Zertifiziertes Palmöl von Agropalma: Siegel in der Kritik

Luftaufnahme einer kleinen Ortschaft entlang einer schnurgeraden Piste, dahinter die in den Regenwald geschlagenen Ölpalm-Plantagen © Cicero Pedrosa Neto / Global Witness Bildschirmfoto von der Webseite von Agropalma mit den Logos der verschiedenen der Firma erteilten „Siegeln“ Der Palmölkonzern Agropalma in Brasilien verfügt über 10 verschiedene Siegel für biologischen, fairen und nachhaltigen Anbau (© RdR-Screenshot)

31.03.2023

Rettet den Regenwald geht der Frage nach, welche Rolle Zertifizierungsfirmen wie IBD beim Etikettenschwindel mit angeblich nachhaltigem Palmöl spielen. Hintergrund sind die Vorwürfe gegen den zertifizierten Palmölkonzern Agropalma im Amazonasregenwald wegen Landraubs, Gewalt und schlechter Arbeitsbedingungen.

Der brasilianische Palmölkonzern Agropalma gilt seit 15 Jahren weltweit als Musterbetrieb der Branche. Zehn verschiedene an die Firma vergebene internationale Siegel sollen diesen Anspruch untermauern.

Doch zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft offenbar eine große Lücke. Darauf haben wir bereits mit der Petition Amazonas-Regenwald: Landraub und Gewalt für biologisches, faires und nachhaltiges Palmöl“ aufmerksam gemacht. Schon 68.000 Menschen haben an der Petition teilgenommen.

Als Reaktion auf die Vorwürfe hat nun der brasilianische Zertifizierer IBD eines der Siegel von Agropalma ausgesetzt. Es handelt sich dabei um das Siegel des Runden Tischs für Nachhaltiges Palmöl (RSPO). Es wurde am 8. Februar 2023 suspendiert – das hat uns am 30. März das RSPO-Sekretariat in Kuala Lumpur auf Anfrage geantwortet.

Im Rahmen der Ermittlungen gegen Agropalma wegen unrechtmäßiger Landaneignungen und Betruges mit Landtiteln ist auch IBD, der nach eigenen Angaben größte Zertifizierer biologischer Produkte Lateinamerikas, in das Visier der Ermittlungsbehörden des südamerikanischen Landes geraten.

IBD ist ein Zertifizierer, der Unternehmen wie Agropalma Glaubwürdigkeit verleiht, damit sie ihre Produkte an große internationale Verbraucher verkaufen können", erklärt die brasilianische Staatsanwältin Ione Nakamura in einem Interview dem Journalistenkollektiv Convoca.

Die Staatsanwaltschaft des Bundesstaates Pará hat in ihrer Untersuchung festgestellt, dass der Zertifizierer IBD die Kriterien für den Schutz der Menschenrechte nicht berücksichtigt hat“, so Nakamura weiter.

Nach jahrelangen Ermittlungen und Verfahren haben Gerichte in Brasilien inzwischen die Grundstückstitel von insgesamt 58.000 Hektar Land von Agropalma annulliert – über die Hälfte der vom Palmölkonzern beanspruchten Flächen. Es laufen weitere Verfahren und drohen weitere mögliche Landannullierungen, darunter für die zertifizierten Ölpalmplantagen AGROPAR, CRAI I, CRAI II und AGROPALMA. Die Ölpalmplantagen wurden zwischen 1982 bis 2002 in den Amazonas-Regenwald des Bundesstaats Pará geschlagen.

Agropalma hingegen nennt die Flächen weiterhin sein eigen – insgesamt 107.000 Hektar Land im Amazonasgebiet – und gesteht den von den Gerichten nachgewiesenen Betrug mit den Grundstücken nicht ein. Stattdessen versucht Agropalma offenbar weiter, die Grundstücke mit Hilfe der staatlichen Landbehörde ITERPA zu legalisieren. Die Staatsanwaltschaft von Pará hat dagegen eine Beschwerde mit einer einstweiligen Verfügung eingereicht.

Siegel haben keinerlei legalen Wert

Die von der Staatsanwaltschaft beantragte Aufhebung der RSPO-Zertifizierung von Agropalma durch IBD wurde dagegen vor Gericht schließlich abgelehnt, weil das RSPO-Label und die Zertifizierung eine rein private Leistung seien – ohne jede rechtliche Verbindlichkeit und Wirksamkeit: „Das Gericht hat entschieden, dass die Zertifizierung durch IBD nicht gerichtlich aufgehoben werden kann", zitiert Convoca die Staatsanwältin Nakamura.

