Indigener auf Sumatra entführt, weil er sich gegen die Papierindustrie wehrt
03.04.2024
Sorbatua Siallagan, ein Indigenenältester auf Sumatra, wurde entführt, weil er seinen Wald vor der Papierindustrie schützen will. Tagelange Proteste fordern: Sorbatua Siallagan freilassen! Toba Pulp Lestari schließen!
Seit dem 23. März 2024 währen die Proteste vor dem Polizeigebäude in Medan, einer Millionenstadt auf der indonesischen Insel Sumatra, schon. Die Menschen singen, halten Banner hoch und rufen: „Lasst Sorbatua Siallagan frei!“ - „Schließt Toba Pulp Lestari!“ - „Keine Kriminalisierung von Indigenen!“
Sorbatua Siallagan, Führer einer Gemeinschaft der indigenen Batak aus dem Dorf Dolok Parmonangan, ist bereits 65 Jahre alt. Am 22. März, als er vormittags mit seiner Frau einkaufen war, näherten sich zehn Personen in Zivilkleidung, zerrten ihn in ein Auto und entführten ihn ohne Haftbefehl. Seine Familie und sein Dorf wussten nicht, wo er war.
Erst abends erfuhr man, dass Sorbatua Siallagan in das 160 km entfernte Medan in ein Polizeigefängnis gebracht worden ist. Er sei ohne Beistand eines Rechtsanwalts verhört worden, so Roganda Simanjuntak von unserer Partnerorganisation AMAN Tano Batak (Allianz der Indigenen im Land der Batak) im Gespräch mit Rettet den Regenwald. Siallagan würden „illegale Aktivitäten“ vorgeworfen. Angeblich habe er in Wald, der zur Konzession des Zellstoffunternehmens Toba Pulp Lestari gehöre, landwirtschaftliche Tätigkeiten ausgeübt.
Nach Auffassung der indigenen Batak aber ist das Land und der Wald ihr traditionelles Gebiet. Sie leben hier schon seit Jahrtausenden. Doch für die Regierung Indonesiens ist Wald staatlich – bis auf kleine Indigenenwälder. Der Staat vergibt Konzessionen an Unternehmen, ohne Rücksicht auf jahrhundertelange Besiedlung und überlieferte Rechtsansprüche.
In den 1980er Jahren siedelte sich Toba Pulp Lestari (TPL) südlich des Tobasees an, des größten Kratersees der Welt. TPL baute Anlagen für die Produktion von Papier, Zellstoff und Viskose und erhielt vom Staat Hundertausende Hektar Wald in Konzession. Erst verschwanden Unmengen von Tropenholz in der Papiermühle, dann enstanden schnellwachsende Eukalyptus-Plantagen – auf Kosten der Natur und der Menschen.
Die brutale Zerstörung der Wälder, die Verseuchung der Gewässer, Landraub und die Gewalt gegenüber den Einheimischen stießen von Anfang an auf heftigen Widerstand. Hunderte von Landkonflikten sind bis heute ungelöst.
Doch „Toba Pulp Lestari benutzt die Polizei immer wieder, um die indigene Bevölkerung einzuschüchtern, für ihr Land zu kämpfen", sagt Hengky Manalu von AMAN Tano Batak. Er vermutet, der Kriminalisierung des Indigenenführers liege eine Anzeige von Toba Pulp Lestari zugrunde. Dies ist nicht das erste Mal, dass Sorbatua Siallagan verhaftet wurde.
Update 18. April 2024:
Laut detik.com hat Sorbatua Siallagan auf Kaution von Bane Raja Manalu, Mitglied des Sonderstabs des indonesischen Ministers für Recht und Menschenrechte, das Gefängnis verlassen können. Er wartete zu Hause auf den Prozess.
Update 14. Mai 2024:
Nach Aussagen der Staatsanwaltschaft des Bezirks Simalungun wurde Sorbatua Siallagan nach einem Verhör erneut festgenommen und in das Gefängnis von Siantar gebracht, wo er während des laufenden Prozesses einsitzen muss.
Update 14. August 2024
Nach dreimonatigem Prozess und Untersuchungshaft verurteilt das Bezirksgericht Simalungun Sorbatua Siallagan zu zwei Jahren Haft und einer Zahlung von fast 60.000 Euro (1 Milliarde Rupiah). Einer der Richter plädiert für Freispruch. Protestierende vor dem Gericht rufen "Die Gerechtigkeit ist tot!"
