Regenwald Report 03/2009
Brasilien: Der Cerrado braucht Schutz
Im Herzen Brasiliens liegt eine Landschaft von ganz besonderem Wert – der Cerrado, die artenreichste Savanne der Welt. Doch diese einzigartige Trockenwald-Vegetation ist in größter Gefahr: Immer weiter dringen die Zuckerrohr- und Soja-Plantagen vor und vernichten den Lebensraum von Ureinwohnern, Tieren und Pflanzen.
von Dr. Ilse Silberbauer-Gottsberger
Niemand kennt die Eigenheiten des Cerrado besser als die Ulmer Biologen Ilse und Gerhard Gottsberger – fast 20 Jahre lang haben sie dieses Ökosystem erforscht. Ihre Arbeit sollte ein Appell sein, diesen Schatz für unsere Nachkommen zu bewahren.
Kaum eine Landschaft der Erde ist so vielseitig
Das portugiesische Wort „cerrado“ bedeutet dicht oder geschlossen, und es bezeichnet einen speziellen Vegetationstyp Zentralbrasiliens. Ursprünglich nahm der Cerrado 20 bis 25% der gesamten Staatsfläche ein: 1,5 bis 2 Millionen Quadratkilometer. Doch der Cerrado ist von der Zerstörung durch den Menschen noch stärker betroffen als der Regenwald Amazoniens. Da er häufig flache Hochebenen bedeckt und oft niedere Bäume besitzt, ist es relativ leicht, ihn abzuholzen. Satellitenfotos aus dem Jahre 1999 haben gezeigt, dass schon damals nur mehr ein Drittel der ursprünglich mit Cerrado bedeckten Flächen erhalten waren. Eukalyptus, Sojabohnen und Zuckerrohr ersetzen großflächig die Cerrado-Vegetation. Zuckerrohr wird vor allem für den weltweit verwendeten Biosprit angepflanzt. Nur ein Prozent der Fläche steht unter Schutz. Wenn nicht sehr bald weitere große Flächen als Naturschutzgebiete ausgewiesen werden, wird es nicht mehr lange dauern, bis diese wunderbare Vegetation ganz verschwunden sein wird. Der Cerrado ist eine eigenständige Vegetation, die sich von anderen ähnlichen Vegetationen (z. B. Savannen) Süd- und Mittelamerikas unterscheidet – durch seine besondere Ökologie, seinen Artenreichtum und die Artenzusammensetzung. Allein 10.000 verschiedene Pflanzenarten werden im Cerrado vermutet.
Der Großraum Cerrado (sensu lato) wird dominiert von einer savannenähnlichen Vegetation, bestehend aus Bäumen, Sträuchern und Bodenpflanzen, mit vielen Grasarten. Er ist sehr verschiedenartig gestaltet: Da gibt es einerseits die geschlossenen, fast graslosen Wälder; dann die Baum- und Strauchsavannen mit wenig dicht stehenden, niederen Bäumen und Sträuchern. Und schließlich die offeneren Formen mit noch niedereren, verstreut stehenden Bäumen bis hin zu Grasland mit nur wenigen niedrigen Holzgewächsen.
Das Klima des Cerrado ist durch 750 bis 2000 mm hohe Niederschläge gekennzeichnet, die hauptsächlich in der wärmeren Regenzeit zwischen September und März fallen (zum Vergleich: in Deutschland fallen im Jahresdurchschnitt etwa 770 mm Regen). Dazwischen ist es kühl und trocken. Der monatliche Temperaturmittelwert liegt meist über 18°C (im Süden kann es aber auch Frost geben). Die Sonneneinstrahlung während des Tages ist sehr hoch. Die Böden des Cerrado sind meist rötlich oder gelb, tiefgründig, sandig und sehr wasserdurchlässig. Der Wassergehalt des Bodens bestimmt die verschiedenen Erscheinungsformen. Die Böden sind sehr nährstoffarm und enthalten oft hohe Konzentrationen an für Pflanzen giftigem Aluminium.
Die Tiere und Pflanzen sind Überlebenskünstler
Die zahlreichen Tier- und vor allem Pflanzenarten haben spezielle Merkmale entwickelt, durch die sie mit den extremen Umweltbedingungen fertig werden. Charakteristisch für den Cerrado sind der Krüppelwuchs vieler Baumarten, die korkreiche dicke Rinde der Stämme, tiefe, oft bis zum Grundwasserspiegel reichende Wurzeln und stark ausgebildete unterirdische Organe der Pflanzen. So können sie auch die Trockenzeit gut überstehen.
Natürliche, durch Blitzschlag entstandene Feuer spielten eine große Rolle bei der Entwicklung der Cerrado-Pflanzen. Durch die dicke, korkhaltige Rinde und die unterirdischen Organe sind sie auch vor Feuer gut geschützt. Traten die natürlichen, durch Blitzschlag hervorgerufenen Feuer sporadisch auf, erzeugten sie in der Vegetation keine größeren Schäden. Blätter erneuern sich aus den angesengten Stämmen und die niederen Pflanzen wachsen aus den unterirdischen Organen wieder aus. Trotz der Feuer regenerierte sich der Cerrado immer wieder. Heute wird der Cerrado, in dem sehr oft Viehzucht betrieben wird, jedes Jahr gebrannt; immer weniger und immer niedrigere Bäume sind die Folge.
