Regenwald Report 01/2022 · Schwerpunktthema: Kongo
Kongo – Armes reiches Land!
Die Regenwälder am Kongo spielen eine Schlüsselrolle bei der Bewahrung der Artenvielfalt und des Weltklimas. In der Demokratischen Republik Kongo liegen die zweitgrößten Dschungelflächen der Welt. Hier arbeiten engagierte Partnerorganisationen von Rettet den Regenwald unter schwierigen Bedingungen.
Die Narbe auf Bonanés Nase ist verheilt, aber gut sichtbar. Die tiefe Furche ist das Erkennungsmerkmal des Gorillas und zeugt von einem Kampf, den er vor einiger Zeit gewonnen hatte. Jetzt sitzt er in der Morgensonne, reißt Bambus aus dem Boden und knabbert es genüsslich. Den Rangern in seiner Nähe schenkt er keine Beachtung.
Doch das friedliche Bild täuscht: Nicht nur Bonané hat in den vergangenen Jahren hier im Osten der Demokratischen Republik Kongo Verletzungen davongetragen. Als die Regierung für den Schutz der Gorillas den Kahuzi-Biega Nationalpark gegründet hat, wurden die Rechte der indigenen Pygmäen mit Füßen getreten. Die Batwa lebten in den Wäldern, teilten ihn mit Gorillas, und wurden von dort vertrieben. Ihre Narben schmerzen weiterhin.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie es gelingt, die Natur zu schützen und zugleich die Rechte der Indigenen zu wahren? Die Gemengelage ist komplex, verworren und kaum zu durchschauen.
Die Östlichen Flachlandgorillas spielen eine Rolle, lokale und internationale Umweltschützer, die Nationalparkbehörde und ihre bewaffneten Ranger, die Armee und Milizen, die Regierung des Kongo und Geldgeber wie die deutsche Bundesregierung, die Unesco mit ihrem Welterbe – und eben die Pygmäen. Die Region ist geprägt von Gewalt und Armut, zugleich gesegnet mit Artenreichtum sondergleichen.
Unvorstellbare Artenvielfalt
Das Kongobecken beherbergt das zweitgrößte Regenwaldgebiet der Erde und wird allein von Amazonien übertroffen. Mehr als 600 Baumarten wachsen hier, 450 Spezies von Säugetieren haben hier ihren Lebensraum, hinzu kommen 1.000 Arten Schmetterlinge, 1.200 Vogelarten, bei Fischen sind es 700. Wenn der Schutz des Kongobeckens gelingt, hat die Bewahrung der Artenvielfalt und des Weltklimas Aussicht auf Erfolg. Der Demokratischen Republik Kongo kommt dabei besondere Verantwortung zu. Die gute Nachricht: Riesige Gebiete sind weitgehend intakt.
Der Kahuzi-Biega Nationalpark in der Nähe der Provinzhauptstadt Bukavu ist einer der wenigen Orte auf der Welt, an dem Touristen Gorillas in der Natur beobachten können. Einige Tierfamilien wurden dazu an die Anwesenheit von Menschen gewöhnt. Vom Eingang des Parks führen Ranger kleine Besuchergruppen zu ihnen; an diesem Tag ein Marsch von 45 Minuten. Beim Anblick der Primaten werden alle ganz still und flüstern allenfalls. Die Verlockung ist groß, diesen Moment mit möglichst vielen Fotos festzuhalten. Doch wer einfach nur zuschaut, spürt, wie eng die Verbundenheit zwischen Mensch und Gorilla ist. Nach exakt einer Stunde drängen die Ranger zur Rückkehr. Die Besuchszeiten sind streng limitiert.
„Wir müssen es hinbekommen, den Wald zu bewahren, schlicht, weil es ihn gibt“, sagt Dominique Bikaba nach der Wanderung. Alles andere ist für ihn undenkbar. Bikaba ist Chef der Umweltschutzorganisation Strong Roots in Bukavu. Er ist in einem Dorf am Rande des heutigen Nationalparks aufgewachsen – für dessen Gründung seine Großeltern ihre Heimat verloren. Er erzählt, wie er als Kind mit seiner Oma im Wald Früchte gesammelt und mit den Pygmäen-Kindern im Nachbardorf gespielt hat. „Ich bin mit dem Herzen ein Pygmäe“, sagt der stämmige Mann, und man spürt diese Verbundenheit beim Besuch im Dorf. Ohne Berührungsängste reden die Bewohner Tacheles.
