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Regenwald Report 01/2014

Liberia: Vera und die Schimpansen

Vera Leinert hat drei Jahre im Dschungel von Liberia und der Elfenbeinküste gelebt, um Schimpansen zu erforschen. Die deutsche Biologin traf engagierte Ranger, aber auch blauäugige Goldsucher und dreiste Wilderer. Eine Reise zwischen Faszination und Sorge

Schimpanse Kuba gönnt sich eine Ruhepause. Immerhin ist er der Chef einer 20-köpfigen Affen-BandeSchimpanse Kuba gönnt sich eine Ruhepause. Immerhin ist er der Chef einer
20-köpfigen Affen-Bande. Foto: Sonja Metzger/WCF

Den Rüffel habe ich mir verdient. Ich war dabei, in den größten Baum im Dorf zu klettern und wurde von ein paar Jungs zurückgepfiffen. „Der Baum ist heilig“, sagten sie vorwurfsvoll. Der Baum hat für die Dorfbewohner eine besondere Bedeutung, sie verehren ihn. Ich habe das nicht geahnt, schließlich war er nicht mit bunten Bändern geschmückt oder eingezäunt. Schnell habe ich verstanden, dass die Bewohner in den Bäumen und im Wald etwas anderes sehen als ich, eine deutsche Biologin.

 Ich war in das Dorf Jalays Town gekommen, um Schimpansen im Sapo Nationalpark im Osten von Liberia zu erforschen. Das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hatte mich hergeschickt, damit ich eine kleine Forschungsstation leite. Mit sechs Mitarbeitern, Männern aus der Umgebung, wollte ich möglichst viel über eine Affengruppe herausfinden. Zum Beispiel, ob das Verhalten von Tieren dieser Gruppe bei der Nahrungssuche ökologisch bedingt ist oder kulturell erlernt.

So wurde Jalays Town, wo 200 Menschen leben, mein Zuhause, mitten im Urwald, nur wenige Kilometer vom Sapo Nationalpark entfernt. Ich bin gefangen von der Magie des Dschungels. Als ich zum ersten Mal Nashornvögel über mir fliegen hörte, dachte ich: So haben die Flügelschläge von Sauriern geklungen. Der Regenwald ist so artenreich wie höchstens Korallenriffe, doch viele Tiere bekam ich nie zu sehen – wie Waldelefanten, Zwergnilpferde oder Krokodile. Primatengruppen hört man und weiß, dass sie ganz nah sind. Bunte Diana-Meerkatzen und schwarz-weiße Stummelaffen. Schimpansen sind Meister im Verschwinden. Gerade haben sie noch Nüsse geknackt, schon sind sie weg. In den zwei Jahren im Sapo Nationalpark habe ich nur vier Mal Schimpansen gesehen.


Alltag im Dschungel

Alles selbst gebaut: Vera Leinert in ihrem Dschungelcamp – den Strom liefern zwei Solarpanele. Die Regenzeit fordert Einsatz und viel Geduld, denn die Wege werden zu Schlammpisten (unten)


















Für unser Forschungsprojekt haben wir Videokameras im Wald versteckt. Die werden ausgelöst, sobald ein Tier vor dem Objektiv auftaucht. Um die besten Standorte für unsere Kameras zu finden, haben wir nach Nestern der Schimpansen Ausschau gehalten. Schimpansen biegen sich jeden Abend aus Zweigen einen Schlafplatz zurecht, der so groß ist wie ein Storchennest. Die haben wir vom Boden aus erspäht.

Im tiefen Dschungel kommen wir den Schimpansen mit Videokameras auf die Spur

Ich habe auch den Kot von Affen gesammelt. Er gibt Aufschluss darüber, ob die Tiere verschiedener Gruppen genetisch miteinander verwandt sind, wie viele Individuen eine Schimpansen-Gruppe umfasst, welche Krankheitserreger die Tiere in sich tragen und was sie fressen. Die Dorfbewohner fanden das schon eigenartig, was mich Europäerin interessiert. Ich suche Affenkacke, während sie all ihre Energie darauf verwenden müssen, Nahrung zu beschaffen.

Es war immer ein spannender Moment, wenn ich abends die Speicherkarten aus den Kameras in meinen Laptop gesteckt habe: Was ist drauf? Die Dorfbewohner haben mir staunend zugeschaut. Diese Tiere gab es also in ihrem Wald. Ihnen wurde klarer, was ich bei ihnen mache.

Mir ist sogar ein einzigartiges Video gelungen: Zufällig hat ein Affe vor der Kamera Sacoglottis-Nüsse geknackt. Das hatte im Sapo noch niemand gefilmt. Das Besondere daran ist, dass Affen diese Nüsse im Tai Nationalpark, der nur geschätzte hundertfünfzig Kilometer entfernt ist, nicht fressen. Ein Hinweis auf kulturelle Unterschiede!

