Ecuador: Verfassungsgericht garantiert Rechte der Indigenen gegen Bergbauprojekte
22.02.2022
Die indigenen A'i Cofán haben das Recht, uneingeschränkt über ihr Territorium im Amazonasgebiet zu entscheiden. Das höchste Gericht des Landes verbietet über 50 Konzessionen zum Abbau von Gold im Regenwald der A'i Cofán. Das Urteil ist ein wichtiger Präzedenzfall und stärkt massiv den Schutz von 9 Millionen Hektar indigener Territorien im Amazonasgebiet von Ecuador.
Im ecuadorianischen Amazonasgebiet, nahe der Grenze zu Kolumbien, kämpft die indigene Gemeinschaft der A'i Cofán seit Jahren um ihr Land, die Natur und ihre in der Verfassung des Landes garantierten Rechte. Einer der Brennpunkte des Widerstands ist das am Aguarico-Fluss gelegene Dorf Sinangoe im Westen der Provinz Sucumbíos.
Die Menschen wehren sich schon seit Jahren gegen Minenkonzessionen zum Abbau von Gold, die auf ihrem angestammten Land vom Bergbauministerium vergeben wurden. Dazu haben sie auch rechtliche Schritte eingeleitet - und die lokalen Gerichte haben den Klagen bereits in mehreren Instanzen Recht gegeben. Doch die Behörden haben die Urteile nicht anerkannt und umgesetzt.
Am 27. Januar 2022 hat nun das ecuadorianische Verfassungsgericht den Indigenen endgültig Recht gegeben: Die über 50 auf dem Land der A'i Cofán vergebenen Minenkonzessionen zum Abbau von Gold müssen unverzüglich zurückgenommen werden. Zudem müssen von vorherigen Gerichtsinstanzen bereits verhängte Wiederherstellungs- und Reparaturmaßnahmen von den Behörden durchgeführt werden.
Das höchste Gericht des südamerikanischen Landes schafft mit seinem Urteil ausdrücklich einen Präzedenzfall: Es erkennt das Recht aller indigenen Völker und Nationalitäten auf freie, vorherige und informierte Zustimmung an. Diese müssen nicht nur über ihre Gebiete betreffende geplante Aktivitäten umfassend informiert und angehört werden, sondern diesen auch ausdrücklich zustimmen. Das höchste Gericht des Lande stärkt damit massiv den Schutz von 9 Millionen Hektar indigener Territorien im Amazonasgebiet von Ecuador.
DIE HINTERGRÜNDE
Ein langer juristischer Weg
Bereits 2018 hatte der Präsident der Gemeinde Sinangoe gemeinsam mit dem Provinzdelegierten der Ombudsstelle von Sucumbíos eine Klage gegen das Ministerium für Bergbau, das Nationale Wassersekretariat, die Agentur für Bergbauregulierung und -kontrolle, das Umweltministerium und die Generalstaatsanwaltschaft eingereicht. Sie klagten gegen die Verletzung ihrer Grundrechte auf vorherige Konsultation, Territorium, Kultur, Gesundheit, Wasser, Nahrung, Natur und das Leben in einer gesunden Umwelt.
Das erstinstanzliche Urteil vom August 2018 erklärte die Verletzung von Rechten und erkannte die "Verschmutzung des Wassers der Flüsse, die zum Gebiet der Gemeinde Sinangoe gehören" an. In zweiter Instanz wurden die Behörden dann im November 2018 vom Provinzgericht von Sucumbíos angewiesen, die erteilten Bergbaukonzessionen ohne Rechtswirkung zu lassen und die in Bearbeitung befindlichen endgültig auszusetzen. Die verantwortlichen öffentlichen Institutionen und Firmen, die an der Durchführung der Bergbauprojekte interessiert sind, erkannten die Urteile jedoch nicht an.