Vermutlich war der Cerrado seit der letzten Eiszeit von verschiedenen Indianerstämmen bevölkert. Sie folgten der vor 13.000 – 14.000 Jahren noch existierenden Großtierfauna in die offenere Cerrado-Landschaft. Sie jagten u. a. das Riesenfaultier (ca. 3500 kg), Mammut-Artige (ca. 4000 kg) und Riesengürteltiere (bis zu 1000 kg). Vor etwa 11.000 Jahren ist diese Großtierfauna ausgestorben und die Stämme mussten ihre Jagd auf Tapire, Rehe und Hirsche, Wildschweine, Affen, Gürteltiere, Nagetiere (z.B. Wasserschweine), Schildkröten, Kaimane, Eidechsen und Vögel umstellen und vermehrt auch fischen.
Zwar gibt es typische Cerrado-Tierarten, aber vor allem dann, wenn die Cerrado-Pflanzen Blüten oder Früchte ausbilden, kommen die meisten Tiere aus der umgebenden Vegetation in diese offenere Landschaft. Im Cerrado sind zahlreiche Säugetiere, Vögel und Insekten als Bestäuber, Frucht- oder Samenausbreiter sehr wichtig. Um den Cerrado zu erhalten, müssen daher große Gebiete der Region als Ganzes in den Schutz einbezogen werden, vor allem auch Trockenwälder, Sümpfe und entlang der Flüsse die Galeriewälder.
Kolibris saugen Nektar aus den Blüten und sind als Bestäuber vieler Arten wichtig. Fledermäuse sind sowohl als Bestäuber wie auch als Frucht- und Samenausbreiter von Bedeutung. Von der Tätigkeit des großen Heeres an Insekten, wie diversen Bienen, Schmetterlingen, Fliegen und Käfern, hängt ebenfalls der Fruchtansatz der Pflanzen ab. Die Früchte müssen ausgebreitet werden, damit sich der Cerrado verjüngen kann. Die heute noch lebenden Säugetiere, die vor allem fleischige Früchte fressen und deren Samen ausbreiten, sind im Vergleich zu früher relativ klein. Die bekanntesten Vertreter der früchtefressenden Cerrado-Fauna sind der Mähnenwolf (Chrysocyon brachyurus) und Brasiliens größtes Landsäugetier, der Tapir. Auch die Weißbüschelaffen der Gattung Callithrix ernähren sich von Früchten. Wichtige Samenausbreiter im Cerrado sind natürlich auch die Vögel. Der eindrucksvollste, aber gleichzeitig inzwischen auch der seltenste unter ihnen ist der straußenähnliche „Große Nandu“ (Rhea americana).
Indianer nutzen den Cerrado, ohne ihn zu zerstören
Die Ureinwohner des Cerrado sind Indianer, die von der Jagd, vom Fischfang und den Pflanzen dieser Vegetation lebten. Nach der Ankunft der Portugiesen und der Besiedlung der Atlantischen Küste kam es zu meist kriegerischen Kontakten mit den Indianern. Ab dem 16. Jh. spielte sich eine lange, blutige Geschichte zwischen den neuen, aus Europa gekommenen Siedlern und der Urbevölkerung ab. Im 17. Jh., als Gold und Diamanten in den Indianergebieten entdeckt wurden, musste sich die Urbevölkerung, um zu überleben, aus den relativ offenen Cerrado-Landschaften in die Wälder zurückziehen. Wenige Reste einiger Stämme, etwa der Xavantes und Kayapós, zeigen auch heute eindrucksvoll, wie die Indianer im Einklang mit der Natur leben, ohne sie zu zerstören. Fast alle Pflanzen werden von ihnen verwendet, entweder als Feuer- und Bauholz, als Nahrungs- oder Medizinpflanzen, wieder andere, um Beutetiere anzulocken oder Feinde abzuwehren.
Weitere Schutzzonen sind dringend notwendig
Die Kayapós legen noch heute im offenen Cerrado kleine Waldinseln, sogenannte „Apêtes“ an – als wichtige Quellen von Nahrungs- und Medizinpflanzen. Man kann in diesen Waldinselstücken auch Feinden auflauern, sich dahin zurückziehen, wenn ein Überfall auf das Dorf stattfindet oder Krankheiten auftreten. Ein idealer Apête enthält alles, was man zum unmittelbaren Überleben benötigt.
Der Cerrado ist sicherlich die am besten studierte Vegetation und Landschaft Brasiliens und zeichnet sich durch eine einzigartige Pflanzen- und Tierwelt aus. Sie ist aber auch eine der am meisten bedrohten Vegetationen Südamerikas. Mit der Abholzung und Zerstörung verschwinden immer mehr Tiere und wertvolle Pflanzenarten.
Die Zukunft wird zeigen, ob die Verantwortlichen in der Lage sein werden, entsprechend große Flächen dieser Vegetation zu schützen und die Pflanzen- und Tierwelt des Cerrado für zukünftige Generationen zu erhalten.
Der Mähnenwolf ist vor allem Vegetarier, frisst aber zusätzlich auch kleinere Wirbeltiere und Insekten. Seine Lieblingsspeise sind die großen, bis zu 1 kg schweren, tomatenähnlichen „Wolfsfrüchte" von Solanum lycocarpum, einem Nachtschattengewächs. Die Samen, die der Wolf ausscheidet, keimen aus und bilden neue Sträucher. Zoologische Gärten waren lange Zeit nicht in der Lage, den Mähnenwolf am Leben zu erhalten, da man ihm als Wolf nur tierische Nahrung gab. Erst seit die Diät auf vorwiegend Fruchtnahrung umgestellt wurde, kann man den südamerikanischen Mähnenwolf auch in Zoos bestaunen.