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Regenwald Report 03/2023 · Tansania

Massai-Land für immer

Gruppe Massai-Männer sitzt im Gras, gekleidet in bunte Decken Die Massai haben Angst vor Repressalien. Wir treffen sie deshalb außerhalb ihre Dorfes. Sie wollen über ihre Verbundenheit mit dem Land und über die Vertreibung reden (© RdR/Mathias Rittgerott)

In Tansania liegen einige der berühmtesten Schutzgebiete der Erde – wie die Serengeti und der Ngorongoro Krater. Das Volk der Massai lebt dort seit Generationen. Um den Tourismus zu fördern, will die Regierung insgesamt 190.000 Menschen vertreiben.

In der Abenddämmerung schreitet eine Giraffe gemächlich durch das Dorf Ololosokwan. Sie schenkt den Hirten keine Aufmerksamkeit, die wenige Meter entfernt ihre Ziegen für die Nacht in den Kraal treiben. Auch das fröhliche Geplapper der Kinder ignoriert sie. Das wilde Tier schlendert weiter. Giraffen und das Volk der Massai leben hier seit Menschengedenken miteinander.

Ololosokwan liegt am Rande der weltberühmten Serengeti. Ein wenig außerhalb des Ortes verbirgt sich eine Lodge, von der Touristinnen und Touristen morgens zur Safari aufbrechen. Abends erzählen sie von den Löwen, den Elefantenfamilien und Zebraherden, die sie auf ihrer Tour beobachtet haben.

Karte Tansania Tansania-Karte mit Lupe auf dem Loliondo-Schutzgebiet (© Rettet den Regenwald e.V.)

Die Massai verlieren ihre Weideflächen – zugunsten reicher Großwildjäger

Es scheint eine heile Welt zu sein, in der Massai für Naturbegeisterte aus aller Welt traditionelle Willkommenslieder singen und Tänze vorführen. Doch das Drama, das sich dort abspielt, bleibt ihnen verborgen: 70.000 Massai fürchten die Vertreibung aus dem Touristen-Paradies.

Rund um Ololosokwan erstreckt sich das Wildschutzgebiet „Loliondo Game Controlled Area“. Dieses Reservat soll wilden Tieren einen Lebensraum bieten – damit dort reiche Großwildjäger wie einst die Kolonialherren auf Pirsch gehen können. Den Jagdgesellschaften sind die Massai mit ihren Herden seit Langem ein Dorn im Auge.

Zebraherde unter einem Baum, umgeben von gelbem Grasland Zebraherden prägen das Massai-Land (© RdR/Mathias Rittgerott)

Als die Regierung den Schutzstatus für 1.500 Quadratkilometer Land in Loliondo verschärfte, indem sie das Weiden von Rindern und Ziegen verbot – auch um den Jagdtourismus attraktiver zu machen –, eskalierte der Konflikt. Ohne das Land sahen sich die Einheimischen ihrer Lebensgrundlage beraubt und leisteten Widerstand. Am 10. Juni 2022 schossen Sicherheitskräfte scharf. Mehrere Menschen wurden verletzt, ein 86-Jähriger ist seither verschwunden, wahrscheinlich tot. Auch ein Polizist kam ums Leben. Viele Massai flohen ins benachbarte Kenia.

Ein alter Mann erzählt verbittert, wie er in den 1950er-Jahren als Junge seinem Vater half, ihre Rinder aus der Serengeti hierher zu treiben. Damals mussten sie dem neuen Nationalpark weichen. „Wir glaubten dem Versprechen der Regierung, Loliondo sei Massai-Land für immer“, sagt er. Doch jetzt werden sie von dort vertrieben. Sein Volk, seine Söhne würden um ihre Zukunft betrogen.

Tierwanderung durch den Ngorongoro Krater Die großen Tierwanderungen in der Serengeti führen auch durch den Ngorongoro Krater. So sieht man dort Gnus und Zebras (Foto), Büffel und Antilopen (© Travel Stock/Shutterstock.com)

Dass Nationalparks und andere Reservate dazu beitragen können, die Natur und damit Lebensräume vieler Tiere und Pflanzen zu bewahren, ist unbestritten. Wenn es in einem Areal untersagt ist, Landwirtschaft zu betreiben, nach Rohstoffen zu graben, Bäume zu fällen oder zu jagen, nützt das häufig ungezählten Arten. 

Doch insbesondere in Afrika hat sich so- genannter Festungsnaturschutz etabliert. Er beruht auf der Idee, dass Menschen und Natur rigoros getrennt werden müssen, um angeblich „unberührte Natur“ zu bewahren. Für Einheimische bleibt da kein Platz.

