Brasilien: Täuschung und Missbrauch mit CO2-Ausgleichsprojekten im Amazonasregenwald

Luftaufnahme mit Wolken von einem sich durch einen Regenwald schlängelnden Fluss Amazonasregenwald im Bundesstaat Pará (© Felipe Werneck/Ibama/CC BY-SA2.0)

19.10.2023

In Portel im Amazonasgebiet haben Kohlenstoffhändler offenbar widerrechtlich Gutschriften für Regenwaldflächen verkauft, die im staatlichen Besitz sind und von lokalen Gemeinschaften bewohnt werden. Zudem sollen die Betreiber keine effektiven Kontrollen in den Waldgebieten durchgeführt, die Bevölkerung getäuscht und mit Almosen abgespeist haben.

Die Öffentliche Verteidigungsbehörde des brasilianischen Bundesstaates Pará (Defensoria Pública do Estado do Pará) hat fünf Klagen gegen die Präfektur von Portel und mehrere in- und ausländische Unternehmen eingereicht, die Kohlenstoff-Ausgleichsprojekte im Regenwald von Portel betreiben, und fordert deren Aufhebung. Die Behörde will damit illegale CO2-Projekte verhindern, die ohne Genehmigung des Staates Pará durchgeführt werden und die Rechte der Gemeinden verletzen.

Aufgedeckt wurden die Fälle bereits im vergangenen Jahr durch das World Rainforest Movement (WRM) mit Sitz in Uruguay. Die Umwelt- und Menschenrechtsoganisation bezeichntete die Aktivitäten als "Kohlenstoff-Kolonialismus" und veröffentlichte zahlreiche Unregelmäßigkeiten und fragwürdige Praktiken.

Nun berichtet die brasilianische Mediengruppe O Globo mit einer ausführlichen Recherche und einer 16-minütigen Videoreportage über die Geschäfte, mit denen die Betreiber Millionensummen über den Verkauf der CO2-Gutschriften eingenommen haben. Die Projekte RMDLT, Pacajaí und Rio Anapu-Pacajá liegen im Gemeindebezirk Portel etwa 250 Kilometer westlich von Belém im Amazonasregenwald. Sie umfassen eine Waldfläche von insgesamt 4.519 km². Es handelt sich um vermeintliche Klima- und Waldschutzprojekte - so genannte REDD-Projekte - mit einer Laufzeit von bis zu 40 Jahren.

Die CO2-Projekte verletzten das Territorialrecht

Die von den privatwirtschaftlichen CO2-Projekten beanspruchten Flächen sollen sich laut der Öffentlichen Verteidigungsbehörde mit staatlichen Waldgebieten (also öffentlichem Grund) überschneiden, für die die lokalen Behörden im Bundesstaat Pará keine Genehmigungen erteilt haben. Laut der Behörde haben die Verantwortlichen der CO2-Projekte das Territorialrecht verletzt und das Recht der Bevölkerung auf freie, vorherige und informierte Konsultation missachtet.

In dem Gebiet leben entlang der Flüsse etwa 1.500 Familien. Die Unternehmen seien ohne staatliche Genehmigung, ohne vorherige Studien und ohne Kontrolle durch die Behörden in die Siedlungen im Regenwald eingedrungen, hätten Inspektionen und Waldinventuren durchgeführt sowie die Familien registriert. Laut O Globo benutzten die Betreiber der CO2-Projekte offenbar auch Landtitel im Regenwald, die bereits vor vielen Jahren für ungültig erklärt und annulliert wurden.

Die Projekte bieten keinen wirksamen Regenwald- und Klimaschutz

Es handele sich um Projekte auf dem Papier, die in der Praxis keinen wirksamen Umweltschutz in den betroffenen Waldflächen im Amazonasgebiet bieten, zitiert O Globo die Agrarverteidigerin Andreia Barreto, die die Klagen verfasst hat. Die Unternehmen, die diese Emissionsgutschriften gekauft haben, hätten damit keinen effektiven Ausgleich für die von ihnen verursachten Emissionen geleistet.

Zu den Käufern der fraglichen CO2-Gutschriften gehören internationale Konzerne wie die Fluggesellschaften Air France und Delta Airlines, der Nudelhersteller Barilla, der Chemie- und Arzneimittelkonzern Bayer, der Flugzeugfabrikant Boeing, die Elektronikproduzenten Kingston, Samsung und Toshiba, der Elektrohersteller Siemens Energy sowie der britische Fußballclub Liverpool.

Die Firmen haben die Zertifikate wohl rechtmäßig auf dem Kohlenstoffmarkt erworben. Doch Nachprüfungen haben sie offenbar nicht betrieben und sich auf die beteiligten Kohlenstoffhändler und Zertifizierer verlassen. Die Kohlenstoffgutschriften bieten den Käufern eine bequeme, rasche und günstige Lösung. Anstatt ihre umweltschädlichen Emissionen effektiv auf Null zu reduzieren, können sie diese mit den Gutschriften verrechnen und sich damit als klimafreundlich darstellen.

