Podcast Plan B: Hoffnungkraft aus den Regenwäldern

Marianne spricht mit einem traditionell gekleideten Indigenen Papua Können wir den Regenwald im Tambrauw-Gebirge im Westen Papuas retten? (© Rita Glaus) Marianne Klute in Sumatra Marianne Klute (Mitte) mit Einheimischen auf Sumatra, deren Wald, Felder und Dorf eine Ölpalmplantage werden sollen (© privat) Marianne läuft zwischen gefällten Bäumen Auf der Spur der Zerstörung in Papua (© Rita Glaus)

20.09.2024

Jeder Beitrag und jeder Erfolg zählt – das ist eine Kernbotschaft von Marianne Klute, Vorsitzende von Rettet den Regenwald, im Podcast Plan B. Basierend auf jahrelanger persönlicher Erfahrung in Indonesien diskutiert sie die Hintergründe der Regenwaldzerstörung – und warum der Einsatz für die Wälder lohnt. Dafür müssen wir die Natur endlich respektieren. Das Gespräch führt ihre Nichte Sarah.

Das Interview können Sie hier anhören. Hier veröffentlichen wir die etwas kürzere Textversion.

Plan B: Vor 20 Jahren, als du gerade nach Berlin gezogen bist, habe ich Dich bedrückt, traurig und verzweifelt erlebt, aufgrund der globalen Situation und weil die Regenwald-Zerstörung ungebremst fortgeführt wurde. Heute, unzählige Quadratkilometer weitere unwiederbringliche Wald-Zerstörung, Zoonosen, Pandemien und Klimaerhitzung später, bist du viel hoffnungsvoller, voller Energie und Beharrlichkeit. Was gibt dir heute so viel Hoffnung und lässt dich weiter so positiv und vertrauensvoll und voller Energie für die Wälder und die Menschen kämpfen, schreiben und streiten?

Marianne Klute: Bedrückt, ja. Ich habe die brutale Zerstörung erlebt, als ich in Indonesien gelebt habe. Auf Sumatra und Borneo wurde gnadenlos der Regenwald zerstört. Das lässt Gefühle von Schmerz und Ohnmacht aufkommen.

Seither ist unglaublich viel Regenwald verschwunden, zahlreiche Arten sind vom Aussterben bedroht oder schon ausgestorben. Mehr als die Hälfte der Regenwälder wurde bereits gerodet, weite Gebiete schwer geschädigt oder in viele kleine Waldinseln zerstückelt. Jeder einzelne der Urwaldriesen ist der Lebensraum Hunderter weiterer Tier- und Pflanzenarten. Mit jedem umgelegten Baum sterben auch dessen Bewohner.

Jeder Eingriff zerstört das Gleichgewicht im Zusammenleben zwischen Pflanzen und Tieren.

Die Folgen der Klimakrise sind schon lange in tropischen Ländern zu spüren, auch vor 20 Jahren schon. Zum Beispiel in Südostasien, wo ich lange gelebt habe, bestimmen die Monsune das Leben der Bauern. Trocken- und Regenzeiten wechseln sich ab, pflanzen und ernten folgten diesen beiden Jahreszeiten. Dieser Rhythmus ist schon lange gestört. Dazu kommen Katastrophen wie Erdrutsche, Dürren, Überschwemmungen – Ursache sind meist Störungen im Klimagefüge.

Vor einer oder zwei Generationen wuchs die Umweltbewegung, und innerhalb der Umweltbewegung war das Thema Regenwald schon ziemlich bedeutend. Denn die tropischen Regenwälder sind von hoher Biodiversität – darunter versteht man das Netz des Lebens, also die Vielfalt der Ökosysteme, der Arten und die Vielfalt innerhalb der Arten. Damals ging es vor allem um Tropenholz. Die Regenwälder wurden für den Konsum zerstört. Nicht nur für Holz, sondern auch, um an das Land zu kommen und an die Bodenschätze unter dem Waldböden.

Jede Krise, zum Beispiel die Asienkrise 1997 und 1998 hat dazu geführt, dass mehr Regenwälder zerstört wurden. 10 Millionen Hektar pro Jahr - das entspricht innerhalb von vier Jahren der Gesamtfläche Deutschlands. Längst nicht nur für Holz, sondern für Rinderweiden, Palmöl, Soja, Papier, Bergbau. Für den globalen Markt.

