Regenwald Report 03/2016 · Liberia
Gemeinsam schützen wir den Wald der Schimpansen
In Liberia lebt eine der größten Schimpansen-Populationen Westafrikas. Ein neuer Nationalpark könnte helfen, den Lebensraum der bedrohten Tiere zu bewahren. Leipziger Forscher arbeiten daran, dass der Gbi-Wald diesen Schutz erhält. In der Elfenbeinküste haben sie bereits bewiesen, dass ihr Einsatz Regenwald rettet
Das Lied bleibt im Gehör, die Melodie setzt sich fest, der Text ebenso. „Schimpansen sind unsere Cousins“, singt die Theatergruppe Ymako Teatri. Die meisten Einwohner sind auf den von Lehmhütten umgebenen Dorfplatz im Irgendwo der Elfenbeinküste gekommen, um das Spektakel zu erleben. Von Trommeln und Flöten begleitet, äffen die Schauspieler buchstäblich das Verhalten der Tiere nach, sie hocken auf dem Boden, knacken Nüsse und lausen einander. Viele Einheimische werden das Lied noch Wochen später trällern: „Schimpansen sind unsere Cousins, esst sie nicht.“
Vielleicht wäre „Brüder“ treffender. Keine Tierart ist dem Menschen genetisch näher. Weil nur wenige Einwohner des Dorfes um die enge Verwandtschaft wissen, spielt das Theater für sie. Es ist gerade mal sieben Millionen Jahre her, als der letzte gemeinsame Vorfahre lebte. Laufend liefern Wissenschaftler neue Belege dafür, dass Schimpansen über mehr verfügen als tierische Instinkte. Schimpansen zeigen Empathie, sie trauern um ihre Toten, sogar Männchen adoptieren Waisenkinder. Die Vielfalt ihrer Verhaltensweisen zeugt von Kultur! Die Grenze zwischen Mensch und Schimpanse – zwischen Homo sapiens und Pan troglodytes – verwischt zusehends. Es fällt immer schwerer zu sagen, wie viel uns unterscheidet.
Im „Pan African Programme: The Cultured Chimpanzee“ sind die Forscher dutzenden Verhaltensweisen der Schimpansen in ganz Afrika auf der Spur. Sie staunen dabei nicht allein über die Vielfalt, sondern über die regionalen Unterschiede. Ihre Erklärung dafür ist so zwingend wie weitreichend: Jedes Schimpansen-Volk pflegt eigene Traditionen und hat eine eigene Kultur hervorgebracht. Diese Traditionen werden von Generation zu Generation weitergegeben, wobei die Jungen von den Alten lernen. Weibchen, die mit der Geschlechtsreife ihren Clan verlassen und sich einem neuen anschließen, lernen dessen Gepflogenheiten, wie sich unsereins nach dem Umzug in ein neues Land eingewöhnen muss.
Die Schimpansen im Taï Nationalpark im Südwesten der Elfenbeinküste sind wohl am besten erforscht. Sie knacken Coula-Nüsse, wobei manche Clans Steine wie Hammer benutzen, andere Holz bevorzugen. Sie pulen mit Zweigen das Mark aus den Knochen getöteter Stummelaffen und basteln aus Blättern Schwämme, um Wasser zum Trinken zu schöpfen. Ihre Spezialität ist jedoch „Ameise am Stil“: Sie stochern mit Stöcken in den Nestern der Insekten und lecken die aufgescheuchten Leckerbissen mit ihrer Zunge vom Stäbchen. Ihre Artgenossen im Gombe-Stream Nationalpark (Tansania) kämen niemals auf die Idee: Sie streifen die Ameisen mit der Hand ab und stopfen sie sich in den Mund. Nüsse knacken sie überhaupt nicht. Taï-Männchen trommeln mit den Händen auf Wurzeln, wenn ihnen der Sinn nach Sex steht. In Tansanias Mahale-Mountains Nationalpark blieben sie mit der Strategie solo. Dort zerrupfen geile Gesellen in aufreizender Manier Blätter zu kleinen Schnipseln.