Den Wald als Lebensgrundlage verloren
„Seht, in welcher Armut wir leben“, sagt der Ortsvorsteher Pierre Nyamishi. Früher durchstreiften sie als Halbnomaden den Wald, ohne ihn zu zerstören. Jetzt sind sie dazu gezwungen, sesshaft zu sein. Es gibt in der Siedlung keinen Strom, aus dem Brunnen tröpfelt das Wasser allenfalls, die Teeplantagen ringsum gehören ihnen nicht. „Der Nationalpark beschneidet unsere Lebensgrundlage.“ Jobs im Park haben sie keine bekommen und das Geld der Touristen geht an ihnen vorbei.
Dominique Bikaba hat den Kongo als junger Mann verlassen, hat in Oxford und Yale studiert und ist nach Bukavu zurückgekehrt, um sich für die Natur und die Menschen in seiner Heimat einzusetzen. Für ihn geht es dabei um mehr als Ökosysteme und Habitate, sondern um eine ganzheitliche Sicht, die indigenes Wissen einbezieht: „Wir müssen den Wald als kulturelles Erbe bewahren, nicht allein als Natur.“
Einer erschreckenden Studie der Minority Rights Group zufolge wurden zwischen Juli 2019 und Dezember 2021 mindestens 20 Batwa bei gemeinsamen Angriffen der Armee und von Parkrangern getötet. Dörfern wurden dabei mit schweren Waffen angegriffen, zwei Kinder in Hütten lebendig verbrannt, 15 Frauen vergewaltigt, Leichen geschändet. Die deutsche Bundesregierung, die den Park seit vielen Jahren finanziell unterstützt, hat eine unabhängige Untersuchung der Vorwürfe angekündigt. (Dieser Absatz wurde nach Erscheinen des Regenwald Reports aktualisiert).
Bollwerk gegen Ausbeutung
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Josué Aruna. Er ist Vorsitzender des Netzwerks Congo Basin Conservation Society und wie Dominique Bikaba seit 2018 ein Partner von Rettet den Regenwald. Damals haben die beiden gemeinsam Alarm geschlagen, als die kanadische Firma Banro mit dem Hubschrauber in das Schutzgebiet Itombwe eindrang, um nach Gold zu suchen. Itombwe ist wie der Kahuzi-Biega Nationalpark von dichtem Regenwald überzogen und bietet Gorillas einen Lebensraum. „Die Firma hat einen Rückzieher gemacht. Wegen unserer gemeinsamen Kampagne!“, sagt Josué Aruna stolz. Mehr als 210.000 Unterstützer hatten die Petition unterschrieben.
Der Bergbau bereitet ihm weiterhin große Sorgen. Kürzlich wurden vielversprechende Lagerstätten von Kassiterit, dem Rohstoff für die Zinngewinnung, entdeckt; die Goldvorkommen sind kein Geheimnis. „Wir müssen die dortigen Gemeinden als Bollwerk gegen die Ausbeutung der Region durch Bergbau-Firmen stärken“, ist der Aktivist überzeugt.
Josué Aruna ist ein positiver Mensch und würde seine Begeisterung für die Schönheit der Natur gern mit Öko-Touristen teilen, die leider derzeit ausbleiben. „Wir haben schließlich mehr als Gorillas zu bieten“, sagt er verschmitzt. Flusspferde im Tanganyika-See und im Rusizi beispielsweise. Diese Tiere liegen ihm besonders am Herzen.
„Kivu-Prinzessin“ heißt das Schnellboot, das die Städte Bukavu und Goma verbindet. Drei Stunden dauert die Fahrt über den Kivu-See, der auch die Grenze zu Ruanda markiert. Goma macht hin und wieder weltweit Schlagzeilen. Zuletzt, als am 22. Mai 2021 der Vulkan Nyiragongo ausbrach und sich ein Lavastrom den Weg durch die wenige Kilometer entfernte Stadt bahnte. Tausende Menschen haben ihre Häuser und alles verloren, was sie besaßen.
