Umweltverteidigerin aus Papua: Indigene sind die besten Waldhüter

Junge Papua im Gemeinschaftsgarten Tempelhof Dorthea Wabisers Botschaft: Regenwald retten in Solidarität mit den Indigenen von Papua (© Rettet den Regenwald / Stefanie Hess)

14.10.2024

Indigene Völker müssen offiziell anerkannt und geschützt werden, denn sie sind die besten Hüter des Regenwaldes. Das sagt Dorthea Wabiser aus Papua. Im Interview appelliert sie an unsere Solidarität.

Die Menschenrechts- und Umweltverteidigerin Dorthea Wabiser von unserer Partnerorganisation Pusaka hat uns im September und Oktober besucht. Sie hat am Film AFSYA mitgearbeitet, den wir in der Schweiz, den Niederlanden und in Berlin zeigen konnten. Im Interview spricht Dorthea darüber, wie die Indigenen den Regenwald von Papua verteidigen, was wir von ihnen lernen und wie wir sie unterstützen können.

Rettet den Regenwald (RdR): Dorthea, du hast uns den Film AFSYA - Den Regenwald verteidigen" über ein indigenes Volk im Westen von Papua mitgebracht. Als Mitarbeiterin der Organisation Pusaka hast du die Afsya bei ihrem Kampf um ihren Wald und die offizielle Anerkennung als indigene Gemeinschaft begleitet. Der Film zeigt die vielen Hindernisse, bis es den Afsya gelang, 40.000 Hektar Wald vor weiterer Zerstörung zu schützen. Ein Erfolg, den bisher nur wenige Gemeinschaften verbuchen konnten.

Bedeutet die offizielle Anerkennung ihres Gebietes als indigenes Territorium wirklich, dass der Wald nun geschützt ist und dass Firmen keine Genehmigung mehr bekommen können, zum Beispiel für eine Ölpalmplantage oder für Bergbau?

Dorthea Wabiser: Ja, denn mit dem Dekret anerkennt die Regierung juristisch, dass die Gemeinschaft seit vielen Generationen dort lebt, dass sie den Wald sehr gut und nachhaltig geschützt und genutzt hat.

Die Indigenen müssen für die Anerkennung viel auf sich nehmen, so wie die Afsya im Film. Sie müssen hart dafür arbeiten und eine Menge Anforderungen erfüllen. Sie müssen nachweisen, dass sie schon lange in diesem Gebiet leben, sie müssen ihr Territorium kartieren - was sehr lange dauert -, sie müssen ihre Geschichte und ihre Stammbäume dokumentieren.

Jedes Wirtschaftsunternehmen muss laut Gesetz das anerkannte Gebiet respektieren. Wenn ein Unternehmen trotzdem weiter hier agiert, verstößt es gegen dieses Dekret und müsste wegen Landraub strafrechtlich verfolgt werden.

Abgesehen von dem offiziellen Dekret muss bei jedem Projekt, das Indigene betrifft, das Prinzip der freien, vorherigen und informierten Zustimmung eingehalten werden (FPIC). Bei jedem Vorhaben, sei es für eine Plantage, sei für Holzeinschlag oder Bergbau, muss das FPIC-Verfahren eindeutig und klar sein. Das heißt, die Indigenen werden im Vorfeld informiert und können frei entscheiden, ob sie zustimmen oder ablehnen. Bei einem fehlenden oder mangelhaften FPIC-Verfahren macht das Unternehmen sich strafbar.

RdR: Pusaka hat Erfahrungen mit diesem komplizierten Prozess der Anerkennung von indigenen Gemeinschaften und ihren Territorien. Ist dies in deinen Augen der beste Weg, die Entwaldung aufzuhalten, die Biodiversität zu schützen und etwas gegen die Klimakrise zu tun?

Dorthea Wabiser: Die besten Waldhüter sind bewiesenermaßen die Indigenen selbst. Das Problem: In Indonesien sind Indigene nicht geschützt und haben keine eigenen Territorien. Sie dürfen ihre Gebiete, in denen sie schon seit Generationen leben, nicht nutzen und nicht über sie bestimmen. Im Gegenteil, im Namen der Wirtschaftsentwicklung werden die Wälder in großem Umfang an Konzerne vergeben und zerstört, denn der Staat betrachtet allen Wald als staatlich. 

Dabei sind es die Indigenen, die die Nutzung und den Schutz der Wälder bis heute sehr gut geregelt, also nachhaltig gemanagt, haben. Ein Indigenengesetz gibt es nicht. Internationale Abkommen greifen hier nicht. Leider hat die Regierung die ILO-Konvention 169 zum Schutz der Rechte Indigener Völker nicht ratifiziert. Die ILO-169 ist das einzige völkerrechtlich verbindliche internationale Abkommen.

Das andere wichtige internationale Instrument, die UN-Deklaration der Rechte Indigener Völker (UNDRIP), hat Indonesien zwar unterzeichnet, doch kann es nicht optimal umgesetzt werden, da der Begriff „indigene Völker“ nach Ansicht der indonesischen Regierung zweideutig und für die Verwendung in Indonesien nicht geeignet ist.

Ohne klaren Schutz müssen die Gemeinschaften den komplizierten Anerkennungsprozess durchlaufen, wofür sie hart arbeiten müssen. Diese Möglichkeit besteht aber erst seit kurzem. In dem Dekret der Anerkennung ist dann das Waldgebiet der Indigenen im Detail festgelegt. Dieser Wald kann nicht mehr für Projekte zerstört werden, die das Überleben der Indigenen gefährden. Unter den heutigen Umständen ist dieser offizielle Prozess also der bestmögliche Weg.