„Unser Verständnis für ihre kulturellen Fähigkeiten steckt noch in den Kinderschuhen“, der Leipziger Professor, einer der renommiertesten Primatologen (siehe Interview Seite 8). Rätsel gibt den Forschern beispielsweise auf, warum Schimpansen in Guinea Steine auf hohle Baumstämme schmeißen. Männchen beteiligen sich genauso an der Werferei wie Weibchen und Junge. Mit Nahrungssuche hat die Aktion, während der die Tiere Laute ausstoßen, offenkundig nichts zu tun. Die Wissenschaftler vermuten daher ritualisiertes Imponiergehabe. „Es ist wahrscheinlich, dass das Verhalten kulturelle Elemente aufweist“, sagt Boesch. Die Steinansammlungen ähneln denen, die Archäologen kennen – von frühen Menschen.
Die Menschheit nimmt jedoch kaum Rücksicht auf ihre tierischen Vettern. Die Weltnaturschutzunion IUCN führt sie auf der Roten Liste als „stark gefährdet“ (endangered). Zwischen Ghana und Guinea leben nach jüngsten Studien, an denen die Leipziger Forscher maßgeblich mitgearbeitet haben, nur noch 35.000 Schimpansen. In der Elfenbeinküste ist der Bestand zwischen 1990 und 2007 um 90 Prozent eingebrochen. In Liberia hält sich die zweitgrößte Population Westafrikas, 7.000 Exemplare sind es. Doch auch um deren Zukunft ist es schlecht bestellt: 5.050 Tiere sind in Wäldern ohne jeglichen Schutzstatus daheim, wie übrigens ein Großteil bedrohter Säugetierarten.
Schimpansen zeigen Empathie, sie trauern um ihre Toten, sogar Männchen adoptieren Waisenkinder
Allerorts sind die Affen in klägliche, isoliert liegende Reste ihrer ursprünglichen Lebensräume zurückgedrängt. Mit unterschiedlicher Intensität und zeitweise unterbrochen von Bürgerkriegen dominiert quer durch Westafrika immer stärker der Anbau von Ölpalmen, Kaut-schuk, Kaffee und Kakao. Holzfirmen roden sich rücksichtslos durch die Wälder, Bergbaufirmen reißen tiefe Wunden. Auch Jäger setzen den Primaten zu: Auf Märkten entdecken Umweltschützer zwischen anderem Bush Meat auch Fleisch von Schimpansen, Bonobos und Gorillas.
Liberias Regenwälder, die 4,3 Millionen Hektar bedecken, genießen wegen ihrer Artenvielfalt Weltruhm: Vögel, Amphibien, Primaten und andere Säugetiere – nur wenige Regionen der Erde beherbergen mehr Spezies. Forscher sind sicher, dass viele noch unentdeckt sind. Mit 40 Prozent des „Upper Guinea Forest“ verfügt das Land über einen unsagbar wertvollen Schatz. Und trägt daher besondere Verantwortung für dessen Erhalt.
Derzeit stehen allerdings magere sechs Prozent der Wälder unter Schutz, obwohl die Regierung in Monrovia bereits im Jahr 2003 zugesichert hatte, das auf 30 Prozent zu steigern. Passiert ist seither offenkundig nicht viel. Das Land verfügt lediglich über einen einzigen Nationalpark in Sapo und zwei weitere Reservate. „Die Schimpansen haben nur eine Chance zu überleben, wenn genügend Schutzgebiete geschaffen werden“, mahnt Christophe Boesch. Das ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Allen Umweltversprechen zum Trotz hat die Regierung für große Landesteile Konzessionen an Bergbau-, Plantagen- und Holzfirmen vergeben.
„Die Schimpansen haben eine Chance“
Schutz für das Schimpansen-Paradies - Helfen Sie mit Ihrer Spende
Es ist ein aufregendes, faszinierendes Projekt: Der tropische Wald von Gbi in Liberia wird zum Nationalpark erklärt. Sie, liebe Leser, können die tatkräftigen Schimpansen-Schützer der Wild Chimpanzee Foundation (WCF) aus Leipzig dabei unterstützen, damit das einzig-artige Projekt rasch ein Erfolg wird.
