Agrarkraftstoffe gefährden das Klima. „Stoppt den Agrarenergie-Wahn“
04.08.2007
Seit über 15 Jahren setzt sich die internationale Nichtregierungsorganisation GRAIN für eine nachhaltige, artenvielfältige Landwirtschaft global ein. Nun haben sich die Landwirtschaftsexperten von GRAIN dem Thema Agrarenergie gewidmet und kommen zum Schluss: "Stoppt den Agrarenergie-Wahn".
Seit über 15 Jahren setzt sich die internationale Nichtregierungsorganisation GRAIN für eine nachhaltige, artenvielfältige Landwirtschaft global ein. Nun haben sich die Landwirtschaftsexperten von GRAIN dem Thema Agrarenergie gewidmet und kommen zum Schluss:
"Stoppt den Agrarsprit-Wahn". Die aktuelle GRAIN-Publikation "No to the agrofuels craze!" widerlegt detailliert den falschen Mythos vom "umweltfreundlichen" Agrarenergie und zeigt, welche Kräfte tatsächlich hinter dem globalen Agrarsprit-Wahn wirken. Auch die oft von Grünen Agrarenergie-Befürwortern angeführte Mär von der Möglichkeit einer ökologisch und sozial verantwortlichen Agrarenergie-Produktion in Lateinamerika, Asien oder Afrika hält den von GRAIN gesammelten Fakten und Analysen nicht stand. Nach Meinung von GRAIN sollte man generell den Agrartreibstoffen die Vorsilbe "Bio" entziehen und besser von "Agrofuels", Agrarenergie sprechen. Das Wort "Agrarenergie" beschreibe besser die zerstörerischen Prozesse, die mit der landwirtschaftlichen Treibstoffproduktion verbunden seien.
GRAIN: "Während unserer Recherchen über Agrarenergie entdeckten wir, dass der entfesselte Run auf die Agrarenergie enorme ökologische und soziale Schäden verursacht, und zwar in einem viel größeren Ausmaß als wir befürchteten. Kostbare Ökosysteme werden zerstört und hunderte bis tausende von indigenen und ländlichen Gemeinden von ihrem Land vertrieben." Die rosaroten Fantasien von ökologischer Agrarenergie, der die Welt vor dem Klimachaos rette, so GRAIN, seien nicht von Klimaschützern entworfen, sondern von denjenigen, die massive finanzielle Interessen an der Förderung solcher Treibstoffe haben: Automobil- und Erdölkonzerne wie BP, Shell oder Exxon, sowie Nahrungsmittel- und Gentechnik-Konzerne. Firmen wie Monsanto und Syngenta investierten bereits große Summen in die Produktion von genmanipulierten Pflanzen zur Agrarenergieherstellung. Gleichzeitig erhalte der Agrartreibstoffsektor weltweit so viele Subventionen aus öffentlichen Geldern wie kaum eine andere Branche. Wie die "Global Subsidies Initiative" errechnete, subventionieren allein die US-Steuerzahler den Agrosprit-Boom mit jährlich rund 5,5 Milliarden bis 7,3 Milliarden US-Dollar. Nach Meinung von GRAIN rechneten sich deshalb die Agrotreibstoffe schon aus volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht.
Aber auch aus Klimaschutzgründen sollte man eher auf Agrarenergie verzichten, als auf diese zu setzen. Jüngste Studien zeigten, dass zur Produktion von einer Tonne Agrardiesel aus Palmöl zwei bis acht Mal mehr Kohlendioxid freigesetzt werde als bei der Verbrennung der gleichen Menge von Erdöl-Diesel. Außerdem seien die in der industriellen Landwirtschaft und damit auch in der Agrosprit-Produktion eingesetzten Kunstdünger hauptverantwortlich für die Freisetzung des noch viel schädlicheren Klimagases Stickoxid (Lachgas, N2O).
Grundsätzlich sei es kaum realistisch anzunehmen, dass Agrarenergie den globalen Energieverbrauch decken könnte. Selbst wenn die USA ihre gesamte Mais- und Soja-Ernte in Agrarsprit verarbeiteten, könnte damit lediglich 12 Prozent des nationalen Benzinverbrauchs und nur sechs Prozent des nationalen Dieselverbrauchs gedeckt werden, so GRAIN. Für die EU falle diese Bilanz sogar noch schlechter aus. Weshalb es klar sei, dass die Agrarenergiediskussion vor allem auf die Entwicklungsländern abzielt, wo sich das Agrobusiness - auf Kosten von lokalen Bevölkerungen und Ökosystemen - noch weiter ausbreiten wolle.
Für die Weltbank mit ihrer lateinamerikanischen Tochter, die inter-amerikanische Entwicklungsbank, sei deshalb auch das größte südamerikanischen Land, Brasilien der ideale Ort für die Biotreibstoffexpansion, weil es dort noch viel Platz für neue Agrarenergieanbauflächen gebe. Die lateinamerikanische Weltbank-Tochter, so GRAIN, rechne mit 120 Millionen Hektar potentieller Agrartreibstoffanbaufläche in Brasilien. Ähnliche Berichte rechneten vor, dass Lateinamerika, Südostasien und Afrika zusammen rund 50 Prozent des global benötigten Agrartreibstoffs produzieren könnten, wenn man die dortigen "ineffektiven" traditionellen Bauernkulturen durch industrielle, "effektive" Agrarplantagen ersetze. Ein Vorgang, der Beispielhaft bereits in Brasilien vorgeführt werde: Allein zwischen 1985 und 1996 wurden dort 5,3 Millionen Menschen von ihrem Land vertrieben - um Platz vor allem für Soja- und Eukalyptusplantagen sowie für Rinderweiden und Zuckerrohrplantagen zu schaffen.
Auch die meist als besonders ökologisch propagierte zweite Generation von Agrartreibstoffen, Treibstoffe hergestellt aus den Pflanzenresten der landwirtschaftlichen Produktion, sehen die GRAIN-Experten nicht als ökologische Wunderwaffe, sondern als zusätzliche ökologische Gefahr an. Denn die global bereits durch die herkömmliche, industrielle Landwirtschaft erodierten Böden würden dadurch noch stärker erodiert, schließlich bräuchten die Böden gerade diese organischen Reststoffe zur Regeneration.
Kurzum: Agrartreibstoffe sind keine Lösung für die Klima- und Energieprobleme unseres Planeten. Tatsächlich machten sie alles nur noch schlimmer. Das gelte auch für so genannte nachhaltige Biotreibstoffe, die als Antwort auf die zunehmende Kritik an Agrartreibstoffen ins Felde geführt werden. Über hundert Umweltgruppen fordern von der EU jetzt ein Moratorium für Agrarkraftstoffe.
Weitere Informationen:
A call for a moratorium on EU incentives for agrofuels, EU imports of agrofuels and EU agroenergy monocultures was launched in Brussels last week by the same 11 organisations. It has already attracted the support of over 100 organisations worldwide.
Agrofuels - towards a reality check in nine key areas is co-published by: EcoNexus, Biofuelwatch, Carbon Trade Watch (Transnational Institute), Corporate Europe Observatory, Ecologistas en Acción, Ecoropa, Grupo de Reflexión Rural, Munlochy Vigil, NOAH (Friends of the Earth Denmark), Rettet Den Regenwald, Watch Indonesia