Der RSPO hatte dagegen eine Beschwerde wegen der Landkonflikte von Agropalma nach 5-jährigen Verfahren 2020 abgewiesen mit der Begründung, dass der Landstreit Sache der brasilianischen Gerichte sei. Agropalma hatte seinerseits die Beschwerden als „absurde Klagen“ bezeichnet.

Laut der Zeitung O Fato habe es bereits seit der Erteilung des RSPO-Labels an Agropalma im Jahr 2011 Kritik und Aufforderungen an den Zertifizierer IBD gegeben, das Siegel wieder zu entziehen. Stattdessen hat IBD die Zertifizierung bis zum 8. Februar diesen Jahres immer wieder erneuert.

Die bereits in Brasilien gefällten Gerichtsurteile und die weiter laufenden Verfahren stellen nicht nur den Betrieb von Agropalma in Frage, sondern auch alle an den Palmölkonzern vergebenen Siegel und Zertifikate. Eine Vergabe setzt u.a. voraus, dass Agropalma der legale Besitzer der Grundstücke ist.

Generell werden derartige Zertifikate zwar immer wieder kurzzeitig befristet ausgesetzt, um dann oft kurze Zeit später wieder in Kraft zu treten. Offensichtlich spielen wirtschaftliche Interessen vor anderen Belangen wie Menschenrechte, Umweltschutz und der Einhaltung von Gesetzen bei den Siegeln und Zertifizierern eine übergeordnete Rolle.

Zertifizierer sind finanziell von den Palmölfirmen abhängig

Wer das RSPO-Siegel vergibt und die Einhaltung der – leider völlig unzureichenden – Standards überprüft, bestimmen die Palmölfirmen selbst. Aus einem Pool sogenannter akkreditierter Zertifizierer können sie eine passende Firma aussuchen und bezahlen diese auch direkt für ihre Dienstleistungen. RSPO listet aktuell 26 zugelassene Zertifizierer auf.

Die Zertifizierer sind damit finanziell von den Palmölfirmen abhängig. Das schwächt deren Position enorm und führt zu gravierenden Interessenkonflikten. Denn allzu strenge Zertifizierer finden kaum Kunden, was den fatalen Anreiz setzt, nicht allzu genau zu prüfen.

Zudem führen die Zertifizierer wie IBD die Audits und Zertifizierungen nach vorheriger Anmeldung durch – an mit den Palmölfirmen vereinbarten Orten und ganz überwiegend auf der Grundlage von Informationen, die ihnen von den zu zertifizierenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden.

Es besteht die Gefahr, dass die Zertifizierer die Einhaltung der sowieso schon unzureichenden RSPO-Standards sehr lax überprüfen, um weiter im Geschäft zu bleiben. Im ARD-Fernsehen erklärt der Beitrag "Schmutzige TÜV-Deals: Schattenseiten deutscher Gründlichkeit" die Probleme am Beispiel des TÜV.

Zertifizierer IBD war 2022 suspendiert - ohne Angabe der Gründe

Um die Arbeit der Zertifizierer zu überprüfen, setzt RSPO auf die Dienste eines weiteren Zertifizierers, ASI Assurance Services International GmbH (ASI) aus Deutschland. ASI hat nach eigenen Angaben den brasilianischen Zertifizierer IBD, der Agropalma das RSPO-Label erteilt hat, überprüft und am 8. Juni 2022 weltweit für die Zertifizierung mit dem RSPO-Palmöllabel ausgesetzt. Das hat ASI ein halbes Jahr später veröffentlicht. Die Gründe der Aussetzung von IBD sind für die Öffentlichkeit leider völlig unklar, genauso wie die Wiedereinsetzung von IBD am 4. Februar 2023 durch ASI.

Neben dem RSPO-Siegel hat IBD Agropalma weitere fünf verschiedene internationale Siegel ausgestellt. Über den Zustand dieser Siegel gibt es keinerlei Informationen. Weiterhin verfügt Agropalma über Siegel nach dem japanischen JAS-Bio-Standard (Zertifizierer CERES GmbH) und nach den chinesischen FOFCC Standards für biologische Landwirtschaft. Das Schweizer Siegel Bio Suisse Organic hatte 2002 die Zertifizierung von Agropalma nicht verlängert - ohne Veröffentlichung der Gründe.

