„Einschüchterung misslungen“

23.04.2025
Die Kontext:Wochenzeitung aus Stuttgart muss sich gegen eine Einschüchterungsklage wehren. Vor Kurzem hat sie einen Rechtsstreit gegen einen Neonazi verloren. 2019 haben wir selbst erfahren, wie nervenaufreibend solche eine Attacke auf Presse und Aktivisten ist. Wir haben daher in Solidarität mit den schikanierten Journalisten diesen Artikel über unseren Fall geschrieben.
„Einschüchterung misslungen“ hat Kontext:Wochenzeitung den Artikel überschrieben. Sie können den von uns verfassten Text auch auf der Webseite der Zeitung lesen.
Zum Hintergrund: Der Palmöl-Konzern Korindo hatte uns von dem Landgericht Hamburg verklagt. Er wollte offenbar erreichen, dass wir nicht über Regenwaldzerstörung durch die Firma im indonesischen Papua berichten. Dabei wird dort massiv abgeholzt - und einer der Akteure ist Korindo.
Hätte sich Korindo vor Gericht durchgesetzt, müssten wir darüber schweigen. Doch wir haben uns nicht einschüchtern lassen, berichten weiter und unterstützen Regenwaldschützer vor Ort nach Kräften.
„Einschüchterung misslungen“
„Der Hamburger Verein Rettet den Regenwald hat sich drei Jahre lang gegen eine SLAPP-Klage gewehrt. Weil er angeprangert hat, dass der Konzern Korindo in Papua Regenwald vernichtet. Aber die Regenwaldschützer:innen haben nicht klein beigegeben. Dass sich die Politik endlich mit strategischen Klagen befasst, ist vor allem ihnen zu verdanken.
Rund 12.000 Kilometer trennen die indonesische Provinz Papua von Deutschland. Ziemlich weit weg, sieben Zeitzonen liegen dazwischen. Trotzdem fand es die indonesische Firma Korindo naheliegend, uns in Hamburg vor Gericht zu zerren. Der Grund: Wir, der Verein Rettet den Regenwald, haben angeprangert, dass Korindo für Palmöl und Holz in Papua großflächig Regenwald vernichtet, mit Bulldozern und Feuer. Das ist dort kein Geheimnis, wurde in zahlreichen Artikeln und Studien beschrieben, die mit Fotos und Videos untermauert sind. Trotzdem haben sich die Richter der Pressekammer des Landgerichts Hamburg mit den Rodungen befasst. Nicht mit gefällten Bäumen in den Harburger Bergen oder auf dem Ohlsdorfer Friedhof, an dessen Rand Rettet den Regenwald sein Büro hat, sondern im Dschungel Papuas. Deutsche Richter fühlen sich offenbar für vieles kompetent.
In der Klageschrift vom 19. Dezember 2019 verlangte die Firma Kenertec, dass wir Aussagen zur Waldvernichtung widerrufen und zukünftig unterlassen. Es drohten 250.000 Euro "Ordnungsgeld", bei Wiederholung bis zwei Jahre Haft. Das war ein Schock. Wenige Tage vor Weihnachten und, wie wir später lernen sollten, kurz vor der Verjährungsfrist.
Wie reagieren wir auf diese Klage? Müssen wir Richtern in Deutschland beweisen, was in Indonesien passiert? Müssen wir Zeugen einfliegen? Dolmetscher finden? Das alles finanzieren? Dürfen wir nichts mehr über Korindo sagen? Haben wir als kleiner Verein gegen einen Konzern mit unerschöpflichem Budget überhaupt eine Chance?
Angst verbreiten mit Einschüchterungsklagen
Im Grunde war sofort klar: Wir wehren uns. Und zwar so öffentlich wie möglich. Wer uns zum Schweigen bringen will, soll das Gegenteil erfahren.
Kenertec kannten wir zuvor nicht. Die Firma gehört zwar zum Korindo-Konglomerat, beschäftigt sich aber mit dem Bau von Windrädern. Der Regenwaldvernichtung ist sie unverdächtig. Warum formal Kenertec uns Umweltschützer verklagt hat, erschließt sich uns bis heute nicht. Korindo hat auch niemals bestritten, hinter der Klage zu stecken.
Ein juristisches Rätsel blieb auch, warum Korindo neben uns die US-Organisation Center for International Policy (CIP) vor den Kadi gezogen hat. Die beanstandeten Vorwürfe gegen die Firma hatte nämlich federführend die Organisation Mighty Earth erhoben, die zwar mit CIP verbunden, aber nicht identisch ist. Den Falschen verklagt, dachten wir. Das Landgericht sah das offenbar ähnlich. Dieser Teil des Verfahrens hat sich daher auf halber Strecke erledigt.
Sonnenklar war in unseren Augen, warum wir diese Klage am Hals hatten: Korindo wollte uns Angst und mundtot machen. Es war nichts anderes als eine Einschüchterungsklage, auf Englisch SLAPP genannt (strategic lawsuit against public participation, auf deutsch: strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung) – eine Ohrfeige für unliebsame Kritiker. Wir waren sicher, dass unsere Vorwürfe inhaltlich stimmen und die Klage daher keine Basis hatte! Trotzdem sollte sie uns drei Jahre lang beschäftigen und uns Zeit, Nerven und Geld rauben.
Das Verfahren durfte nach unserer Überzeugung kein Kampf David gegen Goliath hinter verschlossenen Türen des Landgerichts bleiben, sondern musste gewissermaßen auf den Marktplätzen der Republik ausgetragen werden. Wir wollten die Bevölkerung aufrütteln, wie gefährlich solche Klagen sind, die den Rechtsstaat missbrauchen – die Resonanz hat uns überwältigt.
231.103 Bürgerinnen und Bürger haben unsere Petition gegen Einschüchterungsklagen unterzeichnet. Wir hatten uns dafür mit dem Umweltinstitut München verbündet, das sich (am Ende erfolgreich) gegen eine Klageflut von Südtiroler Obstbauern wehren musste. In der Petition haben wir von der Europäischen Union eine Richtlinie gegen SLAPPs gefordert. Klang sperrig, hatte augenscheinlich nichts mit unserer Kernkompetenz "Regenwald" zu tun, war aber brandaktuell. Mit der seinerzeitigen Vizepräsidentin der EU-Kommission Věra Jourová haben wir eine Verbündete gefunden. Sie nahm die Unterschriften in Brüssel entgegen und lernte als Nebeneffekt den Namen Korindo kennen.
Korindo, der "Rüpel des Jahres"
Die Kampagne hatte Erfolg: Daran, dass es seit Anfang 2024 die Anti-SLAPP-Richtlinie gibt, hatte so gesehen die Klage der Indonesier einen Anteil. Hier kommt CASE ins Spiel, die "coalition against SLAPPs in Europe". Sehr früh haben wir uns dem europäischen Bündnis gegen SLAPPs angeschlossen. Dessen Ziele sind Solidarität für Geslappte, Öffentlichkeit, politischer Druck. Wer juristische Ohrfeigen verteilt, wird zudem abgewatscht: Einmal im Jahr kürt CASE in einer Gala à la Song Contest die übelsten Kläger Europas. Im Mai 2021 durfte sich Korindo über die Auszeichung als "international Bully of the year" freuen. Zur Preisverleihung kam wenig überraschend weder ein Firmenvertreter noch deren Rechtsanwalt. Öffentlich für die Klage geradestehen wollte offenbar niemand.
Über Europa hinaus haben uns Umweltschützer und Menschenrechtsverteidiger aus aller Welt den Rücken gestärkt. Über 90 Organisationen haben eine internationale Solidaritätserklärung unterschrieben. Darin hieß es: "Wer Aktivisten und Organisationen verklagt, die sich für eine gerechtere Gesellschaft und die Natur einsetzen, attackiert uns alle!"
Am 21. Februar 2023 ging der Prozess sang- und klanglos zu Ende. Korindo hat im Rahmen eines Vergleichs alle Forderungen fallenlassen und trug drei Viertel der Verfahrenskosten. Warum wir dem Deal zugestimmt haben? Weil wir unser Ziel erreicht hatten: Der Firma ist es nicht gelungen, uns einzuschüchtern und gerichtlich sanktioniert mundtot zu machen.
Wir sagen, was stimmt: Korindo vernichtet in Papua Regenwald!