zurück zur Übersicht
Regenwald Report 03/2016 · Artensterben

Noch können wir die Vielfalt des Lebens retten

Urwaldriese Tasmanien Australien: Rund zwölf Prozent des Kontinents stehen unter Schutz, um die Vielfalt von Flora und Fauna zu bewahren. Doch Wissenschaftler warnen seit Jahren vor der rapiden Naturzerstörung und Aufweichung der Schutzgesetze zugunsten der Holz- und Plantagen (© flickr/bishib70)

Monokulturen aus Ölpalmen, Soja oder Mais zerstören immer mehr Regenwälder und andere Naturlandschaften – die Ökosysteme der Erde sind schwer angeschlagen. Experten plädieren für weltweite Schutzgebiete, um das Massensterben der Tier- und Pflanzenarten aufzuhalten. Wir alle können etwas tun. Machen Sie mit!

Suci ist ein Sumatra-Nashorn, lebt aber in Cincinnati, USA. Suci weiß nichts vom Alltag ihrer Ahnen in den schattig-dichten Regenwäldern Asiens; den Schrei des Hornvogels, das Fauchen des Tigers und das Knacken der Äste unter Elefantenfüßen hat Suci nie gehört. Das Nashorn-Weibchen wurde 2004 in Zoo-Gefangenschaft geboren – nach fünf Fehlgeburten ihrer Mutter Emi und reichlich Hormongaben. Sucis Eltern sind ebenfalls Zoo-Bewohner, die Mutter wurde für die Zeugung extra von Los Angeles nach Cincinnati transportiert – zu dem einzigen in den USA lebenden Bullen. Das Liebesdate organisierten Wissenschaftler. Suci ist nur auf der Welt, weil es Menschen gibt. Wie paradox! Ohne Menschen gäbe es in Südostasien so ausgedehnte Regenwaldgebiete, dass sich Abertausende Sumatra-Nashörner ganz allein ernähren und vermehren könnten.

Südlicher Tamandua (Tamandua tetradactyla) im Cerrado in Brasilien Südamerika: In Brasilien liegen zwei der bedeutendsten und vielfältigsten Naturlandschaften der Erde: das Amazonasbecken und der Cerrado, die artenreichste Savanne der Welt. Zu ihren etwa 200 Säugetierarten gehört der Südliche Ameisenbär. Amazonien und Ce (© Birthright Earth / Timothy Devane)

Seit 20 Millionen Jahren bewohnen diese Urzeitwesen die Erde. „Inzwischen ist ihre Zahl in der Wildnis so drastisch gesunken, dass auf der ganzen Welt vermutlich nicht einmal mehr hundert Sumatra-Nashörner übrig sind“, so die US-Autorin Elizabeth Kolbert, die Sucis Geschichte erzählt. „Der Mensch hat diese Spezies so reduziert, dass ironischerweise nur noch heldenhafte menschliche Anstrengungen sie zu retten vermögen.“

Ungezählte Arten von Tieren und Pflanzen haben nicht einmal diese minimale Chance. Wir rotten sie für unsere Bedürfnisse unwiederbringlich aus – schätzungsweise 150 Arten pro Tag. Massensterben hat es in der 3,8 Milliarden langen Erdgeschichte mehrfach gegeben: Fünf große Katastrophen haben das irdische Leben auf einen Schlag weitgehend ausgelöscht. Die letzte löste vor 65 Millionen Jahren ein gigantischer Asteroiden-Einschlag aus; die Dinosaurier verschwanden und mit ihnen drei Viertel aller Arten. Menschen haben nur ein paar Generationen gebraucht, um ein Artensterben vergleichbarer Größenordnung zu verursachen. „Das 6. Sterben“ nennt Pulitzerpreisträgerin Elizabeth Kolbert deshalb ihr neuestes Buch.

Sulawesi-Koboldmaki, Indonesien Südostasien: Indonesien und Malaysia sind die größten Palmöl-Produzenten der Welt. Eine UN-Studie belegt, dass auf 50 Prozent der heutigen Plantagen 1990 noch Regenwald wuchs. Der Sulawesi-Koboldmaki lebt nur auf Sulawesi und Nachbarinseln. Verliert er se (© Rhett A. Butler/mongabay.com)

Diese von Menschen geprägte Epoche ist kein gutes Zeitalter für die Biodiversität unseres Planeten. Wir gefährden und zerstören sie:

  • Weil wir Naturlandschaften und Wälder vernichten für Industrieplantagen, Äcker, Weiden, Städte, Straßen, Stauseen und Bergbau. Mehr als die Hälfte der Erde haben wir umgewandelt. Im letzten Vierteljahrhundert gingen laut UN 129 Millionen Hektar Wald verloren – das entspricht der Fläche von Peru.
  • Weil wir mit Treibhausgasen das Klima anheizen. Die Erderwärmung schreitet heute zehnmal schneller voran als am Ende der letzten Eiszeit vor 11.700 Jahren. Tiere und Pflanzen müssen in andere Lebensräume ausweichen – die Frage ist nur: in welche?
  • Weil wir durch Welthandel und -reisen Tiere, Pflanzen sowie auch Mikroorganismen von Kontinent zu Kontinent verschleppen und dafür sorgen, dass sie heimische Arten verdrängen und vernichten.
  • Weil wir mit Chemiedünger, Herbiziden und Pestiziden Böden, Flüsse, Süß-

wasserhabitate und Ozeane vergiften.

  • Weil wir durch Wilderei, Überfischung und Überjagung ganze Populationen ausrotten und eine Kettenreaktion auslösen:

Stirbt eine Art, sind auch alle anderen, die von ihr leben, dem Tod geweiht.

Kiebitz waten im flachen Wasser Europa: In Deutschland gilt laut Umweltbundesamt jede sechste Tier- und Pflanzenart als extrem selten, ausgestorben oder verschollen. Besonders schlecht geht es den Brutvogelarten wie Lerche, Kiebitz (Foto) und Rebhuhn. Schuld sind vor allem der Grünlandv (© CreativeNature_nl/iStock)

Am stärksten wütet der Niedergang der Biodiversität in den tropischen Regenwäldern. Denn nirgendwo sonst leben mehr Tier- und Pflanzenarten miteinander und voneinander. Über Jahrmillionen haben sie ihre genetische Information gesammelt, aufgebaut und weiterentwickelt – und sich in unsere Zeit hinübergerettet. Mit ihnen verliert die Erde ihr biologisches Archiv. Es sei denn, wir beenden jetzt sofort die Ausbreitung der Palmöl- und Sojaplantagen, der Megastauseen und Verwüstungen durch Bergbau in den letzten Regenwäldern der Erde.

Es ist höchste Zeit, denn auf 58 Prozent der Landflächen ist der Artenschwund so groß, dass die Ökosysteme ihre Funktionen kaum noch erfüllen können, warnt Wissenschaftler Tim Newbold vom University College London. Ein Viertel aller Säugetierarten, ein Fünftel der Reptilien, ein Sechstel aller Vögel sind heute vom Aussterben bedroht. Amphibien sind die am stärksten gefährdete Tierklasse der Erde.

Biene auf Blüte Bienen bestäuben zwei Drittel unserer Nahrungsmittelpflanzen. Dennoch vergiften wir sie durch Insektizide (© CC David Elliott)

„Wir müssen versuchen, die noch verbleibenden Gebiete naturbelassener Vegetation zu schützen und die vom Menschen veränderten und genutzten Landflächen zu renaturieren“, so Newbold. „Das hilft nicht nur der Artenvielfalt, sondern auch dem menschlichen Wohlergehen.“

Genau das fordert auch Edward O. Wilson in seinem Buch „Die Hälfte der Erde“. Der vielfach preisgekrönte Biologe (87) nutzt seine letzte Lebensphase für ein leidenschaftliches Plädoyer an die Menschheit, sich die Vielfalt und die Schönheit der Natur bewusst zu machen und sie zu schützen statt auszubeuten.

„Ich bin überzeugt, dass wir nur dann den lebendigen Anteil unserer Umwelt retten und die für unser eigenes Überleben nötige Stabilität herstellen können, wenn wir den halben Planeten zum Naturschutzgebiet erklären“, so Wilson. „Es gibt auf der Welt noch echte Naturlandschaften, die, wenn wir sie einfach in Ruhe lassen, auch als Naturlandschaften fortbestehen. Zusätzlich existieren annähernd naturbelassene Gegenden, deren lebende Umwelten wieder nahe an ihren ursprünglichen Zustand gebracht werden könnten. Fügen wir der Biosphäre keine weiteren Schäden mehr zu.“

Absolut lesenswert

Zwei neue Bücher über das Artensterben Zwei neue Bücher über das Artensterben und wie wir es verhindern können (im Shop)










 

Mit unseren Online-Petitionen fordern wir die verantwortlichen Regierungen, Konzerne oder Banken auf, die Zerstörung der Natur zu beenden und die Biodiversität zu bewahren. Bitte geben auch Sie der Artenvielfalt Ihre Stimme – zum Beispiel unter www.regenwald.org/petitionen/1013

Bestellen Sie jetzt unseren Newsletter

Bleiben Sie mit unserem Newsletter am Ball – für den Schutz des Regenwaldes!