Die Realität ist dramatisch. Bedrückender als vor 20 Jahren.

Der gesamte Planet durchläuft eine beispiellose Klimakrise, die von industriellen Aktivitäten wie dem Bergbau verursacht ist. Die Industrieländer zwingen den Ländern im globalen Süden die Projekte auf, deren Auswirkungen von den Regierungen nicht richtig analysiert werden. Sie geben ihre Souveränität an die Macht großer Konzerne ab, die in den Ländern auf politischem und juristischem Gebiet agieren, um ihre Interessen zu schützen, nicht aber die der Bevölkerungen und der Natur.

Doch was mir Mut und Vertrauen gibt, das sind die Menschen, denen ich in dieser Zeit begegnet bin. Das sind sehr unterschiedliche Menschen: Aktivistinnen. Eine neue Generation in Asien. Menschen die noch in der Natur, im Wald leben. Indigene, die sich als Teil der Natur fühlen.

Für 60 Millionen Ureinwohner ist der Regenwald Heimat und spiritueller Ort – und die Quelle für Nahrung, Medizin und Hausbau. Sie leben in Harmonie mit der Natur, ohne sie zu zerstören und sind in höchstem Maß auf den Wald angewiesen. Es gibt immer noch indigene Gruppen, die die Wälder ohne jeden Kontakt zur Außenwelt bewohnen, in freiwilliger Isolation; zum Beispiel die Awá im brasilianischen Amazonasgebiet.

Durch die Zerstörung des Waldes, aber auch durch Zuwanderung und eingeschleppte Krankheiten ist ihre Lebensweise und oftmals sogar ihr Überleben bedroht. Insgesamt leben nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO 300 Millionen Menschen in Waldgebieten.

Aber nicht nur für Völker des Regenwaldes ist der zunehmende Verlust der Waldfläche eine Gefahr. Wir alle verlieren mit ihm die „grüne Lunge“ der Erde. Als wichtigen CO2-Speicher brauchen wir den Regenwald, um das Weltklima zu regulieren. Wenn die Regenwaldgebiete dieser Welt versteppen oder verwüsten, hat das Auswirkungen bis nach Europa. Zudem verliert die Menschheit mit jeder aussterbenden Pflanze oder Tierart einen wunderbaren Schatz. Dieser ist im Gegensatz zu lösbaren Umweltproblemen für immer verloren.

Von den Indigenen, die ich besuchen konnte, habe ich einiges gelernt: Nur so viel nehmen, wie man braucht. Oder sogar: weniger nehmen als man braucht.

Die meisten sprechen von Mutter Erde, nicht nur im spirituellen Sinne, sondern ganz praktisch. Die Mutter Erde versorgt sie mit Nahrung, Wasser, Luft, Heilmitteln – deswegen wird man sie nicht verletzen. Man bedankt sich für die Gaben. Man nimmt nicht gierig. Man kann sie nicht verkaufen. Solche Begegnungen erfüllen uns mit Respekt.

Dieses Weltbild hat aber in unserem Wirtschaftssystem keinen Platz.

Was wir in den letzten 20 Jahren verstärkt erleben, ist die Aufteilung der Flächen unserer Erde, für den Konsum, für den Profit, und für Macht. Wir verwandeln die Natur in Plantagen, Äcker, Viehweiden, Siedlungen, Straßen, Tagebauminen oder Stauseen. In dieser sich rasant veränderten Welt sind wir jedes Jahr mit neuen Problemen konfrontiert. Mal Energiehunger, mal Überkonsum, mal die Folgen des Kontakts mit Wildtieren, Viren, Zoonosen. Und mit Landraub, Vertreibung, Gewalt, Zerstörung alter Kulturen, Brandstiftung, Mord.

Mit Argumenten wie „Für 9 oder 10 Milliarden Menschen braucht es soundsoviel Hektar für Nahrungsmittel, soundsoviel für Energiepflanzen, soundsoviel als Ausgleich“ werden die Natur, der Regenwald, einer linearen Rechnung unterzogen. Komplexe Zusammenhänge werden nicht verstanden oder unterschlagen oder bewusst ignoriert.