Die Wissenschaftler müssen ein 100.000 Hektar großes Gebiet detailliert untersuchen und kartieren, damit die Grenzen des Nationalparks möglichst weit gefasst werden. Dazu sind mehrere Expeditionen in den dichten Regenwald nötig, für die einheimische Ranger ausgebildet werden. Einige von ihnen werden später für den Schutz des Nationalparks sorgen.
Jede Spende hilft:
Für 1 Euro können 8.000 Quadratmeter Wald systematisch erkundet werden.
175 Euro Gehalt bekommt ein Ranger pro Expedition.
50 Euro müssen für seine Verpflegung bezahlt werden.
Für die Expeditionen muss dschungeltaugliche Ausrüstung angeschafft werden: 200 Euro kostet ein Zelt für die Übernachtung im Regenwald, 100 Euro ein großer, wasserdichter Rucksack, 20 Euro ein Kompass.
Schon im Oktober sollen die Arbeiten beginnen – mit dem Ende der Regenzeit. Die Forscher wissen aus Erfahrung, dass selbst Geländewagen jederzeit im Matsch steckenbleiben können und ständig kostspielige Reparaturen drohen. Im zukünftigen Nationalpark selbst kommen die Ökologen und Ranger nur zu Fuß und querfeldein weiter.
Die Primatenforscher und Ökologen der WCF sind seit Jahrzehnten in Westafrika tätig. Sie sind gut mit der Bevölkerung und der zuständigen Forstbehörde Forestry Development Authority (FDA) vernetzt, die bei der Ausweisung von Schutzgebieten eine entscheidende Rolle spielen.
Ab einer Spende von 25 Euro schicken wir Ihnen gern unsere neu gestaltete Urkunde mit dem Foto eines Schimpansen. Sie können sie mit dem Formular auf der Rückseite des Reports oder online unter www.regenwald.org/rr/urkunde bestellen.
Dass es gelingen kann, den Lebensraum der Schimpansen zu erhalten, wenn man es will, zeigt der Taï Nationalpark in der Elfenbeinküste. Zwar rückten in den vergangenen 30 Jahren auch dort Plantagen immer näher heran und sorgten politische Wirren dafür, dass die Regenwaldfläche reduziert wurde, doch heute ist die Grenze zwischen zerstörerischer Landwirtschaft und unberührter Natur wie mit dem Lineal gezogen. Ohne die Präsenz der Primatologen wäre vom Schutzgebiet vermutlich nichts mehr übrig. Allein die Anwesenheit der Forscher mag Wilderer und Holzfäller abschrecken. So leben im Park um die 300 Schimpansen.
Liberia ist dabei, in Grebo-Krahn einen zweiten Nationalpark auszuweisen, der mit Taï einen grenzüberschreitenden Waldkomplex bildet. Das Fundament dafür haben Primatologen wie Boesch bereits gelegt, jetzt sind Liberias Politiker am Zug. „Grebo-Krahn ist nur gelungen, weil wir das Geld besorgt haben“, sagt Julia Riedel von der Wild Chimpanzee Foundation (WCF). Jüngst wurden nach langen Diskussionen mit den Einwohnern umliegender Dörfer die Grenzen des Reservats festgelegt. „Wir müssen die Communities einbinden um sicherzugehen, dass sie das Land nicht unter der Hand an Holzfäller vergeben“, erklärt die Wissenschaftlerin: „Auch die Menschen müssen vom Naturschutz profitieren.“
In der Elfenbeinküste ist der Bestand zwischen 1990 und 2007 um 90 Prozent eingebrochen
Einige Dorfbewohner werden Arbeit als „Ecoguards“ bekommen. Die Öko-Wächter sollen im Park patrouillieren und Kriminelles wie Wilderercamps oder illegale Abholzung den Rangern der Forstbehörde Forestry Development Authority (FDA) melden. „Damit der Park nicht nur auf dem Papier existiert“, sagt Riedel.