Update 17. Oktober 2024
Das Berufuungsgericht in Medan sprach Sorbatua Siallagan von allen Anschuldigungen frei. Der Indigenenälteste wurde sofort aus dem Gefängnis entlassen. "Eine freudige Nachricht!", so Roganda Simanjuntak von der Indigenenorganisation AMAN Tano Batak. "Danke an Rettet den Regenwald und allen Unterstützern!"
Die Demonstration in Medan zeigt Verzweiflung und Entschlossenheit der Teilnehmenden zugleich, denn für sie steht ihre Existenz auf dem Spiel. Der Fall Sorbatua Siallagan steht auch exemplarisch für viele ähnliche Fälle: den Kampf der Menschen um ihre Land- und Waldrechte, ihre Gärten und ihren Wald. Die Indigenen Indonesiens sind im Wettlauf um Land für Plantagen und Minen auf der Verliererseite.
Toba Pulp Lestari wird von einem der reichsten Männer Indonesiens, Sukanto Tanoto, kontrolliert. Zu dessen Imperium Royal Golden Eagle (RGE) gehört auch der Konzern APRIL (Asia Pacific Resources International Limited). APRIL, einer der größten Zellstoffkonzerne weltweit, produziert in mehreren großen Anlagen auf Sumatra Papier, Zellstoff und Viskose. APRIL-Zellstoff wird auch in chinesischen Papierfabriken weiterverarbeitet.
Auf den steigenden globalen Papierkonsum reagierend, besonders seit der COVID-Pandemie, expandiert APRIL/RGE - bis nach China, Europa, Lateinamerika. Der Konzern hat sich in Brasilien eingekauft, die Anlagen auf Sumatra werden erweitert, eine neue Fabrik wird derzeit auf Borneo (Provinz Nord-Kalimantan) gebaut. Eine weitere Firma, die mit APRIL/RGE verbunden ist, Mayawana Persada, zerstört aktuell einen Orang-Utan-Wald für Papier.
Jahrelange Verhandlungen mit großen Umweltorganisationen änderten nichts an der Praxis des Unternehmens. Investoren und Käufer sollen daher keine Geschäfte mit APRIL/RGE machen.
Der immense Konsum von Papier muss aufhören! Rettet den Regenwald steht fest in Solidarität mit den Forderungen der Demonstrierenden in Medan:
Keine Kriminalisierung von Indigenen und Umweltverteidigern!
Lasst Sorbatua Siallagan frei!
Schließt Toba Pulp Lestari!
Das indonesische Unternehmen Toba Pulp Lestari (TPL), gegründet 1983 auf Sumatra, ist mit dem Zellstoff- und Papierkonzern APRIL verbunden, die wiederum zum globalen Konzern Royal Golden Eagle gehört. 1989 begann TPL unter dem Namen Indorayon mit der Produktion von Zellstoff für Papier und von Viskose-Fasern (Rayon) für Textilien – mit Tropenholz aus dem Urwald.
Aktuell hat TPL die Konzession für 265.000 Hektar Regenwald und Plantagen – eine Fläche dreimal so groß wie Berlin. TPL ist maßgeblich für die Zerstörung der Regenwälder von Sumatra verantwortlich. Außerdem verseucht die Fabrik den Toba-See.
Zum Ende der Suharto-Diktatur erstarkte die Protestbewegung gegen Indorayon. Der damalige indonesische Präsident Habibie verfügte 1999 auf öffentlichen Druck die Schließung der Zellstoff-Fabrik. Doch unter Präsidentin Megawati lief die Produktion 2003 wieder an. Indorayon wurde in Toba Pulp Lestari umbenannt.
siehe Regenwald Report https://www.regenwald.org/regenwaldreport/2023/646/ein-erfolg-der-mut-macht
Landkonflikten sind bis heute ungelöst
Der Konflikt zwischen Toba Pulp Lestari, APRIL und der lokalen Bevölkerung währt schon ein halbes Jahrhundert. https://www.regenwald.org/regenwaldreport/2023/646/ein-erfolg-der-mut-macht
APRIL (Asia Pacific Resources International Limited)
APRIL Papiere werden unter vielen Markennamen verkauft, die bekannteste ist Paper One.
Die Papiermühle RAPP in der Provinz Riau, ebenfalls auf Sumatra, ist eine der größten der Welt.
Direkt mit APRIL verbundene Firmen sind u.a. in Brasilien, Macao, China, Singapur ansässig.
Sukanto Tanoto kontrolliert außerdem u.a. folgende Firmen: Toba Pulp Lestari (TPL), Sateri (Viskose-Produktion in China), Asia Pacific Rayon (APR).