RegenwaldReport 03/2005
Nach dem Tsunami der Kahlschlag
Aceh benötigt dringend nachhaltige Hilfsprojekte wie Mangrovenaufforstung. Ein paar mutige Menschen stellen sich mit Unterstützung von Rettet den Regenwald der Holzmafia in den Weg
In Teneum an der Westküste von Aceh kreischen die Kettensägen. Arbeiter, teilweise in Armeeuniformen, haben eine Straße in den Regenwald geschlagen und fällen dicke Baumstämme. Raupen ziehen das Tropenholz aus dem Wald und laden es auf Lastwagen der Firma Waskita, die vom indonesischen Militär kontrolliert wird. Finanziert hat die Holzfällerstraße die staatliche, amerikanische Entwicklungshilfeorganisation US AID im Rahmen ihrer Tsunami-„Hilfe“, ohne den Schutzstatus der Wälder zu berücksichtigen.
Hartnäckige Recherchen und beharrliche Öffentlichkeitsarbeit unserer Partnerorganisation Walhi, dem größten indonesischen Umweltverband, haben entscheidend dazu beigetragen, dass in Aceh seit 2003 ein Moratorium für Holzeinschlag gilt und der Provinzgouverneur wegen illegaler Holzgeschäfte hinter Gittern sitzt. Dank großzügiger Spenden, die Rettet den Regenwald nach dem Tsunami erhalten hat, kann Walhi inzwischen wieder voll arbeiten. Bisher konnten wir rund 70.000 Euro zur Verfügung stellen.
Das Geld wird bitter nötig gebraucht, denn seit der Flutkatastrophe werden die Regenwälder der Provinz rücksichtslos geplündert, die weltweit zu den artenreichsten zählen. Die Holzfällerstraße bei Teneum ist nach Recherchen von Walhi nur ein Beispiel. Inzwischen konnten Walhi-Aktivisten per Fotos beweisen, dass die Holzmafia sogar von internationalen Hilfsorganisationen profitiert, die ihre Lastwagen für den Holzklau zur Verfügung stellen, so etwa der kuwaitische Rote Halbmond. Häufig kaufen die internationalen Organisationen das gestohlene Holz anschließend zu horrenden Preisen, um es für ihre Hilfsprojekte zu nutzen.
Selbst im Leuser-Nationalpark kommt es zu massiven illegalen Einschlägen. Die EU hat seit 1996 mehr als 30 Millionen Euro in den Schutz des Nationalparks investiert, der im Juli 2004 zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Momentan sind die Walhi-Mitarbeiter fast die einzigen in Aceh, die sich der Holzmafia immer wieder erfolgreich in den Weg stellen, illegale Einschläge zur Anzeige bringen und Menschen überall in der Provinz über die Folgen von Kahlschlag informieren.
Inzwischen kursieren Zahlen, wonach für die von der Flutkatastrophe am stärksten betroffene Region fünf bis neun Millionen Kubikmeter Holz benötigt werden. Angaben, die auch von der deutschen Botschaft in Jakarta verbreitet werden. Nach Recherchen von Walhi stammen die Zahlen von der Holzmafia, die eng mit der Armee zusammen arbeitet.
Weil die Regenwaldzerstörung in Aceh dramatische Folgen hat, sind langfristige Hilfsprojekte für die Tropenwälder dringend nötig. Seit den 80er Jahren gibt es in Aceh keine regelmäßigen Regenzeiten mehr. Der Grund ist nach Studien von Wissenschaftlern die fortschreitende Abholzung – mit verheerenden Auswirkungen für die Bauern der Region und ganz Indonesien. SKEPHI, ein Netzwerk von indonesischen Waldschutzgruppen, schätzt zudem, dass dem Staat durch illegalen Holzeinschlag in Aceh zwischen 1999 und 2004 4,25 Milliarden Dollar an Einnahmen entgingen.
Walhi hat mit Unterstützung von Rettet den Regenwald sozial und ökologisch verträgliche und langfristige Wiederaufbaumaßnahmen entwickelt. Zu dem Konzept gehören Aufforstung und Schutz von Mangrovenwäldern an der Küste, nachhaltiger Aufbau von Aceh und gleichzeitiger Schutz der Regenwälder, der Kampf gegen illegalen Holzeinschlag und ein journalistisches Trainingsprogramm für eine freie Berichterstattung.
Das Leuser-Ökosystem, dessen Schutz im Walhi-Projekt eine zentrale Rolle spielt, hat eine Fläche von 2,6 Millionen Hektar. Es ist eine der weltweit artenreichsten Regionen, deren ökologischer Wert auf jährlich 200 Millionen Dollar geschätzt wird, weil sie unter anderem Millionen Menschen sauberes Trinkwasser und reichlich Süßwasserfische liefert. Leuser ist zudem die Heimat der von Ausrottung bedrohten Orang-Utans, der Sumatra-Tiger und der Rafflesia, mit über zwei Metern Blütendurchmesser die größte Pflanze der Welt.
Aceh auf dem Holzweg
Indonesien ist Weltspitze in der Zerstörung der Regenwälder, wobei der Anteil des illegalen Holzeinschlags in einigen Regionen 90% erreicht. Das indonesische Forstministerium selbst spricht von transnationalen Verbrechen und sucht internationale Unterstützung. Besonders betroffen sind weiter entfernte, isolierte und relativ unzugängliche Gebiete, zu denen auch große Teile von Aceh gehören.