Die meisten Schimpansen Liberias leben außerhalb von Schutzgebieten. Ihr Lebensraum erstreckt sich über Staatsgrenzen hinweg. Deshalb müssen in Grebo und Gbi neue Reservate eingerichtet und mit dem Tai Nationalpark verknüpft werden
Jetzt soll der Erfolg in Grebo-Krahn als Blaupause dienen, wie auch der Wald von Gbi gerettet werden kann. Der Dschungel dort ist ein unberührtes Paradies und beherbergt vermutlich die größte Schimpansen-Population Liberias. Daneben Zwerghippos, Elefanten, Leoparden und Pangoline. Im Sprachgebrauch der Primatenforscher ist der Wald ein „Priority hotspot“. Das 100.000 Hektar große Gebiet wurde bereits im Jahr 2006 vom Staat als schützenswert anerkannt, doch im Grunde ist es Terra Incognita, weitgehend unerforscht.
„Wir müssen im Detail studieren, welche Spezies dort leben. Und wir müssen die Schimpansen zählen“, sagt Dervla Dowd, Leiterin des WCF-Büros in Monrovia. Ein kräftezehrendes und schweißtreibendes Unterfangen, denn die Tiere entziehen sich leichter Beobachtung. Über fünf Monate verteilt werden sich Ranger und Ökologen zu Fuß auf festgelegten Strecken schnurgerade durch den Urwald schlagen - soweit das möglich ist. Mehr als zwei Kilometer werden sie pro Tag nicht bewältigen können, so anstrengend ist die Plackerei. Die Trupps werden Schimpansennester zählen, Kot einsammeln und nach Lebenszeichen weiterer Tiere Ausschau halten. Schimpansen selbst werden sie womöglich nicht zu Gesicht bekommen, zu gut sind diese Meister des Versteckspielens.
Um sich ein erstes Bild zu machen, hat Dervla Dowd im August zwei Wissenschaftler in den Dschungel geschickt. „Sie sollen auskundschaften, wo Menschen im Wald und an dessen Rändern leben, wo ihre Dörfer von womöglich nur wenigen Hütten liegen, wie sie den Wald nutzen, etwa für das Sammeln von Feuerholz und Medizinpflanzen“, erläutert sie. Viele Fragen sind zu beantworten.
Liegen erst mal die Daten über die Umwelt und die Menschen vor, geht es gewissermaßen an die Konstruktion des Parks. Dabei spielen ökologische Faktoren eine Rolle, wie die Verbreitung der Schimpansen, aber auch sozioökonomische Faktoren der menschlichen Gbi Population. „Es gilt zu klären, wem das Land gehört, das unter Schutz gestellt werden soll.“ Dervla Dowd wird wieder und wieder in Dörfer gehen, um die Einwohner zu überzeugen, wie wichtig der Schutz des Waldes ist. Es wird der Zeitpunkt kommen, an dem sie genug erklärt hat und die Einwohner vielleicht auch müde sind, ihren Worten zu folgen. Dann schlägt womöglich wieder die Stunde der Schauspieler.
„Schimpansen sind unsere Cousins.“ Das Lied hat in den Köpfen der Dorfbewohner, die das Schauspiel von Ymako Teatri bereits gesehen haben, etwas bewirkt. Sie wissen, wie nahe uns die Tiere sind, wie vielfältig ihre Kultur ist - und dass wir die Schimpansen schützen müssen.
„Die Schimpansen haben eine Chance“
Professor Boesch, sind die Schimpansen Liberias akut gefährdet?
Liberia verfügt über mehr Wald als andere Länder, große Teile locken allerdings Bergbaufirmen, Holzkonzerne und industrielle Landwirtschaft an. Deshalb müssen schnell Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Viele Flächen sind schon so geschädigt, dass der Erhalt von Waldkorridoren eine große Herausforderung ist.
Können die Schimpansen noch gerettet werden?
Die Antwort ist einfach: Wir müssen genug Schutzgebiete schaffen!
Seit über 30 Jahren kämpfen Sie für den Schutz der Schimpansen. Was treibt Sie an?
Naturschützer müssen Optimisten sein. Außerdem unterstützt uns die Bevölkerung häufig, weil sie die Folgen von Waldvernichtung wie sinkende Niederschläge direkt erleiden müssen. Mich persönlich erfüllt meine langjährige Erfahrung mit Schimpansen mit einem Gefühl der Verantwortung. Ich stehe in ihrer Schuld.