Die drei Projekte sind unter dem Siegel Verified Carbon Standard (VCS) der US-Organisation Verra zertifiziert, der weltweiten Nr. 1 im Geschäft mit solchen privaten CO2-Gutschriften. O Globo gegenüber erklärte Verra, dass die Projekte bei ihr registriert seien und die Organisation mit der Öffentlichen Verteidigungsbehörde zusammenarbeite. Verra weist allerdings die Verantwortung von sich, da die registrierten Projekte von Dritten geprüft und validiert würden. Die Audits würden in der Regel von den Projektträgern selbst in Auftrag gegeben.

Die lokale Bevölkerung wurde getäuscht und hat keine Vorteile

Obwohl der Kohlenstoffmarkt privat ist, ist das, worüber verhandelt wird, ein öffentliches Gut, denn der Wald ist laut Verfassung ein öffentliches Gut, erklärt die Rechtsamtsleiterin Ione Nakamura, Koordinatorin der Abteilung für Landkonflikte der Staatsanwaltschaft des Bundesstaates Pará gegenüber O Globo.

Es entsteht der Eindruck, dass die Firmen sich den Gewinn einstreichen, während die Verantwortung für die Erhaltung des Waldes beim Staat und den Gemeinden verbleibt, so Nakamura weiter. Letztere erhielten wenig dafür, weil die Projekte nicht gut vereinbart seien. Die Gemeinden hätten nicht die technische und rechtliche Beratung erhalten, die sie bräuchten, um diese Projekte zu überprüfen und auf Augenhöhe mit den Unternehmen zu verhandeln.

Die lokalen Einwohner der Siedlungen beklagen, dass sie keinen Cent aus dem Verkauf der durch die Projekte erzeugten Emissionsgutschriften erhalten hätten. Stattdessen seien an sie Lebensmittelkörbe, T-Shirts und mit Holz zu befeuernde Blechkocher verteilt worden, die nach ihrer Aussage nutzlos seien. Außerdem seien sie mit Dokumenten aus dem Umweltregister getäuscht worden, die ihnen gegenüber so dargestellt wurden, als ob es sich um Grundbesitzdokumente handeln würde, was nicht der Fall ist.

In den Klagen fordert die Öffentliche Verteidigungsbehörde, dass das Territorialrecht der Gemeinden in den fünf Siedlungen auf öffentlichem Land garantiert und die Projekte mit den Kohlenstoffkrediten sowie alle damit zusammenhängenden Geschäfte für ungültig erklärt werden. Weiter müssen die für die Projekte verantwortlichen Personen daran gehindert werden, die Siedlungen zu betreten und in einem Gerichtsverfahren den Betroffenen eine moralische Entschädigung für kollektive Schäden in Höhe von 5 Mio. BRL gezahlt wird, so die Forderungen.

Verra hat auf den drei Projektseiten jeweils eine Erklärung veröffentlicht, wonach die Organisation eine Frist für die Durchführung neuer Validierungen und Überprüfungen eröffnet habe. Während dieses Prozesses sei die Ausstellung neuer Kohlenstoffgutschriften durch die Projekte ausgesetzt.


  1. Öffentliche Verteidigungsbehörde des brasilianischen Bundesstaates Pará Defensoria Pública do Estado do Pará, 31.07.2023. Defensoria do Pará ajuíza cinco ações para suspender construção de projetos de crédito de carbono em Portel https://defensoria.pa.def.br/noticia.aspx?NOT_ID=5969

  2. O Globo mit einer ausführlichen Recherche

    O Globo, 2.10.2023. Fraude na Amazônia: empresas usam terras públicas como se fossem particulares para vender créditos de carbono a gigantes multinacionais: https://g1.globo.com/pa/para/noticia/2023/10/02/fraude-na-amazonia-empresas-usam-terras-publicas-como-se-fossem-particulares-para-vender-creditos-de-carbono-a-gigantes-multinacionais.ghtml

  3. 16-minütigen Videoreportage

    O Globo, 2.10.2023. Defensoria do Pará aponta irregularidades em projetos de créditos de carbono na Amazônia:https://g1.globo.com/pa/para/video/defensoria-do-para-aponta-irregularidades-em-projetos-de-creditos-de-carbono-na-amazonia-11988936.ghtml

  4. REDD-ProjekteREDD steht für Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation, was übersetzt etwa „Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und Waldschädigung" bedeutet. Mit diesem aus vielerlei Gründen sehr umstrittenen Konzept soll der Schutz von Wäldern als Kohlenstoffspeicher finanziert werden.

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