Im Jahr 2019 hat sich das ecuadorianische Verfassungsgericht, das höchste Gericht des südamerikanischen Landes, dem Fall angenommen, um eine Rechtsprechung zu diesem Thema zu entwickeln. Der Fall der A'I Cofán wurde vom Verfassungsgericht wegen seiner besonderen Schwere, der Neuartigkeit des Falles und des Mangels an Präzedenzfällen, die es zu schaffen gilt, speziell ausgewählt, wie das Gericht damals erklärte.
Nach eingehender Analyse, Anhörung der Parteien und einem Besuch der indigenen Gebiete (Video) erließ das höchste Gericht des Landes am 27. Januar 2022 sein Urteil (Fall Nr. 273-19-JP22): Es erkennt das Recht aller indigenen Völker und Nationalitäten auf freie, vorherige und informierte Zustimmung an.
Das Urteil ist von großer Bedeutung und Tragweite, wie die mit der Rechtsverteidigung betrauten Anwälte von Amazon Frontlines erklären: "Die indigenen Völker haben jetzt ein mächtiges rechtliches Instrument für ihr Überleben und den Schutz riesiger Waldgebiete und Ökosysteme mit großer Artenvielfalt".
Zudem bestätigte das Verfassungsgericht die bereits von vorherigen Gerichtsinstanzen gegen den ecuadorianischen Staat verhängte Urteile. So müssen mehr als 50 Bergbaukonzessionen unverzüglich widerrufen werden, wie das Provinzgericht von Sucumbíos bereits entschieden hatte. Das Bergbauministerium hatte dagegen versucht, diese Verpflichtung zu ignorieren. Außerdem bestätigte das Verfassungsgericht, dass verhängte Reparaturmaßnahmen nun von den Behörden erfüllt werden müssen. Die komplette Dokumentaion des Falles findet sich auf der Webseite des ecuadorianschen Verfassungsgerichts.
Rettet den Regenwald begrüßt die Entscheidung des ecuadorianischen Verfassungsgerichts. Sie ist nicht nur ein großer Sieg für die A'i Cofán, sondern schafft auch ein juristisches Instrument, um die Rechte der indigenen Völker und den Schutz ihrer 9 Millionen Hektar großen Regenwaldgebiete durchzusetzen. Dieser Präzedenzfall ermöglicht es auch anderen indigenen Völkern wie den Sápara, die von der Ausweitung der Ölindustrie bedroht sind, die Ausbeutung der Ressourcen in ihren Gebieten zu verhindern.
Zum Goldabbau im Amazonasgebiet
In den Sedimenten vieler Flüsse im Amazonasgebiet gibt es geringe Mengen Gold. Aufgrund der sehr hohen Goldpreise auf dem Weltmarkt ist der Goldabbau zwar rentabel, dabei aber extrem umweltschädlich: Goldwäscher und Firmen durchwühlen zu dessen Gewinnung die Flussgebiete großflächig mit Baggern und waschen die Sedimente mit Saugpumpen aus.
Den darin enthaltenen Goldstaub binden sie in mit hochgiftigem Quecksilber. Um das Quecksilber vom Gold zu trennen, wird es mit offenen Flammen erhitzt, wobei das Quecksilber verdampft. Das toxische Schwermetall lagert sich dadurch in den Flussgebieten an. Der niedergehende Quecksilberdampf verseucht auch die umliegenden Regenwaldgebiete. Die Ökosysteme werden samt der dort lebenden Tiere, Pflanzen und Menschen dauerhaft mit Quecksilber vergiftet. Die dort gemessenen Quecksilberkonzentrationen übertreffen selbst die Werte in den am stärksten verseuchten Industriegebieten Chinas, haben Wissenschaftler untersucht.
Zudem verursachen die in die indigenen Territorien eindringenden Goldsucher und Arbeiter schwere Konflikte mit den Einwohnern:innen. Sie legen Camps in den Regenwaldgebieten an, bringen Alkohol, Drogen und Prostitution sowie Krankheiten wie das Coronavirus mit. Die A'i Cofan wehren sich deshalb vehement gegen eindringende Goldsucher und die Vergabe von Abbaukonzessionen durch die ecuadorianischen Behörden.