François Biloko erinnert sich mit Schaudern daran, wie in der Bevölkerung Panik ausbrach und Hunderttausende aus der Stadt flohen. „Vor allem wegen der Erdbeben.“ Die Angst war groß, dass Methan vom Grund des Kivu-Sees aufsteigen könnte – mit tödlichen Folgen. Die Stromversorgung, die sowieso im Argen liegt, brach zusammen, ebenso die Wasserversorgung. „Unsere Mitarbeiter kamen glücklicherweise glimpflich davon“, sagt der Chef der Organisation Réseau CREF. Er ist dankbar für die Notfall-Unterstützung von Rettet den Regenwald. Ein großer Teil der Spenden wurde für Lebensmittel ausgegeben, ein anderer Teil für Wassertanks, von denen zahlreiche Nachbarfamilien profitieren.
Einheimische müssen von Parks profitieren
Der Nyiragongo steht beileibe nicht allein für Gefahr, sondern zugleich für einen einzigartigen Naturschatz: Der 3.470 Meter hohe Berg ist Teil des Virunga Nationalparks, des ältesten seiner Art in Afrika. Wer das Massiv erklimmt, kann in den weltgrößten Lavasee blicken. Die meisten Besucher kommen wegen der Berggorillas ins Welterbe-Gebiet der Unesco.
Wie im Kahuzi-Biega Nationalpark sind hier einige Gruppen an die Anwesenheit von Menschen gewöhnt. Doch die Idylle beim Beobachten der Gorillas trügt. Die Ranger sind schwer bewaffnet. Im Nationalpark sind Milizen und Wilderer aktiv, regelmäßig kommt es zu Schießereien, bei denen Ranger getötet werden.
François Biloko sieht eine ganz andere Bedrohung für den Park, die weder von Bewaffneten noch von illegal arbeitenden Köhlern ausgeht. Es ist das „Big Business“. Kongos Regierung hat ausgerechnet im Schutzgebiet Konzessionen für Erdöl vergeben. Biloko befürchtet, dass Dorfbewohner auf Versprechen der Industrie reinfallen, das zu liefern, was der Nationalpark verhindere: Einkommen, zuverlässigen Strom, ein besseres Leben. Um die Menschen für die Gefahren zu sensibilisieren, organisiert Réseau CREF Workshops. Heute ist das Team in der Klein-stadt Kanya Bayonga. Im ersten Stock eines Hauses haben sich rund 25 Vertreter kleiner Organisationen versammelt. Einige unterstützen beispielsweise Fischer am Eduardsee, andere machen sich für Jugendliche oder Kleinbauern stark.
Clarice Butsapu, Mitarbeiterin von Réseau CREF, warnt eindringlich vor den falschen Versprechen der Erdölindustrie. „Doch arme Leute sehen wenig Grund, sich für den Schutz des Parks einzusetzen, wenn sie das Gefühl haben, der Park zementiere ihre Armut.“
Zurück in Goma zeigt François Biloko stolz den Rohbau hinter dem Büro der Organisation. Bisher hat das Geld lediglich für das Erdgeschoss gereicht. Seine Vision ist es, bald einen ersten Stock für ein Umweltzentrum zu errichten. Er ist sicher, dass sich die Bevölkerung für die Bewahrung der Natur einsetzen will – trotz aller Schwierigkeiten ist er optimistisch.
Aktiv werden! Helfen Sie mit - Spenden für den Kongo
Neben Dominique Bikaba, Josu Aruna und François Biloko arbeiten wir mit weiteren Umweltschützern in der Demokratischen Republik Kongo zusammen und vergrößern unser Netzwerk. Mit unserer Hilfe setzen sie sich für Indigene ein, unterstützen Dörfer gegen Landraub und engagieren sich für den Schutz der Gorillas und Bonobos.
Unterstützen Sie mit Ihrer Spende unsere Arbeit in der Kongo-Region: www.regenwald.org/rr056