Zurück zur Frage: Was gibt mir heute so viel Energie und Hoffnung? Erstens die Erfahrung: wir können etwas tun. Manchmal nur im Kleinen, manchmal retten wir nur einen Sumpf oder einen Baum.

Zweitens, und das wird immer stärker: die Bindung an die vielen meist jungen und sehr jungen Umweltverteidiger:innen, die mit furchtbaren Situationen konfrontiert sind, die ihr Leben aufs Spiel setzen.

Für sie sind wir Hoffnung. Ersatz für die verlorene Mutter. Für mich sind sie Freundinnen, Kinder, manchmal Helden.

Plan B: In Ecuador ist die Natur seit 10 Jahren eine rechtliche Entität, zum Beispiel hat ein verschmutzter Fluss jetzt vom Gericht das Recht auf Säuberung und Schutz zugesprochen bekommen. In unserer industriellen Weltsicht ist die Natur ja oft eher ein Rohstofflager, an dem wir uns skrupellos bedienen können. Wie können wir die Natur und die Erde wieder als Mutter ehren oder uns als Teil von ihr wahrnehmen? Was fällt dir zu dem Thema "Naturbegriff" ein, im Zusammenhang mit den Partnerinnen und Partnern aus den indonesischen Regenwälder und aus anderen Kontinenten?

Marianne Klute: Im Jahr 2008 hat Ecuador als erstes Land in seiner Verfassung die Natur als Rechtssubjekt anerkannt und das Recht der Menschen, in einer gesunden Umwelt zu leben, in den Text aufgenommen.

Ich habe ja vorher schon davon gesprochen, dass Indigene von Mutter Erde sprechen und diese Lebenshaltung sie hindert, die Mutter zu zerstören. Das darf man nicht mit einem individuellen Gefühl gleichsetzen. Und ich zweifele, ob die Menschheit so schnell, wie es erforderlich ist, so einen Weg einschlagen wird und kann.

Angesichts der Dringlichkeit überlegen Indigene, Wissenschaftler und Aktivisten, ob es einen juristischen Weg gibt, bei dem die Natur verbriefte Rechte erhält.

Die Natur braucht uns nicht – aber wir brauchen die Natur. Die bestehenden Umweltgesetze und Vorschriften reichen nicht aus. Wir müssen dringend umdenken, unsere Lebensweise ändern und unseren Ressourcenverbrauch drastisch senken. Aber auch das geschieht zu langsam und zu spät. Auch bei gutem Willen: Umweltgesetze stellen den Menschen hierarchisch über die Natur und geben ihm das Recht, über die natürlichen Ressourcen zu verfügen. Die Umwelt wird als Eigentum oder Objekt gesehen, das ausgebeutet und zerstört werden kann. Und in diesem Sinne regeln die Gesetze neben dem Schutz auch den Gebrauch und die Instrumentalisierung der Natur – was sie für einen wirklichen Schutz zu schwach macht.

Im neugeschaffenen Artikel 20a im Grundgesetz ist Naturschutz verankert, aber die Natur bleibt Objekt: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“

Die Bewegung „Rechte der Natur“ von Graswurzel-Organisationen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Teilen der Welt will einen effektiveren, sichereren und längerfristigen Schutz der Natur erzielen, indem neue rechtliche Werkzeuge geschaffen werden.

Es ist daher eine juristische Bewegung, aber auch eine ökologische, soziale und sogar ethische und philosophische Bewegung mit großem symbolischem Wert. Wir greifen dabei auf die indigene Vorstellung von der Natur als Mutter Erde zurück. Sie stellen den Menschen nicht über die Natur. Sie sehen die Umwelt nicht mehr als Objekt, sondern als eigenständiges Subjekt. Ihr Ziel ist eine neue, nicht mehr anthropozentrische Sichtweise des Rechtssystems.

Wenn wir es schaffen würden, die Natur nicht mehr als Objekt der Aneignung zu behandeln, sondern sie als Rechtssubjekt, als juristische Person mit eigenen Rechten zu betrachten, würde sie etwas erwerben, was sie vorher nicht hatte: eine integrale Kategorie, einen Status als ökologische Verbündete, unabhängig von den Bedürfnissen oder Ambitionen des Menschen.