Mit ihrer Lebensweise sind die Massai die Hüter der Natur – nicht ihre Zerstörer

Der Massai-Führer Yannick Ndoinyo fordert, Naturschutz endlich von diesen Wurzeln zu lösen und zu dekolonialisieren. Denn Indigene seien keine Gefahr für Löwen, Giraffen und Elefanten. „Massai haben exakt dieses Land für ihren Lebensunterhalt, für ihre Kultur und
für die wilden Tiere erhalten“, sagt der Aktivist der Organisation TEST und Partner von Rettet den Regenwald. Jagd sei für sein Volk tabu. Festungsnaturschutz erkläre somit die Hüter der Natur zu deren Zerstörer.

Frauen und Männer der Massai in bunten Tüchern auf einem Markt, eine Frau schaut in die Kamera Tiermarkt im Hinterland: Die Massai tragen ihre typische Kleidung und Schmuck auch im Alltag (© RdR/Mathias Rittgerott)

Eine Tagesreise mit dem Geländewagen über holprige Pisten von Loliondo entfernt liegt der Eingang zum Ngorongoro Krater. Die Landschaft unterwegs ist atemberaubend und karg, nur hin und wieder passiert man einsame Dörfer und begegnet Massai-Hirten. Plötzlich herrscht dichter Verkehr, ein Safari-Toyota folgt dem anderen. Die Ngorongoro Conservation Area lockt jährlich Hunderttausende Besucherinnen und Besucher aus aller Welt an. Doch auch hier spielt sich eine Tragödie ab.

Sie begann mit einem Report der Unesco, die den Krater und sein Umland 1979 zum Welterbe erklärt hatte. Wegen eines Straßenbauprojekts, des Touristenansturms und des Bevölkerungswachstums gebe der Zustand des Gebiets Anlass zur Sorge, so der Report. Tansanias Regierung reagierte mit dem Plan, nach aktuellen Schätzungen weitere 120.000 Massai zu vertreiben. Ihre Weiderechte wurden eingeschränkt, damit sie die Region mangels Lebensgrundlage verlassen. „Wenn man uns das Land und die Rinder wegnimmt, nimmt man uns die Zukunft“, betonen die Massai, die sich außerhalb des Dorfes Endulen versammelt haben. Die Männer und Frauen beklagen, dass die Regierung ihnen das Leben von Tag zu Tag schwerer mache. So gebe es im örtlichen Krankenhaus weniger Ärzte als früher.

2 Spitzmaulnashorn-Erwachsene mit einem Jungen Spitzmaulnashörner sind in der Wildnis vom Aussterben bedroht. Gut 6.000 Tiere soll es noch geben (© manthaphoto/istockphoto.com)

Im Dorf Irkeepusi, das wegen Folklorevorführungen bei Touristen und Touristinnen beliebt ist, erklärt der Lehrer und Ortsvorsteher Kajita Kakelio, dass die Regierung kaum noch Geld für die Schulen schicke. „Sie wollen uns durch schlechtere Bildung zwingen, wegzuziehen“, sagt er. 

Wenige Kilometer entfernt kann man besichtigen, was Kajita Kakelio meint. Häuser, die ein Sturm vor einigen Monaten abgedeckt hat, stehen ohne Dächer da. Es sei verboten, Baumaterial in das Schutzgebiet zu bringen. Daher gebe es in der Schule keine Klotüren. Dass Kinder unter Festungsnaturschutz leiden, breche ihm das Herz.

Während eines Interviews drücken sich keine 100 Meter entfernt zwei Giraffen durchs Dickicht. Als wollten sie beweisen: „Wir haben keine Angst vor euch Massai. Wir sind Freunde.“

Massai mit Ziegenherde auf einem Weg durch lichten Wald Massai sind ein Hirtenvolk. Der Regen- und Trockenzeit folgend, treiben sie ihre Herden in unterschiedliche Weidegründe. Viele leiden unter der Verkleinerung dieser Gebiete und unter der anhaltenden Dürre (© RdR/Mathias Rittgerott)

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Tansanias Ngorongoro Krater und die Serengeti sind wegen ihrer Tierwelt berühmt und als Heimat der Massai bekannt. Um den Tourismus zu fördern, will die Regierung den Schutz der Gebiete verschärfen – und arbeitet an der Vertreibung von insgesamt 190.000 Menschen. Die Pläne verstoßen gegen die Menschenrechte und helfen dem Schutz der Natur nicht.

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» Stoppen Sie die Vertreibung der Massai im Namen des Naturschutzes

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