
Regenwald Report 03/2020 · Titelthema: Brasilien „Wir haben es längst satt, in dieser Welt der Ungerechtigkeit zu leben.“
Alvaro Tukano ist Führer des 260.000 Hektar großen Indigenenreservats Balaio am Rio Negro. Als einer der wichtigsten politischen Vordenker der Indigenen in Brasilien setzt sich der 67-Jährige für ihre Rechte, ihre Territorien und Traditionen ein.
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Wie ist die Situation der indigenen Völker in Brasilien, insbesondere unter der Regierung Jair Bolsonaro?
Wir werden schlicht nicht berücksichtigt. Und weil die Regierung unsere Rechte nicht respektiert und umsetzt, gibt es die Invasion von Landräubern, Holzunternehmen, Goldsuchern, die fehlende Justiz und die Ermordung unserer Anführer. Alles das geschieht im Namen der Entwicklung Brasiliens und der Ausbeutung unserer Ressourcen für die Welt.
Hat die Covid-19-Pandemie die Lage der indigenen Völker weiter verschlechtert?
Ja. Ohne Unterstützung fehlen uns die Mindestbedingungen, um dieser Pandemie zu begegnen. Nichtsdestoweniger versuchen unsere weisen Heiler mit ihrem traditionellen Wissen und Heilpflanzen aus dem Regenwald, die Krankheit zu bekämpfen. So überlebte die Mehrheit der an dem Corona-Virus erkrankten Indigenen in meinem Territorium der Tukanos. Es starben vor allem die Indigenen, die in öffentlichen Krankenhäusern behandelt wurden, weil sie nicht an unsere überlieferten Heilmethoden glaubten. Wenn wir unser Wissen verlieren, sind wir abhängig vom staatlichen Gesundheitssystem, das teuer und ineffizient ist. Viele starben, weil die indigene Welt immer kleiner wird durch die immense Ausweitung des Agrobusiness. Es dringt mit seinen Pestiziden immer weiter vor und „röstet“ den Cerrado, Amazonien und den Rest des Landes.
Was ist nötig, um die Lage der Indigenen in Brasilien zu verbessern?
Wir müssen mehr Widerstand gegen die Unterdrückungen leisten. Zum Beispiel gegen die Agrarunternehmen, die die Zukunft der indigenen Völker bedrohen. Die internationalen Organisationen müssen auch die tatsächlichen Schwierigkeiten erkennen. Viele Länder der „Ersten Welt“ wie Deutschland haben Brasilien wirtschaftlich unterstützt, um den Amazonas und seine Völker zu erhalten. Mehr als eine Milliarde Dollar liegen auf der brasilianischen Entwicklungsbank BNDES. Doch dieses Geld erreicht nicht die Indigenen, die den Amazonas Tag und Nacht verteidigen.
Was wünschen Sie sich von der neuen indigenen Generation?
Ich möchte ihr sagen: Wir dürfen niemals unsere Herkunft vergessen. Wir müssen unsere Traditionen wiederbeleben, unsere Ethik aufrechterhalten. Behaltet die Einfachheit bei und lasst euch von niemandem manipulieren.
Das Interview führten die brasilianische Soziologin Márcia Gomes de Oliveira und der Journalist Norbert Suchanek aus Rio de Janeiro.
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