Kein Pardon für große Klimaverschmutzer!

Blick vom Flugzeugfenster auf Wolken, Flüsse und Regenwald, oben im Bild der Flugzeugflügel Nachhaltig Fliegen mit CO₂-Gutschriften von Kompensationsprojekten im Regenwald? (© RdR/ Klaus Schenck)

21.09.2023

Beim Klimaschutz setzen viele Firmen neben der CO₂-Einsparung auf Ausgleichsprojekte. Sie kaufen sich mit CO₂-Gutschriften für Regenwald-Schutzprojekte frei. Dem Klima und den Wäldern ist damit meist nicht geholfen. Die Zertifikate sparen oft wesentlich weniger CO₂ ein als behauptet. Mit der Zertifizierung solcher Ausgleichsmaßnahmen will die EU die Kompensationsgeschäfte nun legitimieren.

Es klingt so gut: „Apple stellt mit der neuen Watch seine ersten CO₂-neutralen Produkte vor“, Volkswagen verkauft „bilanziell CO₂-neutrale E-Autos“, Shell bietet Benzin und Diesel mit „gemeinsamem CO₂-Ausgleich“ an und die Lufthansa-Gruppe (Austrian, Lufthansa, Swiss) wirbt „mit nachhaltigem Fliegen“.

Mit solchen Versprechen locken Industrie und Dienstleister Kunden und erwecken den Eindruck, dass wir ihre Produkte mit gutem Gewissen kaufen und damit sogar Umwelt und Klima schützen können. Sie kaufen sich mit freiwilligen CO₂-Gutschriften frei, mit denen sie auf dem Papier die Klimabilanz ihrer Produkte schönrechnen können, obwohl sie weiterhin CO₂ in die Luft blasen.

Anstatt die Emissionen zu reduzieren, kompensieren sie diese und beanspruchen Klimaneutralität. Die Kosten für die Zertifikate wälzen sie dabei oftmals auf die Kunden ab. Bei Shell und Lufthansa müssen diese einen Aufpreis für die vermeintliche Nachhaltigkeit zahlen.

Boomender Markt mit freiwilligen CO2-Gutschriften

Der Handel mit freiwilligen Kompensationsgutschriften ist stark am Wachsen, und immer mehr Zertifikate werden für Projekte ausgestellt, die tropische Urwälder vor der drohenden Abholzung bewahren sollen.

Die Theorie dahinter: Intakte Wälder nehmen CO₂ aus der Atmosphäre auf und speichern es. Wird der Wald abgeholzt, entweicht der Kohlenstoff wieder als CO₂ in die Luft. Wenn man also für den Schutz der Wälder Geld zahlt und damit deren Zerstörung verhindert, dann bleibt der Kohlenstoff im Wald gebunden und trägt nicht zur Klimakrise bei. Allerdings handelt es sich im besten Fall rechnerisch um ein Nullsummenspiel.

Im Fachjargon werden solche Projekte mit REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation) abgekürzt, was auf Deutsch etwa Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und Waldschädigung bedeutet. Doch REDD-Projekte sind schon seit Jahren aus vielen Gründen hoch umstritten. Denn wie will man seriös berechnen, wie viel Wald in einem Gebiet möglicherweise zukünftig abgeholzt wird und wie viel davon durch Schutzprojekte bewahrt werden kann? 

Außerdem kommt es im Rahmen der Kompensationsprojekte in den Urwaldgebieten oft zu Menschenrechtsverletzungen und zur Vertreibung von Familien. Sie werden entrechtet und von ihrem angestammten Land gedrängt, weil sie keine Landtitel besitzen.

Systematische Manipulationen und Phantomgutschriften

Die Betreiber solcher Projekte, Zertifzierer wie Verra und CO2-Händler verdienen Millionen mit den Klimageschäften. Schon Anfang 2023 haben "Die Zeit", "The Guardian" und "SourceMaterial" mit der Veröffentlichung der Ergebnisse einer neunmonatigen Untersuchung von Wald-Kompensationsprojekten den Markt kräftig durchgerüttelt. Die mit den Waldgutschriften beanspruchten Treibhausgas-Einsparungen sind offenbar häufig stark übertrieben, sie schreiben von systematischen Manipulationen und Phantomgutschriften.