RdR: Besonders der Regenwald im Süden von Papua erlebt aktuell einen massiven Ansturm. Für das „Zucker- und Bioethanol-Projekt“ sollen zwei Millionen Hektar weichen, für das „Merauke Intergrated Food and Energy Estate“ (MIFEE) sind schon eine Million Hektar verloren. Riesige Kahlschlaggebiete, neue Ölpalm- und Eukalyptusplantagen entstehen. Was können wir hier tun, um die großflächige Zerstörung zu stoppen und die Indigenen zu unterstützen?

Dorthea Wabiser: Über diese Projekte habe ich mit den indigenen Gemeinschaften der Marind, Yeinan, Makleuw, Kimahima, Kanum und mit anderen Menschenrechts-Verteidigern in Merauke viel diskutiert. Diese Projekte bedrohen das Überleben der Wälder und der Einheimischen, besonders das neue „Zucker- und Bioethanol-Projekt Merauke". Die Menschen haben ihre Erfahrungen mit MIFEE gemacht und daraus gelernt. Am Anfang hatte man ihnen ein Leben in Wohlstand versprochen. In der Realität aber, zum Beispiel in den Dörfern Zanegi und Baad, müssen die Menschen doppelt so viel arbeiten, um überhaupt überleben zu können.

Die Flüsse und Sümpfe, in denen Sago-Palmen wachsen, sind von den Abwässern der Ölpalm-Plantagen verseucht. Das Wasser und die Fische sind vergiftet. Kinder leiden unter Mangelernährung und entwickeln sich nur kümmerlich. Außerdem haben die Unternehmen Konflikte unter den Dorfbewohnern provoziert.

Die Menschen vor Ort lehnen diese Projekte kollektiv ab. Wir haben vor Regierungsstellen demonstriert und uns entschieden gegen die Zuckerrohrplantagen, die Zuckerfabriken und Bioethanolanlagen in Merauke ausgesprochen. Und tun es weiterhin.

Wir hoffen, dass die internationalen Freunde sich mit uns solidarisieren, damit die Wälder von Papua noch gerettet werden. Informiert darüber, was hier in Papua geschieht, bringt die Vernichtung des Regenwaldes auf die internationale Bühne, macht Druck, damit unsere Regierung ihre Entscheidungen ändert.

RdR: Du begleitest neben den Marind in Merauke auch die indigene Gemeinschaft der Awyu in Boven Digoel, die vom und im Wald leben und ihn gerichtlich gegen Palmölfirmen verteidigen. Das ist mühselig und oft bedrückend. Hast du auch Erlebnisse, die dich erfreuen?

Dorthea Wabiser: Die Erlebnisse, an das ich mich gern erinnere und die mich immer zum Lächeln bringen, sind der Weg durch den Wald, wenn wir gemeinsam Sago herstellen wollten. Ich habe auch gelernt einige der typischen Sago-Speisen zuzubereiten, die Hauptnahrung in Papua. Zum Beispiel gebackener Sago, Sago Temple (eine Art Pfannkuchen aus Sago) und Papeda (Sago-Brei). Wir gingen durch den Wald bis zum Sumpf, in dem die Sago-Palmen wachsen, fällten einen Sago-Baum, den die Gemeinschaft für geeignet hielt, und begannen, das Mark zu verarbeiten, bis es schließlich zu Sago-Mehl wurde.

Sago-Palmen brauchen zehn und mehr Jahre, bis man sie nutzen kann. Die Menschen pflanzen sie immer mit dem Gedanken: „Ich werde ihn fällen, wenn ich alt bin“ oder „Ich pflanze diesen Baum, damit meine Kinder ihn fällen können, wenn sie erwachsen sind.“ Das hat mir deutlich gemacht, dass sie bei jeder Tätigkeit im Wald immer an die nächste Generation denken.

 RdR: Trotz der unglaublichen Angriffe auf den Regenwald von Papua bist du noch voller Hoffnung, dass diese wahnsinnige Zerstörung noch gestoppt werden kann. Wenn die Indigenen mit ihrem Wissen die besten Regenwaldhüter sind: Was sagen sie uns, was können wir von ihnen lernen?

Dorthea Wabiser: Ja, natürlich sind sie das! Indigene verfügen über einen intellektuellen Reichtum, der als „traditionelles ökologisches Wissen“ bekannt ist und von Generation zu Generation weitergegeben wird. Ihr Umgang mit dem Wald und dem Land dient dazu, das Überleben der Gemeinschaft zu sichern. Sie nutzen den Wald so, dass er erhalten bleibt. Sie sorgen dafür, dass der Wald gut und gesund bleibt.

Ein Beispiel dafür ist die Geschichte, die ich über Sago erzählt habe. Sie pflanzen beständig neue Sago-Palmen, damit ihre Kinder und Enkelkinder auch in Zukunft genug zu essen haben. Sie jagen nach dem Jahreszeiten-Kalender, damit sie nicht achtlos zu viele Tiere erlegen. Sie geben den Tieren und Pflanzen Zeit, sich zu erholen, damit das Leben im Wald gedeiht und immer weitergeht.




  1. FPICFree, Prior and Informed Consent = Prinzip der freien, vorherigen und informierten Zustimmung, eine Schutzmaßnahme zur Wahrung der Rechte indigener Völker

  2. ILO-Konvention 169International Labour Organization: ILO-Konvention 169 zum Schutz der Rechte Indigener Völker (ILO-169) https://www.ilo169.de/

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