Regenwald Report 03/2021 · Klimaschutz und Biodiversität
Klima fürs Leben
Waldbrände, Überschwemmungen, Dürren und Hitzewellen – die Klimakrise ist real. Bei uns und weltweit. Das Massensterben von Tier- und Pflanzenarten ist dagegen weniger präsent, obwohl eine Million Spezies auf der Kippe stehen. Dabei sind die beiden existenziellen Krisen eng verwoben und verstärken einander. Wir müssen sie Hand in Hand anpacken.
Wir Menschen sind talentierte Zerstörer. Nehmen wir das Klima. Wir blasen so viele Treibhausgase in die Atmosphäre, als müsste uns das Morgen nicht kümmern. Unablässig, obwohl uns Wissenschaftler seit Jahrzehnten vor der Klimakatastrophe warnen, die wir auslösen. Doch das Klima zu ruinieren, scheint uns Menschen nicht genug: Wir zerstören auch die Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten. Indem wir Raubbau treiben, etwa Regenwälder roden, nehmen wir ungezählten Tier- und Pflanzenarten den Lebensraum.
So kämpfen die vom Aussterben bedrohten Schimpansen, Bonobos und Gorillas gewissermaßen tapfer und an vorderster Front gegen das Massensterben. Wir könnten ungezählte weitere Spezies bewahren, wenn wir ihren Lebensraum schützen. Doch das wird nicht genügen: Die Klimakrise droht ihnen vollends den Garaus zu machen. Bildlich gesprochen bringt die neue Affenhitze die Primaten nicht nur zum Schwitzen, sondern raubt ihnen den bisherigen Lebensraum. Dann hilft auch wenig, wenn wir lediglich ihr bisheriges Habitat erhalten. Der Fall zeigt, wie eng Klima und Biodiversität miteinander verknüpft sind. Ein Zusammenhang, der oft übersehen wird.
Das nächste Massensterben
Eine Million Spezies könnten in naher Zukunft vom Antlitz der Erde verschwinden, schätzt die UN. Auf 75 Prozent der Landfläche der Erde sind die Ökosysteme gefährdet. Besonders betroffen davon sind Korallenriffe und Regenwälder. Die Erde hat bereits fünf Massensterben erlebt, das bisher letzte markierte das Aus für die Dinosaurier, die die Erde zuvor über viele Millionen Jahre beherrscht hatten. Die Evolution setzte gewissermaßen von Neuem an. Nun bricht zum sechsten Mal die Biodiversität zusammen – diesmal hat der Mensch durch seinen rücksichtslosen Umgang mit der Natur das Drama ausgelöst.
Doch das sich ändernde Klima wird im Zusammenhang mit dem aktuellen Artensterben allenfalls als Randnotiz thematisiert. Ein Fehler, denn die Klimakrise verursacht nicht nur Flutkatastrophen, Hitzewellen und extrem kalte Winter, sondern ändert die Lebensbedingungen von Tieren und Pflanzen rund um den Globus grundlegend.
Auch für die Zukunft von Afrikas Menschenaffen ist das Klima ganz entscheidend: Mit dem Temperaturanstieg und häufiger werdenden Dürren wird die Zusammensetzung der Flora und somit das Nahrungsangebot für die Tiere durcheinandergewürfelt. Neuen Forschungen zufolge schrumpft ihr Lebensraum selbst dann um 85 Prozent, wenn es gelingt, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu bremsen. Versagen wir dabei – und danach sieht es dem jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC zufolge aus –, verschwindet ihr Habitat nahezu komplett. Ob unsere nahen Verwandten im Tierreich aussterben, hängt auch damit zusammen, wie ernst wir den Schutz des Klimas nehmen.
Was für Primaten zutrifft, kann als Regel gelten: Die Klimakrise und das Massensterben sind zwei vom Menschen verursachte, existenzielle Krisen, die mit vielerlei Wechselwirkungen gleichzeitig ablaufen. Keine ist harmloser als die andere, keine nachrangig. Wir müssen sie Hand in Hand anpacken.