Im Zentrum der Kritik steht die US-Organisation Verra. Die weltweite Nummer Eins bei solchen freiwilligen Klimakompensationen beherrscht Dreiviertel des Marktes. Unter der Aufsicht von Verra wurden 2021 insgesamt fast 300 Millionen CO₂-Zertifikate verkauft. Gut ein Drittel davon, etwa 110 Millionen Zertifikate, entfielen auf Waldschutzprojekte.

Bei 94 % der analysierten CO₂-Gutschriften für Wald-Kompensationsprojekte wurden den Studien und Recherchen nach die angeblich vermiedenen CO₂-Einsparungen zum Teil um ein Vielfaches überbewertet. Dem Klima wurde mit den fiktiven Gutschriften massiver Schaden zugefügt, denn die Käufer haben dafür Treibhausgase ausgestossen. Umgerechnet knapp 89 Millionen Tonnen CO₂ waren davon betroffen.

Wissenschaftliche Studien untermauern die Vorwürfe

Eine am 15. September von der Universität von Kalifornien in Berkeley veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss, dass die Auswirkungen der Waldschutzprojekte stark übertrieben wurden und einige zur Vertreibung oder Enteignung indigener Gemeinschaften geführt hätten.

Bereits im August schrieb eine andere Forschungsgruppe in der Zeitschrift Science, dass die meisten Projekte die Entwaldung nicht wesentlich reduziert hätten. Die Studie zeige, dass Kohlenstoffkompensationen durch bezahlte Projekte in Tropenwäldern die Abholzung nicht wie behauptet verringern und den Klimawandel verschlimmern, so die Editoren von Science.

Verra bestreitet alle Vorwürfe und hat mehrere Stellungnahmen dazu veröffentlicht.

Geplantes EU-Regelwerk ist ein Freibrief für große Umweltverschmutzer

Währenddessen arbeitet die EU an einen "Zertifizierungsrahmen für den Kohlenstoffabbau" (Carbon Removal Certification Framework, CRCF), der "Kriterien für die Definition eines hochwertigen Kohlenstoffabbaus und ein Verfahren zur Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung der Authentizität dieses Abbaus festlegen soll".

Umwelt- und Klimaschützer sind alarmiert. Das Regelwerk ist ein Freibrief für große Umweltverschmutzer, weil sie dadurch weiter Erdöl, Gas und Kohle verbrennen und CO₂ ausstoßen können. Rettet den Regenwald hat dazu bereits im Juni die Petition Firmen sollen CO₂ einsparen – anstatt sich freikaufen zu können gestartet, an der bereits über 62.000 Menschen teilgenommen haben.

Unser Tipp: Trauen Sie den Versprechen der Wirtschaft vom umweltfreundlichen und klimaneutralen Produkten nicht. Reduzieren Sie den Konsum soweit wie möglich. Kaufen sie haltbare und reparierbare Produkte, vermeiden Sie unnötige Fahrten und Flugreisen.


  1. gemeinsamem CO₂-AusgleichShell 2023. Kleiner Beitrag, große Wirkung: Jetzt gemeinsam CO₂ ausgleichen: https://www.shell.de/tanken/shell-co2-ausgleich.html

  2. Guardian" The Guardian 2023. Revealed: more than 90% of rainforest carbon offsets by biggest certifier are worthless, analysis shows:https://www.theguardian.com/environment/2023/jan/18/revealed-forest-carbon-offsets-biggest-provider-worthless-verra-aoe

  3. hätten Haya et.al. 2023. University of California Berkeley Carbon Trading Project. Quality Assessment of REDD+ Carbon Credit Projects: https://gspp.berkeley.edu/research-and-impact/centers/cepp/projects/berkeley-carbon-trading-project/redd

  4. Science West et al. 2023. Action needed to make carbon offsets from forest conservation work for climate change mitigation: https://www.science.org/doi/10.1126/science.ade3535

  5. Science Jones et.al. 2023. Forest carbon offsets are failing: https://www.science.org/doi/10.1126/science.adj6951

  6. veröffentlicht Verra 2023. Verra Response to Haya et al. Papers: https://verra.org/verra-response-to-forthcoming-haya-et-al-papers/

    Verra 2023. Response to New West et al. Study in Science Magazine: https://verra.org/response-to-new-west-et-al-study-in-science-magazine/

    Verra 2023. Technical Review of West et al. 2020 and 2023, Guizar-Coutiño 2022, and Coverage in Britain’s Guardian:https://verra.org/technical-review-of-west-et-al-2020-and-2023-guizar-coutino-2022-and-coverage-in-britains-guardian/

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