Regenwald Report 04/2020 · Schwerpunktthema: Tropischer Regenwald
Erhabenheit des Waldes spüren
Historische Reiseberichte aus den Regenwäldern sind voller ehrfürchtiger Naturbeschreibungen. Doch in der heutigen Zeit dominieren Berichte über Zerstörung und Industrie-Plantagen. Fast könnte man vergessen: Es gibt ihn noch, den Regenwald mit seiner großen Faszination.
Die südostasiatische Insel Sumatra ist der Inbegriff für tropischen Regenwald. Sie steht für Baumriesen und Lianen, Orchideen und fleischfressende Pflanzen. Hier leben Orang-Utans und Tiger, Hornvögel und Schlangen. Es gibt hohe Berge, Wasserfälle und Sümpfe. Menschen aus unterschiedlichen Volksgruppen und Kulturen haben hier ihre Heimat.
In ihrem Reisetagebuch „Abenteuer Inselwelt“ beschreibt Ida Pfeiffer ihre Eindrücke und Erlebnisse, als sie vor 170 Jahren als erste Weiße die Region durchquerte. Die Insel Sumatra war ihr größtes Wagnis und Höhepunkt ihrer Reise. Zu Fuß und mit Pferd gelangte sie trotz zahlreicher Warnungen von der Westküste bis zum Land der Batak am Tobasee. „Überall gab es häufige Spuren von Elefantentritten und Tigerklauen. Sumatra ist an Tigern sehr reich“, schreibt sie. Die Schönheit und Erhabenheit der Wälder im Landesinneren und der reichen Natur faszinierten sie. Zu Pfeiffers Zeiten war der Tobasee der Außenwelt unbekannt und Sumatra fast ganz von Wald bedeckt. Wenn wir heute von Abholzung, Waldbränden, von Mega-Plantagen für Palmöl und Papier, von Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Tsunamis lesen, fragen wir uns zu Recht: Gibt es diese Orte der Bewunderung und Faszination heute noch?
Der Wald am Horizont
Fakt ist: Der Tieflandregenwald ist fast verschwunden. Stattdessen herrschen Plantagen vor. Stundenlang fährt man durch eintönige Monokulturen, bevor sich endlich die mächtigen Wälder des Landesinnern am Horizont erheben. Nördlich des Tobasees, umgeben von Baumriesen und Lianen, hört man Insekten summen, einen Hornvogel rufen und, nicht weit entfernt, schrille Schreie einer Affenhorde. Plötzlich schwingt ein Orang-Utan mit seinem rotbraunen Fell von Ast zu Ast. Hier beginnt das Leuser-Ökosystem und das ist wahrhaft einzigartig.
Es ist der einzige Ort auf der Erde, an dem die bedrohten Großsäuger Orang-Utan, Tiger, Elefant und Nashorn ihre letzte Zuflucht finden. Am Rand des Leuser-Ökosystems gehören Orang-Utans sogar zum Alltag. Sie sind an Menschen gewöhnt und halb domestiziert, denn viele von ihnen stammen aus den Auffangstationen der Umgebung.
Rückzugsgebiet für unzählige Tiere
Weiter im Inneren leben andere Gruppen: wilde Affen, die den Kontakt mit Menschen eher scheuen. Das geschulte Auge aber findet sie auf bestimmten Bäumen, dessen Früchte die Menschenaffen lieben. Und wer Geduld hat und den Blick nach unten richtet, trifft auf die Fährten von Malaienbären, Hirschen, Wildschweinen und vielleicht auch auf Tigerklauen und Elefantentritte. Begegnungen mit Tigern sind selten. Sie meiden die Menschen. Elefanten aber können gefährlich sein, besonders wenn sie schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht haben.
Südlich des Tobasees, nur 200 Kilometer vom Leuser-Ökosystem entfernt, liegt ein verwunschen wirkender Wald, der auch für Evolutionsbiologen von großem Interesse ist. Im Batang-Toru-Wald leben Orang-Utans, doch sie gleichen denen im Norden nicht. Die Tapanuli-Orang-Utans sind genetisch nicht mit den Sumatra-Orang-Utans verwandt. Sie sind eine eigene Art, doch das wissen wir erst seit drei Jahren.
Sumatra ist, dank der erhaltenen Waldinseln, bis heute ein Ort, an dem sich die Schönheit des tropischen Regenwalds erleben lässt. Solche Orte sind heute oft der letzte Zufluchtsort vieler Pflanzen und Tiere. Diese Orte sind unsere Hoffnung und erinnern uns daran, was es zu schützen gilt.
Interview
Wir schützen das Weltnaturerbe
Der tropische Regenwald von Sumatra ist ein Juwel der Artenvielfalt. Das Forum Konservasi Leuser (FKL) hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Leuser-Ökosystem zu bewahren. FKL-Gründer Rudi Putra spricht über den Schutz der bedrohten Großsäuger und den Kampf gegen die Zerstörung.
Herr Putra, was zeichnet die Regenwälder Sumatras aus?
Eine außergewöhnliche Artenvielfalt mit mehr als 10.000 Pflanzen-, 580 Vogel- und 200 Säugetierarten, davon viele endemisch. Wegen der Artenvielfalt und der bedrohten Tierwelt gehören die Nationalparks Leuser, Kerinci Seblat und Bukit Barisan Selatan zum Unesco-Weltnaturerbe „Tropischer Regenwald von Sumatra“. In den Gebirgen und Nationalparks gibt es noch intakten Regenwald. Aber auch dort haben wir Waldverluste zu beklagen.
Können die Sumatra-Elefanten noch überleben?
Die Jagd auf Elfenbein ist ein Problem. Elefanten folgen ihren alten Wanderwegen – und stoßen auf Plantagen, Siedlungen und Straßen. Immer wieder finden wir dort getötete Elefanten. Um die Kontakte mit Menschen zu durchbrechen, bauen wir Gräben und pflanzen Bäume, die die Elefanten nicht mögen. Grundsätzlich sind alle Großsäuger Sumatras stark bedroht, der Tiger ebenso wie der Elefant. Dem Aussterben nahe ist das Sumatra-Nashorn und der Tapanuli-Orang-Utan. Meine Liebe gilt dem Nashorn, ich werde es schützen, solange ich lebe.
Was erschwert Ihre Arbeit zum Schutz des Leuser-Ökosystems?
Einerseits stecken hinter illegalen Aktivitäten oft Polizei, Militär oder Politiker. Andererseits brauchen wir die Behörden. Das macht es nicht leicht.
Können Sie das Leuser-Ökosystem wirksam schützen?
Wir konnten die Abholzung bremsen, aber nicht stoppen. Holzeinschlag und Wilderei können wir eindämmen, Straßenbau verhindern. Bis 2018 haben wir pro Jahr noch zwischen 15.000 und 21.000 Hektar Wald verloren. 2019 waren es 5.300 Hektar. 2020 wird die Waldzerstörung wegen der Pandemie leider höher sein. Wir rechnen mit 7.000 Hektar.
Aktiv werden! Helfen Sie mit
Ihre Spende zum Schutz von Sumatras Regenwäldern
Wilderei und Holzeinschlag konnten im Leuser-Ökosystem dank zweier Ranger-Teams unseres Partners FKL stark reduziert werden. Unterstützen Sie die Arbeit der Ranger, die wegen der Covid-19-Pandemie unter erschwerten Bedingungen arbeiten.
Spenden über unser Formular auf der Heft-Rückseite oder online:
www.regenwald.org/rr028