Wie intensiv das Klima und die Vielfalt des Lebens – die Biodiversität – verflochten sind, lässt sich in den Regenwäldern studieren. Nirgends auf der Welt gibt es mehr Tier- und Pflanzenarten als dort. Auf einem Hektar im Yasuní Nationalpark in Ecuador gedeihen mehr Baumarten als in ganz Nordamerika. Auf einem einzigen Urwaldriesen leben mehr Insektenspezies als zwischen Nordkap und Gibraltar. Zugleich spielen die intakten Wälder am Äquator als Kohlenstoffspeicher und Regenmacher eine wichtige Rolle im Klimageschehen und eine Schlüsselrolle im Kampf gegen die Klimakatastrophe. So nehmen sie das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) aus der Luft auf und lagern den Kohlenstoff dauerhaft ein.
Schätzungen zufolge binden Regenwälder 250 Milliarden Tonnen CO2, einen großen Teil davon in Torfwäldern. Das entspricht global betrachtet dem 90-Fachen der menschengemachten Treibhausgas-Emissionen pro Jahr. 40 Prozent des Sauerstoffs in der Atmosphäre stammen aus den Regenwäldern. Das Bild der Wälder als „Lungen der Erde“ ist zwar nicht ganz stimmig, jedoch einprägsam.
Doch die Regenwälder können ihre Funktion als Klimastabilisator immer weniger erfüllen. Im Gegenteil: Ihre Vernichtung etwa für Plantagen, Viehweiden und Bergbauprojekte setzt große Mengen der Treibhausgase CO2, Methan und Stickoxide frei. Besonders verheerend wirkt sich die Zerstörung von Torfwäldern aus. Laut einer im Magazin Nature veröffentlichten Studie könnten sich die Regenwälder zudem auch aufgrund sich verändernder klimatischer Verhältnisse ab dem Jahr 2035 von CO2-Speichern zu CO2-Quellen entwickeln – und die Klimakatastrophe weiter antreiben. In Amazonien ist das offenbar bereits der Fall.
Besonders dramatisch wirkt sich die Klimakrise an den 18 sogenannten Kipppunkten aus. Das sind Bereiche, in denen langsame Veränderungen plötzlich umschlagen und danach nicht mehr zu stoppen sind. Einer dieser neuralgischen Punkte liegt in Amazonien: Sobald wir Menschen ein bestimmtes Maß an Regenwaldvernichtung angerichtet haben, bricht das Ökosystem unaufhaltsam und unwiederbringlich zusammen. Dann geht neben der immensen Artenvielfalt einer der wichtigsten Klimastabilisatoren verloren. Entscheidend dabei ist die Funktionsweise des Wasserkreislaufs: Der Regenwald produziert große Teile des Niederschlags selbst. Durch die fortschreitende Rodung der Wälder und die bereits begonnene Klimaerwärmung kann dieser Kreislauf fatal geschwächt werden. Der immergrüne Regenwald würde sich in einen an die Trockenheit angepassten saisonalen Wald oder eine Savanne verwandeln. Manche Studien gehen davon aus, dass Amazonien kippt, sobald 20 bis 25 Prozent des Waldes zerstört wurden. Anderen Forschungen zufolge ist dieser Punkt ohne Wiederkehr bereits erreicht.
Die Kipppunkte darf man zudem nicht isoliert verstehen, sondern muss Dominoeffekte betrachten: Fällt ein Stein, reißt er andere mit. So könnte auch ein Kippen des Westafrikanischen Monsuns verheerende Folgen für das Tau-sende Kilometer entfernte Amazonien haben. Durch eine regionale Verschiebung der Niederschlagsmuster könnte die Sahara ergrünen und als Folge weniger Wüstenstaub über den Atlantik geweht werden. Mit dem ausbleibenden Sand ginge dem Amazonas-Regenwald wichtiger Dünger verloren.
