Die indonesische Provinz Aceh war schon vor der Flutwelle gebeutelt. Langfristig brauchen die Überlebenden einen nachhaltigen Schutz der Naturresourcen
„Eines Tages trafen wir zufällig auf Soldaten, die gerade ein paar Männern befahlen, Bäume zu fällen. Ich hatte Angst und zog meinen Freund weg, aber er wollte bleiben. Er protestierte bei den Militärs und sagte ihnen, sie sollten die Bäume stehen lassen. Die Soldaten wurden sehr böse. Zwei Monate später ist mein Freund spurlos verschwunden.“
Die Aussage stammt von einem Indonesier, der aus Angst vor Repressalien anonym bleiben möchte. Die Szene ereignete sich in Aceh ganz im Norden von Sumatra. Aceh, das ist gleichbedeutend mit Bürgerkrieg, bitterer Armut, Menschenrechtsverletzung und Regenwaldvernichtung.
Die Provinz Aceh ist eine Schatzkammer voll mit natürlichen Reichtümern, die in rasantem Tempo geplündert wird. Für den schnellen Profit beuten Holz- und Papierkonzerne die Regenwälder aus – im Namen des wirtschaftlichen „Fortschritts“. Aceh ist gleichzeitigSchauplatz eines blutigen Krieges zwischen der indonesischen Armee und der Rebellenbewegung Free Aceh Movement. Als hätten Naturzerstörung und Krieg nicht schon genug Leid über die Bevölkerung gebracht, schlug jetzt auch noch die Flutwelle so heftig wie sonst nirgendwo zu.
Schon lange vor der Tsunami-Katastrophe waren viele Menschen in Aceh von Erdrutschen und Überschwemmungen bedroht, Folge des Raubbaus an den Wäldern, mit dem das Militär seinen Krieg finanziert. Zuletzt Anfang 2004 mussten Tausende von Menschen fliehen, als es nach heftigen Regenfällen in den Kahlschlaggebieten zu verheerenden Überflutungen kam. Umweltzerstörung, Bürgerkrieg und Korruption haben gemeinsam dazu geführt, das der Großteil von Acehs Bevölkerung in bitterer Armut lebt, obwohl die Region reich an Ressourcen ist. Nach UN-Angaben verdoppelte sich die Zahl der Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, seit 1999.
Die seit Jahren fortschreitende Umweltzerstörung hat Indonesien in eine tiefe ökologische Krise gestürzt. Mit 3,8 Millionen Hektar ist die jährliche Entwaldungsrate weltweit die höchste. Die Weltbank warnte bereits, Sumatras Flachland-Regenwälder würden außerhalb geschützter Gebiete 2006 verschwunden sein.
Millionen brauchen den Wald
Bis heute fallen Indonesiens Regenwälder der Produktion von Holz, Zellstoff und Palmöl zum Opfer, Produkte, die überwiegend in die Industrieländer exportiert werden. Dazu kommt die Zerstörung durch Öl- und Gasausbeutung, Straßenbau und Industrieansiedlungen. Die Profite wandern zu den Investoren, die sozialen und ökologischen Schäden müssen die einfachen Menschen tragen.
Schätzungsweise 40 bis 65 Millionen Indigene sind auf die artenreichen Regenwälder direkt als Lebensgrundlage angewiesen. Insgesamt rund 100 Millionen Menschen in Indonesien brauchen die Wälder zur Trinkwassergewinnung, als Schutz vor Überschwemmungen und Erosion.
In Aceh waren von den knapp 5,7 Millionen Hektar ursprünglich 4,1 Millionen Hektar bewaldet. Seit Anfang der 90er Jahre wurden etwa 1,5 Millionen Hektar zerstört. Mittlerweile beträgt die jährliche Entwaldungsrate in der Provinz rund 270.000 Hektar. Illegalen Holzeinschlag gibt es vor allem in den Distrikten Southeast Aceh, Singkil, South Aceh and Central Aceh – fast alles Gebiete, die zum Leuse Nationalpark gehören. Die Stämme und das geschnittene Holz werden nach Malaysia, Indien oder China geschmuggelt. Die indonesische Umweltorganisation SKEPHI schätzt, dass dem Staat durch illegalen Holzeinschlag zwischen 1999 und 2004 4,25 Milliarden Dollar an Einnahmen entgingen.
