RegenwaldReport 02/2008
Erfolg für Umweltschützer im Tana-Delta
Zuckerrohrprojekt in Kenia vorläufig gestoppt
Am 1. Juli 2008 hatte die kenianische Regierung beschlossen, dass im ökologisch einzigartigen Delta des Tanaflusses auf einer Fläche von 22.000 Hektar – was einer Fläche von 44.000 Fußballfeldern entspricht – eine Zuckerrohrplantage angelegt werden darf. Verknüpft wurde der Beschluss mit den Versprechen, dass das Projekt 25.000 neue Arbeitsplätze schaffen und Kenia unabhängiger vom Treibstoff- und Zuckerimport machen werde. Gegen die Kommerzialisierung der Flussregion hatte sich bereits vor Jahren das Kenya Wetlands Forum (KWF) ausgesprochen und vor den verheerenden Folgen des Vorhabens für den Naturhaushalt und die ansässige Bevölkerung gewarnt. Die neue kenianische Koalitionsregierung, die zahlreiche neue Ministerien und Posten geschaffen hat, schien darauf keine Rücksicht nehmen zu wollen.
Kritiker befürchteten, dass das Projekt die Vertreibung von bis zu 30.000 Menschen aus ihrer Heimat zur Folge hätte und das tier- und pflanzenreiche Ökotop des Tana-Mündungsgebietes zerstört werden würde. Die Schäden durch das Tana-Projekt würden die wirtschaftlichen Vorteile überwiegen. Es gebe gar nicht genügend Wasser, um Zuckerrohr anzubauen. Im Sommer, wenn der Tana wenig Wasser führt, würden die Plantagen vermutlich ein Drittel seiner Wassermenge abzweigen. Darunter hätte vor allem die örtliche Bevölkerung zu leiden, da die Zuckerrohrplantagen weiter bewässert würden. Die Genehmigung der Regierung stütze sich auf voreilige, unzureichende Umweltfolgenabschätzungen.
Unzureichende Umweltfolgenabschätzungen
Vor einigen Tagen gab ein kenianisches Gericht nun dem Antrag auf einstweilige Verfügung gegen den Anbau von Zuckerrohr zur Energiegewinnung im Tana-Delta statt. Für die Dauer des Verfahrens müssen sämtliche Arbeiten an dem 235 Millionen Euro teuren Projekt eingestellt werden. Die Kläger machten geltend, dass durch das Projekt mindestens fünf kenianische Gesetze sowie die Verfassung des Landes verletzt würden. Die Initiative geht von der Vereinigung Nature Kenya aus und wird unter anderem von der kenianischen Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai unterstützt.
Das kenianische Zuckerrohrprojekt wirft eine Reihe von grundsätzlichen Fragen auf, die im Zusammenhang mit der Globalisierung stehen. Denn falls die Europäische Union an ihrem Ziel festhalten sollte, den Agrospritanteil am Treibstoffverbrauch bis zum Jahr 2020 auf zehn Prozent zu erhöhen, was niemals nur mit heimisch erzeugter Biomasse möglich wäre, würden damit auch umstrittene Projekte wie jenes in Kenia gefördert werden. Faktisch beeinflusst die EU auf diese Weise unmittelbar die kenianische Politik.
Kenia ist dabei nur ein Beispiel dafür, wie ein afrikanisches Land vorgefertigten westlichen Ideen folgt – im konkreten Fall, indem es sich auf die Produktion von Ethanol aus Zuckerrohr einlässt. Das Gleiche gilt aber auch für die eng mit Kenias Wirtschaft verbundenen Nachbarn Uganda und Tansania. Dort werden ebenfalls riesige Naturräume umgestaltet, um sogenante ?Energiepflanzen? wie Zuckerrohr oder Jatropha anzubauen. Vielleicht wäre Kenia gut beraten, wenn es in diesem Fall nicht wie gewohnt den westlichen Entwicklungen nacheilte, sondern einen eigenen Weg einschlüge. Das könnte bedeuten, sich bereits heute um gesellschaftliche Lösungen für das Problem der steigenden Energiepreise als Folge der Endlichkeit der Ressourcen zu kümmern. Stattdessen setzt die kenianische Regierung auf den Aufbau einer riesigen Zuckerrohrplantage. Damit wird die Degradierung einer arten- und nischenreichen Naturlandschaft abgesegnet, was allenfalls kurzfristig die Entwicklung der Region fördert, während es mittel- und langfristig hingegen zu unwiderruflichen Verlusten kommen wird, die monetär nur schwer zu beziffern sind.
Breit gefächerte Kritik
Die Organisation Bird International hat zu Recht die Wirtschaftlichkeitsrechnung des Zuckerrohrprojekts in Frage gestellt, indem sie mehrere andere Faktoren wie ausbleibenden Tourismus, den Rückgang der Artenvielfalt und zu erwartende Verluste der Fischwirtschaft in die Bilanz einbezogen hat. Dieser Berechnung zufolge stehen Einnahmen aus dem Zuckerrohranbau in Höhe von 2,45 Millionen Dollar über 20 Jahre Verluste von rund 59 Millionen Dollar gegenüber. Es gibt derzeit allerdings keine Hinweise darauf, dass die kenianische Regierung gewillt wäre, auf das Tana-Projekt zu verzichten und statt dessen in einen gesellschaftlichen Umbau zu investieren, der den Menschen in den ländlichen Regionen zugutekommt und sich behutsam darum bemüht, ihre Lebensqualität vor Ort zu verbessern. Vielmehr sollen die Bewohner und Nomaden vertrieben werden, die Zeit ihres Lebens ihr Vieh im Mündungsgebiet des Tana geweidet und getränkt haben. Ähnlich könnte es auch den rund hunderttausend Menschen ergehen, die in der Nähe des Mau Forest leben. Die Regierung will den dortigen Wald vor der Zerstörung retten, die Anwohner dafür aber umsiedeln. Den bisherigen Plänen zufolge haben die Bewohner des Gebiets bis Oktober Zeit, ihre Habe zu packen und das zweifellos ökologisch wertvolle Waldgebiet zu verlassen. Aber wohin sollen sie gehen? Sollen sie sich etwa den rund eine Million Menschen in Kibera, dem größten Slum Afrikas, anschließen? Am Beispiel des Mau Forests und des Tana-Projekts offenbart sich der Nachteil eines politischen Herrschaftssystems, bei dem eine Zentralregierung gegen den Willen von Teilen der Bevölkerung Entscheidungen treffen darf, durch die Menschen vertrieben werden und ihr angestammter Lebensraum zerstört wird.
Quelle: Schattenblick
http://www.schattenblick.de