Ein Recht für die Natur würde den Fokus der Aufmerksamkeit verlagern: weg vom Menschen, hin zur Natur als Ganzes oder auf Teile wie Flüsse oder Wälder.

Ziel ist es, ihren immensen Wert und ihre Bedeutung rechtlich anzuerkennen, sodass sie ein eigenes Lebensrecht erhalten und nicht weiter zerstört werden können.

Diese eigene Rechtspersönlichkeit erlaubt es, die Natur vor Gericht zu verteidigen, ihre Rechte einzufordern und für ihren Schutz zu kämpfen. Das ultimative Ziel ist es, die Integrität und Gesundheit unseres Planeten zu verteidigen. Dazu ist eine andere Sichtweise gefragt, ein Paradigmenwechsel mit einer veränderten Perspektive des Rechtssystems.

Plan B: Vor ein paar Jahren hat mir eine Wald-Aktivistin aus Kamerun erzählt, dass du die erste Person hier warst, die ihr wirklich als Partnerin begegnet ist und nicht von oben herab. Wie geht ihr/gehst du mit dem Thema Kolonialismus/Neokolonialsmus um? Welche Bedeutung hat das Thema in Eurer Arbeit?

Marianne Klute: Ich habe lange in Südostasien gelebt und Respekt gelernt. Das Thema hat mehrere Facetten. Drei davon sind wichtig: einmal die persönliche, menschliche Ebene. Und zweitens die Arbeitsebene, wenn es um unsere Projekte zur Rettung der Regenwälder geht, Projekte, die in der Tat nicht wir selbst umsetzen, sondern Partnerorganisationen vor Ort. Und drittens die politisch ökonomische Ebene.

Für die Ebene von Mensch zu Mensch gilt, Kopf, Herz und Rückgrat.

Historisches Wissen, Geschichte, Evolution von Homo sapiens – all das beeinflusst den Blick auf den Menschen, auf dein Gegenüber. Begegnung mit anderen Kulturen erweitert den Horizont – du nimmst dich selbst nicht mehr so wichtig. Herz steht für Liebe zum Leben, den Menschen, den Tieren, den Pflanzen, der Natur. Rückgrat für die Beharrlichkeit, die Energie, die Stärke.

Das Thema Kolonialismus und Neokolonialismus beschäftigt uns täglich, es geht nicht nur um den Umgang mit Menschen anderer Kulturen oder komplett anderer Lebensweisen. Es geht hier auch um die praktische Umsetzung von Naturschutz.

Wir haben gelernt, wie indigene Gemeinschaften die Natur nicht zerstören oder wenig zerstören.

Deswegen sind wir überzeugt, dass ihre Methoden, Regeln, ihr Engagement, ihre Philosophie und ihr Glaube sehr geeignet sind – und vertrauen ihrem Wissen. Das heißt nicht, dass wir blindlings vertrauen. Wir diskutieren ausführlich die Projekte.

Ein weiterer Aspekt des Kolonialismus: Das Modell als solches, nämlich die Ausbeutung der Natur durch andere, sei es durch die Kolonialmacht, sei es eine Industrie wie Palmöl, Bergbau oder auch Emissionshandel und Nationalparks, ist bis heute die treibende Kraft der Zerstörung der Regenwälder und anderer Ökosysteme. Auf dieser Ebene haben wir es mit dem Zerstörer selbst zu tun, mit seinem System, der Wachstumsideologie.

Wir sind diesem System ausgesetzt, auf dem der Wohlstand der Industriestaaten beruht. Seine Argumente sind stark und machen vielen Angst – vor dem Schwinden der Ressourcen, Angst vor Verzicht, Schrumpfung, schmerzhafter Veränderung

Ein Kollaps von Ökosystemen sollte uns viel mehr Angst machen. Dabei gehören Regenwälder mit zu den wichtigsten Ökosystemen.

Jeder Beitrag auf der praktischen, politischen und persönlichen Ebene, sei es die Stärkung der wirklich guten Waldhüter in den Regenwaldgebieten, sei es politische Aktivität wie Widerstand gegen ein lokales Projekt, das die Umwelt zerstört, oder für dich persönlich die Überlegung: was kann ich in meinem Leben besser machen?


  1. 60 Millionenin Indonesien

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