Von der Weltöffentlichkeit abgeschlossen, hat die Provinz in den letzten Jahren unwiederbringlich Wald verloren. Nach vorsichtigen Daten des indonesischen Forstministerium von 2002 sind 825.000 von 3,3 Millionen Hektar Wald in Aceh degradiert oder nicht mehr vorhanden. Auch in dieser Saison wird nicht nur der deutsche Markt wieder mit Tropenholzmöbeln überschwemmt. Die Hälfte des in die EU importierten Tropenholzes soll zuverlässigen Schätzungen zufolge aus illegalem Holzeinschlag stammen.
Auswirkungen der immensen Abholzung in Aceh sind Klimaveränderungen und Störungen des Wasserhaushalts. Die Folgen sind sowohl Dürreperioden als auch Überschwemmungen und Erdrutsche. Leidtragende ist vor allem die in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung, die zunehmend über Ernteeinbußen klagt. Nachdem es einigermaßen gelungen ist, die Tsunami-Opfer nach der Katastrophe mit Lebensmitteln, Medikamenten und Notunterkünften zu versorgen, beginnt jetzt die Phase des langfristigen Wiederaufbaus. Für Spenderinnen und Spender heißt das, sie brauchen Geduld. Wald-Schutzprojekte lassen sich nicht sofort fotografisch festhalten, wie etwa der Neubau einer Schule. Bis beispielsweise ein Mangrovenwald seine sämtlichen ökologischen Funktionen erreicht, vergehen 20 bis 30 Jahre. Wie wichtig trotzdem solche nachhaltigen Hilfsprojekte sind, ist bei dem Tsunami selbst dramatisch klar geworden.
Der Mensch hilft den Fluten
Der Raubbau an der Küstennatur hat nach Einschätzung von Experten das Ausmaß der Flutkatastrophe wesentlich verschärft. Mangroven und Korallen hätten als so genannter „Costal Green Belt“ eine Bollwerk- und Pufferfunktion, so der Korallenexperte Claudio Richter vom Bremer Zentrum für Marine Tropenökologie.
In den vergangenen 50 Jahren sind mehr als die Hälfte der weltweit einst 22 Millionen Hektar Mangroven vernichtet worden – durch Urbanisierung der Küsten, Touristenunterkünfte, Ölausbeutung, Luft- und Wasserverschmutzung und industrielle Shrimp-Farmen. Diese wurden jahrelang von der internationalen Finanzwelt wie der Weltbank gefördert und als „blaue Revolution“ gefeiert. Durch Shrimp-Farmen wurden in Thailand 65.000 Hektar Mangroven zerstört. In Indonesien verloren die Insel Java 70 Prozent, Sulawesi etwa 50 Prozent und Sumatra 36 Prozent ihrer einstigen Mangrovenwälder. Auch in Indien wurden große Flächen zerstört.
Mangroven sind Wälder, die im Gezeitenbereich tropischer Meeresküsten vorkommen und bei hohen Salzkonzentrationen besser wachsen als bei niedriger. Das sensible Ökosystem ist auf ruhiges, warmes Wasser angewiesen und ist deshalb vor allem in Meeresbuchten oder hinter Korallenriffen an den Küsten Südamerikas, Afrikas und Südostasiens zu finden.
Mangrovenwälder gehören zu den artenreichsten und produktivsten Feuchtgebieten der Erde. Sie beherbergen eine Fülle von Baum- und Pflanzenarten, die sich dem Salzwasser angepasst haben. Hunderte Vogelarten sind auf Mangroven als Lebensraum angewiesen. In den sumpfigen Regenwäldern tummeln sich Krokodile, Affen, Wildkatzen, Amphibien und Meeresschildkröten.
Mangroven stellen zudem eine wichtige Ressourcenquelle für die lokale Bevölkerung dar. Sie versorgen die Menschen mit Bau- und Brennholz, Früchten, Gerbstoffen und pflanzlichen Heilmitteln. Als Brutstätte für viele Krebstiere und Fische sichern sie die Ernährung der Bevölkerung.
Die Küste in Aceh ist heute auf Hunderten von Kilometern eine Trümmerlandschaft aus Steinen, Zementplatten, Holzbalken, zermatschten Autos und entwurzelten Bäumen. Die Erde ist aufgewühlt zwischen den Fundamenten, die von den Häusern noch geblieben sind.
Bei dem von Walhi geplanten Hilfsprojekt ist Mangrovenaufforstung in sieben Distrikten der Provinz Aceh vorgesehen. Grüne Mangrovensetzlinge, die aussehen wie Spargelstangen, liegen bereits gebündelt bereit, die ersten sind schon eingepflanzt.
In den Küstendörfern leben Menschen, die von Mangroven eine Menge verstehen. Sie entscheiden, welche Flächen aufgeforstet werden. Walhi hilft bei der Verteilung der Setzlinge. „Die Menschen wissen inzwischen, dass intakte Mangrovengürtel die Schäden des Tsunami gemildert hätten“, sagt Feri Irawan von Walhi. Und noch etwas ist besonders wichtig: Wer das traumatische Erlebnis Tsunami überlebt hat, für den ist in Zukunft ein grüner Schutzgürtel zwischen Meer und Wohnhaus auch eine psychologische Hilfe, die Schrecken der Mega-Welle zu verarbeiten.