RegenwaldReport 02/2005
Land hat mehr Wert als ein Menschenleben
Nachruf auf Dorothy Stang Von Gustav und Anna Maria Krammer
Die mehrfach ausgezeichnete Missio-narin Dorothy Mae Stang wurde am 12. Februar 2005, etwa 50 Kilometer von Anapu entfernt erschossen. Der brasilianische Präsident Inácio Lula da Silva beauftragte Justizminister Márcio Thomaz Bastos sowie die Bundespolizei mit den Untersuchungen. Er ordnete auch an, dass sich die Umweltministerin Mariana da Silva und der Minister für Menschenrechte, Nilmário Miranda, sofort nach Anapu begeben.
Dorothy Stang (74), geboren im Bun-desstaat Ohio, USA, gehörte der Kon-gregation Notre Dame de Namur an und lebte seit 38 Jahren in Brasilien. Schwester Dorothy engagierte sich stets für die Rechte der Armen und landlosen Bauern und arbeitete in vorderster Reihe in Umweltschutz-, Friedens-, Bürger- und Frauenbewegungen mit. Kriegshandlungen lehnte sie ab, wie immer sie auch begründet wurden. Infolge der militärischen Intervention der USA im Irak nahm sie die brasilianische Staatbürgerschaft an.
Bei der Gründung der Landarbeiter-pastoral (CPT) in Pará im Jahr 1976 hat sie wesentlich mitgewirkt und bis zuletzt die regionale Leitung ausgeübt. Die Transamazônica im östlichen Teil der Prälatur am Xingu war seit 1982 ihr Einsatzgebiet. Im Centro Nazaré hatte sie sich eine bescheidene Unterkunft eingerichtet, bis sie nach der Gemeindegründung von Anapu 1996 dorthin übersiedelte.
Die Region von Anapu ist Koloni-sierungsgebiet mit allen damit verbun-denen Landkonflikten. Dorothy forderte die Umsetzung der Agrarreform und setzte sich für die Ansiedlung landloser Kleinbauern ein. Unermüdlich wies sie auf die ungerechte Besitzverteilung, auf die illegalen Invasionen der Groß-grundbesitzer sowie die Ausbeutung der Edelhölzer hin und prangerte diese Menschenrechtsverletzungen an. Sie hoffte auf einen Sieg der Gerechtigkeit und zögerte nicht, die unrechtmäßigen Machenschaften anzuzeigen.
Es gelang ihr, das Nationale Institut für Kolonisierung und Landreform (INCRA) zur Unterstützung der Siedler zu gewinnen. In Anapu wurde 1999 das nachhaltige Entwicklungsprogramm (PDS) der Regierung als Pilotprojekt für ganz Amazonien begonnen. An die 600 Familien wurden seither in vier PDS-Projekten bei der Ansiedlung und Bestellung ihrer Felder begleitet und beraten. Leider erheben genau auf diese besiedelten Länder Großgrundbesitzer noch immer Ansprüche und verhindern mit ihrem Einfluss die friedvolle Umsetzung weiterer Ansiedlungen. Ge-meinsam mit Grundspekulanten und Holzhändlern setzten sie 2001 eine Spirale der Gewalt und Einschüchterung in Gang, bedrohten Dorothy und ihre Mitarbeiter und steckten Häuser und Felder in Brand.
Monatelang hatte Dorothy Behörden, Regierungsstellen und Menschenrechts-organisationen über die Konflikte in-formiert, um Maßnahmen und Lösungen zur Kontrolle der Gewalt gebeten. Schließlich kam im Februar 2004 der nationale Beauftragte für Umweltfragen, Jean Pierre, nach Anapu, um sich ein Bild über die Situation zu verschaffen. Drei Monate später tagte in Altamira (140 km von Anapu entfernt) eine parlamentarische Untersuchungskommission des National-kongresses zu Landfragen, an der Se-natoren und Abgeordnete des Bundes teilnahmen.
In Anerkennung ihres Einsatzes für die Kleinbauern und Landlosen verlieh ihr die Legislative Versammlung des Bundesstaates Pará im Juni 2004 die Ehrenbürgerschaft von Pará. Eine Dele-gation der Vereinten Nationen besuchte im Oktober 2004 die Landeshauptstadt Belém, um die Unabhängigkeit des Justizsystems zu untersuchen. Als Betroffene von Bedrohungen wurde auch Dorothy zur Anhörung geladen. Für ihre Verdienste um die Menschenrechte ehrte sie die Rechtsanwaltskammer von Pará im Dezember 2004 mit dem „José Carlos Castro Preis“.
Am 2. Februar 2005 wurden ihre Anklagen bei einer öffentlichen Audienz dem Minister für Menschenrechte, Nilmário Miranda, in Rondon vorgebracht. Als der Minister der Staatsanwaltschaft am 3. Februar 2004 in Belém das Nationale Programm zum Schutz der Menschenrechtsaktivisten präsentierte, war Dorothy anwesend und verwies auf die zunehmende Gewalt.
Die zuständigen Behörden bleiben wie schon so oft zuvor untätig, sei es aufgrund unklarer Kompetenzverteilung, fehlender finanzieller und infrastruktureller Ausstat-tung, aus Mangel an politischem Willen oder aufgrund der unheilvollen Allianz zwischen Mächtigen und Besitzenden. Das kaltblütige Verbrechen mitten am Tag und auf offener Straße zeigt, wie stark sich die Gegner der Agrarreform fühlen. Ihren „Erfolg“ – die Auslöschung einer unliebsamen Person - haben sie in Anapu mit einem Feuerwerk gefeiert. Unfassbar auch, dass die Zivilpolizei in Belém für den Tod eines Fazenda-Arbeiters einen engen Mitarbeiter von Dorothy verdächtigt, um damit die Gewaltbereitschaft der Siedler zu demonstrieren.
Wider alle Erfahrungen ist zu hoffen, dass die Tat rasch und eindeutig aufgeklärt wird und die Verantwortlichen sowie ihre Handlanger zur Rechenschaft gezogen werden. Frieden, Recht und Gerechtigkeit für die Menschen in Pará, damit sie nicht länger ihre Hoffnungen und Märtyrer in Blut getränkter Erde begraben müssen. Für ein Leben ohne Bedrohung und Angst, für ein Stück Land zum Überleben – für die Verwirklichung dieser Vision hat Dorothy gelebt, dafür ist sie auf so sinnlose Weise gestorben!
Erst der Tod verschaffte ihr jene Auf-merksamkeit, die sie sich zu Lebzeiten für die Sorgen und Nöte der Siedler und Kleinbauern gewünscht hat, damit sich deren Leben zum Guten ändert. Vielleicht finden ihre Kritik, ihr Protest und ihre Anklagen nun doch endlich Gehör!
Gustav Krammer hat jahrelang in Brasilien als Entwicklungshelfer gearbeitet und kannte Dorothy Stang persönlich sehr gut.