stammten von Aracruz. Die beiden regionalen FUNAI-Vertreter Ronaldo Batista und Maria Fátima de Oliveira bestätigten, sie seien von Polizeiagenten unter Druck gesetzt und zum Gästehaus von Aracruz Cellulose gebracht worden, dem Hauptquartier für die Polizeiaktion. Dort wurden auch zwei verhaftete Indianer stundenlang mit Handschellen gefesselt festgehalten.
Aracruz besitzt nach eigenen Angaben rund 380.000 Hektar Eukalyptusplantagen in Brasilien, davon 107.000 in Espirito Santo. Vor allem in den 70er Jahren hat der Zellstoffkonzern Küstenregenwälder gerodet, um genug Land für Monokulturen zu bekommen. Uber 90 Prozent des Aracruz-Zellstoffes geht in den Export und landet auch auf dem deutschen Markt. Von dem Umweltfrevel profitiert der Konzern Procter & Gamble, dessen bekanntestes Produkt auf dem deutschen Markt Tempo-Taschentücher sind.
Das Unternehmen Procter & Gamble mache Millionengewinne mit Klopapier und Tempo-Taschentüchern und treibe damit gleichzeitig Tausende von Menschen in Landlosigkeit und Armut in Brasilien, klagte Robin Wood vergangenes Jahr auf großen Bannern an, die in Berlin sowie in acht weiteren Städten in Deutschland aufgehängt wurden. Recherchen der Umweltschutzorganisation zufolge bezieht der multinationale Konzern, der von Pampers bis zu Bounty zahlreiche bekannte Marken besitzt und jährlich weltweit rund 50 Milliarden Euro umsetzt, den Rohstoff für seine Papierprodukte größtenteils von Eukalyptus- Monokulturen des brasilianischen Zellstoffkonzerns Aracruz. Zusammen mit dem Unternehmen Kimberly Clarke, das Artikel wie Haakle und Kleenex vermarktet, kauft Procter & Gamble 45 Prozent der Jahresproduktion von Aracruz Cellulose auf, dem weltweit größten Hersteller von gebleichtem Eukalyptus-Zellstoff.
Die Umwandlung der Küstenregenwälder in Eukalyptusplantagen von Aracruz führte in Brasilien zu gewaltigen Umweltzerstörungen und sozialen Konflikten. Indigene wurden aus ihren Dörfern vertrieben, außerdem hat Aracruz massiv in den Wasserhaushalt in Espirito Santo eingegriffen, um den hohen Wasserbedarf für ein Zellstoffwerk zu decken. Der Grundwasserspiegel wurde gesenkt, Flüsse und Felder trockneten aus, die Umwelt wurde mit giftigen Abwässern verschmutzt. Insgesamt sind fünf Millionen Hektar beste landwirtschaftliche Fläche in Brasilien mit schnell wachsenden Baummonokulturen bepflanzt. Die Eukalyptus- und Zellstoffbranche würde die Fläche bis 2013 gerne auf elf Millionen Hektar erweitern und argumentiert, mit jedem Hektar würden vier Arbeitsplätze geschaffen.
Alles Lüge, belegt eine neue Studie des World Rainforest Movement (“Promises of Jobs and Destruction of Work: The Case of Aracruz Cellulose in Brazil”). Unter dem Strich würden keine Jobs geschaffen, sondern welche vernichtet. Schon die Aneignung von Urwaldfläche und Ackerland habe Tausende Familien um Einkommen und Existenz gebracht. “Die großen Monopolunternehmen der Eukalyptus- und Zellstoffplantagen im Bundesstaat Espirito Santo zerstören bäuerliche Landwirtschaft, verdrängen die Produktion von Nahrungsmitteln, verhindern die Umsetzung der Landreform sowie die Rückgabe und Demarkation der Indianergebiete”, heißt es in der Studie. Umgerechnet auf die von Aracruz genutzte Eukalyptusfläche, habe der Konzern gerade einen Arbeitsplatz pro 122 Hektar geschaffen.
Die wenigen Jobs in der Branche sind laut Studie schlecht bezahlt, gefährlich und gesundheitsschädlich. In den Aracruz- Monokulturen müssten die Arbeiter die Eukalyptusbäume häufig ohne Schutzkleidung mit Agrargiften spritzen. Seit 2004 versucht eine Selbsthilfegruppe schwer erkrankter ehemaliger Aracruz-Arbeiter mit den Witwen der bei Arbeitsunfällen oder als Folge von Giftkontakt gestorbenen Arbeiter von Aracruz eine Entschädigung zu bekommen, bisher ohne Erfolg.