Geschäfte mit den Regenwaldvernichtern auf Sumatra machen auch deutsche Unternehmen und Banken. Der indonesische Konzern APRIL hat für seine Zellstoffproduktion bereits mindestens 300.000 Hektar Regenwald auf Sumatra zerstört und dabei viele Menschen von ihrem angestammten Land vertrieben. Bis heute führt der Konzern seinen Vernichtungsfeldzug gegen die Regenwälder in mehreren asiatischen Ländern fort. Seit 1997 kooperiert APRIL eng mit dem finnischen Papierriesen UPM-Kymmene, zu dem auch die emsländische Nordland Papier GmbH gehört, größte Feinpapierfabrik in Europa.
Trotz anhaltender Kritik an APRIL macht auch das Hamburger Großhandelsunternehmen Papier Union weiter Geschäft mit dem Raubbau- Konzern, statt auf Produkte aus Regenwaldzerstörung zu verzichten. Die Papier Union werde „auch zukünftig an einer Begleitung von APRIL in Form des kritischen und fordernden Dialogs festhalten“, sagt David Wischmann, Marketingleiter von Papier Union.
Dabei haben verschiedene wissenschaftliche Studien nachgewiesen, dass Indonesiens Regenwälder auf dem Sterbebett liegen. Hauptgrund ist die explosionsartige Ausbreitung der häufig kriminell arbeitenden Papier- und Palmölindustrie. Von dort führt eine Spur direkt nach Berlin und in die Bankenmetropole Frankfurt. Die beiden indonesischen Boombranchen wurden mit Millionen schweren Krediten auch von deutschen Geldinstituten gepusht. Und selbst die rot-grüne Bundesregierung förderte die Entwicklung mit so genannten Hermes- Bürgschaften.
Die Kanzler-Millionen
Die Tsunami-Katastrophe hat die Lage in Aceh dramatisch verschärft. Lange Zeit noch sind die Menschen auf Nothilfe angewiesen. Langfristig aber brauchen sie eine nachhaltige Lebensperspektive. Die von Kanzler Schröder
zugesagten 500 Millionen Euro für den Wiederaufbau sind zu einem großen Teil für Aceh bestimmt. Wir fordern, die Mittel ausschließlich für ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltige Projekte vor allem in den Bereichen Bildung, Umweltschutz, Arbeit, Menschen- und Frauenrechte und Demokratie einzusetzen. Parallel muss die Bundesregierung Indonesien Schulden erlassen gegen die Auflage, die eingesparten Mittel in der Landeswährung zum Schutz der natürlichen Ressourcen einzusetzen. Dazu gehört auch die Finanzierung eines effektiven Kontrollsystems zur Rettung des Leuser-Ökosystems über die Bezahlung von Parkrangern mit einer funktionierenden Ausrüstung.
Eine nachhaltige Entwicklung in Aceh kann es nur geben, wenn der Bürgerkrieg beendet wird. Wir fordern von der Bundesregierung, gemeinsam mit den EU-Partnern eine entsprechende diplomatische Offensive zu starten.
Leuser Nationalpark im Spinnennetz
„Ladia Galaska“ heißt ein neues Projekt der Provinzregierung, mit dem 1.500 Kilometer Asphaltpisten gebaut werden sollen. Das umfangreiche Straßennetz soll den Pazifischen Ozean mit der Straße von Malakka und den Norden Acehs mit dem unzugänglichen Süden verbinden. Im Volksmund werden die Pläne „Spinnennetz“ genannt. Die Straßen würden kreuz und quer durch Aceh führen und den Leuser Nationalpark durchschneiden.
Das 2,6 Millionen Hektar große Leuser-Ökosystem erstreckt sich vom südöstlichen Aceh (80 Prozent der Gesamtfläche) bis in die Provinz Nord Sumatra. Herzstück ist der 800.000 Hektar große Gunung Leuser Nationalpark, der im Juli 2004 zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Der Park gehört zu den artenreichsten Gebieten der Welt. Seine ökologischen „Dienstleistungen“ wie der Schutz von Wassereinzugsgebieten oder die Lieferung von Süßwasserfischen haben einen jährlichen Wert von 200 Millionen Dollar. Leuser ist auch Heimat der von Ausrottung bedrohten Orang Utans und der Sumatra-Tiger und letzter Lebensraum für die Pflanzen mit den größten Blüten der Welt, die Rafflesia.