Ich habe viele Videos gemacht, wie Schimpansen Nüsse knacken, von Jugendlichen, die unbeholfen auf Nüsse einschlugen, und einer Mutter, die gelassen knackte, während ihr Kind am Bauch hing.

Mit Goldsuchen hoffen Leute aus dem Dorf, ein bisschen Geld zu verdienen

Das Leben im Dorf wurde für mich Alltag. Ich habe in einer Lehmhütte gewohnt und mit den Nachbarn Reis mit Bohnen gegessen. Für die Lebensmittel­einkäufe mussten wir alle zwei Wochen mit dem Motorrad in die Stadt Greenville fahren. Zu Anfang meines Aufenthalts habe ich es auf den Fahrten genossen, wie uns der Regenwald umschlossen hat. Doch nach und nach verschwand der Wald. Sinoe Rubber Plantation rodete große Flächen. Wo vor wenigen Wochen noch Regenwald stand, fuhren wir jetzt durch Kahlschlag. Das sah schrecklich aus. Ich habe also aus nächster Nähe, ganz nebenbei, beobachtet, wie in Liberia der Wald abgeholzt wird.

Welche Bäume ernähren die Affen? Alles wird genau katalogisiertWelche Bäume ernähren die Affen?
Alles wird genau katalogisiert

Auch die Bedrohung des Regenwalds durch Goldsucher habe ich beobachtet. Im kleinen Stil. Sirus hat im Dorf damit geprahlt, nach Gold zu schürfen, weil er damit Geld verdient. Dass er für sein Gold lediglich fünf Doller bekam, war ihm egal. Es ist dasselbe Schema: Ein Jugendlicher lässt sich von Goldhändlern über den Tisch ziehen wie sich Liberia als Nation von internationalen Konzernen ausplündern lässt.

Mehrere Male haben meine Leute und ich im Nationalpark Camps von Wilderern gefunden. Einmal haben wir ihnen eine Hütte abgefackelt. Drinnen gab es eine Räucherstelle, auf der Antilopenfleisch lag. Die Ranger haben sich auf die Lauer gelegt, um die Wilderer zu schnappen– erfolglos.

Fasziniert bin ich von der Lebensfreude im Dorf. Allein die Feste sind ein Erlebnis. Die Afrikaner haben den Rhythmus im Blut. Zum Trommeln werden häufig leere Kanister benutzt. Zwei Leute singen, die anderen antworten. Alle tanzen im Kreis. Abends saßen wir im Licht von Öllampen. Im Dorf gibt es nämlich keinen Strom.

Seit Oktober bin ich aus Liberia und der Elfenbeinküste, wo ich auch ein Jahr gelebt habe, zurück. Es sind Erfahrungen, die mir niemand mehr nehmen kann. Ich habe tiefe Freundschaften mit Menschen geschlossen, deren Leben nicht unterschiedlicher von meinem sein könnte. Liberia ist ein wunderschönes, reiches Land. Ich hoffe, dass es gelingt, zumindest einen Teil der Magie beizubehalten und gleichzeitig mehr Wohlstand und Bildung für die Einheimischen zu schaffen.



Ihre Hilfe für die Schimpansen

Das ökologisch besonders wertvolle Waldgebiet Grebo liegt im Osten Liberias, in dem vom Aussterben bedrohte Zwergnilpferde, Waldelefanten und rund 380 Schimpansen leben. Doch der Dschungel wird von Wilderern und illegalen Goldgräbern bedroht.

Die Ranger der Wild Chimpanzee Foundation schützen das Gebiet. Monat für Monat legen sie auf ihren Patrouillen zu Fuß 80 Kilometer zurück. Dabei finden sie jeden Tag mehrere Bodenfallen, die Wilderer aufgestellt haben. Häufig verenden Antilopen und auch Schimpansen in den Fallen.

Die Arbeit als Wildhüter verschafft ihren Familien ein sicheres Einkommen. Die Verpflegung und die Ausrüstung für ein Team aus zwei Rangern und drei lokalen Helfern kostet rund 200 Euro monatlich. Unterstützen Sie die Wildhüter bei ihrer wichtigen Arbeit mit Ihrer Spende: Liberia: Leibwächter für Schimpansen

Die Wild Chimpanzee Foundation ist eine internationale Tierschutzorganisation, die mit dem Max Planck Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig zusammenarbeitet.

(Foto: Ranger der Wild Chimpanzee Foundation im Einsatz gegen Wilderer, Foto: Tobias Deschner/WCF)

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