Mit Ablass-Handel Emissionen senken?
Es klingt verlockend: das Klima belasten wie bisher und es zugleich schützen. Unternehmen können weiter nach Öl bohren, Flugreisen anbieten, allerlei umweltschädliche Produkte verkaufen und die Kunden können wie bisher zugreifen – als gäbe es keine Klimakrise. Die Zauberformeln dafür heißen Ausgleich, Kompensation und Kohlenstoff-Gutschriften.
Wie gelingt es Firmen, klimaschädliche Produkte und Dienstleistungen als „klimaneutral“ oder sogar „klimapositiv“ anzupreisen? Ausgleich, Kompensation und Kohlenstoff-Zertifikate - auf Englisch Offset und Carbon Credits - machen es möglich.
Was sind Carbon Credits und Offset?
Die Idee hinter Offset und Carbon Credits ist bestechend einfach: Emissionen an Ort A verschwinden aus der Atmosphäre, wenn man sie an Ort B kompensiert. Wenn man beispielsweise in A durch einen Wochenendtrip per Flugzeug CO2 in die Luft bläst, kann der Schaden fürs Klima durchs Pflanzen eines Bäumchen in B aus der Welt geschafft werden. Statt aufzuforsten, kann man freilich vorhandene Wälder schützen. Das Kompensieren funktioniert angeblich bei fast allem: bei Elektrogeräten, Kosmetika, Klamotten, exotischen Lebensmitteln und sogar Erdöl. „Netto null“ oder „Net zero“ heißt das Nullsummenspiel im Jargon der Expert:innen und Politiker:innen.
Wäre das Klima ein Bus, wäre er der Logik folgend durchgehend leer, weil ja immerzu Passagiere ein- und aussteigen.
Grundsätzliche Kritik
Das Problem: „Netto null“ ist nicht „real null“. Es werden weiterhin Emissionen in die Atmosphäre geblasen. Ob woanders tatsächlich das Klima geschützt wird und wann das passiert, ist nicht garantiert.
So bescheinigt die Umweltschutzorganisation Rainforest Foundation UK im Juli 2023 vier führenden Offset-Programmen „einfach keine echten Emissionsreduzierungen darzustellen“. Im Januar 2023 brachten Journalisten der ZEIT, des Guardian und SourceMaterial ans Licht, dass 90 Prozent von Zertifikaten, die für den Ausgleich von Emissionen stehen sollen, für das Klima wertlos waren.
Befürworter von Carbon Credits und anderen Offset-Modellen beharren darauf, dass sie für den Ausgleich von „nicht vermeidbaren Emissionen“ nötig seien. Zudem lieferten sie dringend benötigtes Geld für den Schutz der Wälder.
Kritiker warnen. Nach 15 Jahren Erfahrung und trotz Milliardensummen hätten Offset-Modelle kaum zum Klima- und Waldschutz beigetragen und würden zudem häufig zum Greenwashing eingesetzt. Schlimmer noch: sie verzögerten echte Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen und schadeten damit dem Klima. Außerdem bestehe die Gefahr, dass Offset-Projekte zu Landkonflikten und Landraub führen und die Rechte der indigenen und örtlichen Bevölkerung missachten.
Zudem geht es um globale Gerechtigkeit: Die Menschen in Gebieten für Ausgleich-Projekte, die zu einem großen Teil im globalen Süden leben, verursachen selbst kaum Emissionen, tragen also wenig zur Klimakrise bei. Sie erleiden jedoch beim Ausgleich von Emissionen, die im globalen Norden entstehen, häufig Einschränkungen ihrer Lebensgrundlage, etwa weil sie Wälder nicht wie zuvor nutzen dürfen.
Gibt es bessere Alternativen?
Ja, die gibt es.
Carbon Credits und Offset-Modelle lenken von echten Lösungen zum Schutz von Klima und Wäldern ab und ermöglichen ein business-as-usual. Sie gaukeln uns vor, „net zero“ sei so wertvoll wie „real zero“. Stattdessen müssen wir Klimaschutz konsequent vorantreiben und insbesondere aus fossilen Energieträgern aussteigen. Das muss mit dem Schutz der Biodiversität vereinbar sein, global gerecht sein und die Menschenrechte beachten.
Nehmen wir das Beispiel Fliegen: Die Airlines bauen womöglich auf Ihr schlechtes Gewissen, weil Sie fliegen (müssen), obwohl Sie von den Folgen für das Klima wissen, und bieten Ihnen das Bezahlen von Offset-Projekten an. Man kann das als „Ablass-Handel“ interpretieren. Mit nur wenigen Euro können Sie den Flug „klima-neutral“ machen – was er selbstverständlich nicht ist.
Sie können aber etwas tun, um nicht vermeidbare Emissionen „auszugleichen“: Prüfen Sie, ob Sie an anderer Stellen Emissionen vermeiden können. Dazu mag gehören, weniger oder kein Fleisch und Milchprodukte zu konsumieren. Sie können auch Produkte meiden, die aus Regenwaldgebieten stammen, beispielsweise Dinge aus Tropenholz. Oder Sie verzichten, wenn möglich, auf ein eigenes Auto.
Weil Regenwälder eine zentrale Rolle im globalen Klima spielen und für ihre Bewahrung viel Geld nötig ist, können Sie Projekte zum Schutz der Wälder direkter finanziell unterstützen, ohne den Umweg über oft zweifelhafte Ausgleichszahlungen. Dazu legen wir Ihnen Spendenprojekte von Rettet den Regenwald ans Herz.
Für den Schutz der Wälder - die zudem mehr sind als Kohlenstoffspeicher und Klimaretter - müssen auf anderen Wegen Geld zur Verfügung gestellt werden. Quellen können ein Preis auf Emissionen, die Umleitung klimaschädlicher Subventionen und eine Steuer auf Finanztransaktionen sein. Unabdingbar ist, die wahren Ursachen der Entwaldung und Walddegradation zu bekämpfen: darunter sind industrielle Landwirtschaft mit Plantagen und Rinderweiden, Bergbau, Erdölprojekte und Holzeinschlag.
machen es möglich.Einige deutschsprachige Medien haben Reportagen und Reports zum Thema veröffentlicht:
Das ZDF: Greenwashing mit CO2-Zertifikaten am Beispiel eines zweifelhaften Waldschutzprojekts in Brasilien, für das Zertifikate verkauft wurden. Als Filmbeitrag hier.
Das schweizer Fernsehen SRF: Klimahandel: Guten Flug
Deutsche Welle: CO2-Kompensation - echte Klimalösung oder fauler Trick?
Flug „klima-neutral“So behauptet Delta Airlines, wegen des Kaufs von zig Millionen Emissionszertifikaten klimaneutral zu sein – und führt weiterhin täglich 4.000 das Klima belastende Flüge durch.
Im Mai 2023 wurde die Airline in den USA wegen der Behauptung verklagt, unter anderem durch den Kauf von Carbon Credits bis 2050 "klimaneutral" zu werden. Der Rechtsanwalt Krikor Kouyoumdjian, der die Kläger vertritt, sagte laut The Guardian:
"Wenn Unternehmen sagen: 'Macht euch keine Sorgen um unsere Emissionen, sie sind in Ordnung', dann vermitteln sie damit ein Gefühl der Zufriedenheit. Sie lassen die Verbraucher dafür zahlen, dass sie sich besser fühlen und sich keine Gedanken über die Auswirkungen ihres Konsums machen müssen. Aber das ist kontrafaktisch und entspricht nicht der Realität. Das ist nichts, was man einfach wegzahlen kann."
Delta hat bei Gericht beantragt, die Klage zu verwerfen.