Rettet den Regenwald hat die 20 Konzerne, die Palmöl von Agropalma kaufen (siehe im Hintergrundteil unserer Petition), sowie die verschiedenen Siegelorganisationen und Zertifizierer angeschrieben und um Aufklärung gebeten. Wir werden demnächst über die Antworten der Firmen berichten.


  1. Visier der Ermittlungsbehörden

    Tribunal de Justiça do Estado do Pará (TJPA) 2020. PJe - Processo Judicial Eletrônico Número: 0801353-35.2020.8.14.0015: https://www2.mppa.mp.br/data/files/EB/45/20/88/452C17107E4491F6180808FF/ACP_AGROPALMA_PORTO%20ALTO_%20FINAL%20_2_.pdf

  2. 58.000 Hektar Land von Agropalma annulliertPublica (2022). Com inércia do governo, empresas do dendê avançam sobre terras públicas da Amazônia: https://apublica.org/2022/08/com-inercia-do-governo-empresas-do-dende-avancam-sobre-terras-publicas-da-amazonia/
    Ver O Fato (2022). BOMBA – Acusada de grilagem e com 58 mil hectares cancelados pela justiça, Agropalma está à venda:https://ver-o-fato.com.br/bomba-acusada-de-grilagem-e-com-58-mil-hectares-cancelados-pela-justica-agropalma-esta-a-venda/
  3. weitere Verfahren und drohen weitere mögliche LandannullierungenTribunal de Justiça do Estado do Pará (TJPA) 2020. PJe - Processo Judicial Eletrônico Número: 0801353-35.2020.8.14.0015: https://www2.mppa.mp.br/data/files/EB/45/20/88/452C17107E4491F6180808FF/ACP_AGROPALMA_PORTO%20ALTO_%20FINAL%20_2_.pdf
  4. Beschwerde mit einer einstweiligen Verfügung

    Ministério Público del Estado de Pará 2022. MPPA propõe Reclamação para garantir autoridade de decisão do Tribunal de Justiça. Promotoria Agrária pede a suspensão de edital de compra de terras públicas referentes às Fazendas Roda de Fogo e Castanheiras: https://www2.mppa.mp.br/noticias/mppa-propoe-reclamacao-para-garantir-autoridade-de-decisao-do-tribunal-de-justica.htm

  5. 5-jährigen Verfahren abgewiesenRSPO-Beschwerdegremium (2020). Re: Final decision by the Complaints Panel on the Complaint against Agropalma Group (Membership No.:1-0003-04-000-00): https://rspo.my.salesforce.com/sfc/p/#90000000YoJi/a/0o000000i0eK/nnWdyQPdKuzo1VB_MAj2Uy4TQQym.VPVmMdBP.T73gc
  6. „absurde Klagen“ bezeichnetRSPO-Beschwerdegremium (2015). Agropalma's official response to false accusations against its behalf: https://ap8.salesforce.com/sfc/p/#90000000YoJi/a/90000000PY7d/_nolTXvKwUaonrszqIXL_CbPJDXzI6NMTicNUsDd6xE
  7. Laut der Zeitung O FatoVer O Fato 2023. URGENTE, EXCLUSIVO – Certificação internacional das plantações da Agropalma no Pará está suspensa: https://ver-o-fato.com.br/urgente-exclusivo-certificacao-internacional-das-plantacoes-da-agropalma-no-para-esta-suspensa/
  8. ASI ein halbes Jahr später veröffentlichtASI 2022. ASI suspends IBD Certifications Ltd. for RSPO P&C. „Die Aussetzung erfolgte aufgrund von 21.4, Tabelle 1, Punkt 8 der ASI-PRO-20-101-V5.1.“ so die Mitteilung von ASI vom 14. Dez. 2002.: https://www.asi-assurance.org/s/post/a1J5c00000UCFmHEAX/p0980
  9. Wiedereinsetzung von IBD am 4. Februar 2023 durch ASIASI 2023. Suspension lifted for IBD Certifications Ltd. for RSPO P&C accreditation: https://www.asi-assurance.org/s/post/a1J5c00000WmVqYEAV/p1056
  10. internationale Siegel ausgestellt1. Brasilianisches Biolabel (Gesetz 10.831); 2. EU-Biolabel (EU Ökoverordnung 834/2007 und 2018/848); 3. US-Biolabel (National Organic Program der USDA); 4. FairTrade IBD; 5. Nachhaltigkeitslabel der Palm Oil Innovations Group (POIG); 6. Runder Tisch für Nachhaltiges Palmöl (RSPO)

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