Falsch verstandener Klimaschutz
Doch die Regierungen der Erde und ihre Berater bis hin zu den Vereinten Nationen vernachlässigen den Zusammenhang zwischen der Klimakrise und dem Massensterben. Die UN-Gremien zur Klimakrise und zur Biodiversität leben gewissermaßen in ihren eigenen Welten: Beide laden unabhängig voneinander zu Weltgipfeln ein, wo die Staaten Fahrpläne für die Rettung des Planeten festlegen. Erstmals überhaupt haben Experten beider UN-Gremien im Juni 2021 ein gemeinsames Papier vorgelegt. Als müssten sie Versäumtes aufholen, werden die Wissenschaftler in ihrem Werkstatt-Bericht deutlicher als zuvor: Falsch verstandener Klimaschutz kann die Biodiversität schädigen. Was das Klima schont, kann erhebliche ökologische Schäden anrichten.
So mögen Elektroautos gut fürs Klima sein, weil sie während der Fahrt kein CO2 ausstoßen. Der Abbau der Rohstoffe, insbesondere Aluminium für die Karosserie und Lithium für die Batterien, verursacht jedoch immense Verwüstungen (Bericht im Regenwald Report 2/2021). Wenn für vermeintlich klimafreundlichen Biosprit und Holzpellets Wälder und Grasländer zerstört werden, ist das verheerend für die Biodiversität. In Monokulturen von Palmöl, Mais oder Akazien bleibt von der Vielfalt des Lebens nichts übrig, die „grünen Wüsten“ sind ökologisch von geringem Wert. Selbst der Nutzen für das Klima ist zweifelhaft. So nehmen alte Wälder mehr Klimagase auf und speichern sie, als es Baumplantagen können. Zudem setzen Pellets bei ihrer Verbrennung jetzt CO2 frei, das erst im Laufe von Jahrzehnten der Atmosphäre wieder entnommen wird. Zu spät für das 1,5-Grad-Ziel der Klimadiplomatie.
Grundsätzlich klingt es nach einer guten Idee, Bäume zu pflanzen, um CO2 zu speichern. Doch die falsche Art am falschen Standort schadet mehr als sie nutzt. So sind Monokulturen von Kiefern oder Eukalyptusbäumen nicht nur artenarm, sondern gefährden mitunter den Nährstoff- und Wasserkreislauf. Savannen aufzuforsten ist besonders heikel, weil Grasländer komplexe, kohlenstoffreiche Ökosysteme sind – allerdings von Natur aus baumlos.
Um den Krisen zu begegnen, sind Maßnahmen erforderlich, die der Biodiversität und dem Klima zugleich nützen. Und die gibt es: An vorderster Stelle stehen der Schutz und die Instandsetzung von Mangroven und Mooren. Diese Ökosysteme speichern besonders viel Kohlenstoff und sind zugleich äußerst reich an Arten. Das bedeutet umgekehrt, dass die Zerstörung von Torfwäldern etwa in Indonesien besonders schädlich für das Klima ist und sofort gestoppt werden muss.
Kultur der Indigenen achten und nutzen
Schutzgebiete spielen eine tragende Rolle bei der Bewahrung von Artenvielfalt und Klima. Daher peilen die unterschiedlichen UN-Gremien fast einmütig an, in den kommenden Jahrzehnten 30 bis 50 Prozent der Erdoberfläche unter Schutz zu stellen. Doch der Slogan „30 Prozent bis 2030“ lässt bei Menschenrechtlern Alarmglocken schrillen: Bis zu 300 Millionen Menschen könnten ihre Heimat verlieren, wenn ihre Region plötzlich vor den Bewohnern „geschützt“ werden soll, die bisher im Einklang mit der Umwelt dort leben. Die Gefahr ist groß, dass Regierungen und einflussreiche Organisationen öffentlichkeitswirksam Reservate ausweisen oder ausweiten und dabei diejenigen missachten, die durch ihre angepasste Lebensweise Regenwälder und andere Naturschätze bewahrt haben.
Schimpansen, Bonobo und Gorillas können sich theoretisch an bisher ungeeignete Landstriche als Lebensraum anpassen. Doch die Menschenaffen bräuchten dazu viele Jahre. So viel Zeit haben sie nicht.
Dies müssen wir tun, um Klima und Biodiversität zugleich zu bewahren: